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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Nalamocco.

dem Heimkehrenden bieten konnte, fiel ihr bei, daß Mareantvniv, der doch in der
innigsten Gemeinschaft mit ihr lebe und der sie hielt wie seinen Augapfel, niemals
darnach getrachtet habe, näheres von der Zeit zu erfahren, welche sie nicht an
dieser Küste und nicht in den Fischerhütten des Lido verlebt habe. Wohl hatte
sie selbst ihr Geheimnis sorglich vor ihm gehütet -- selbst vor ihm! -- aber
wenn er je in sie gedrungen wäre, hätte sie ihm nicht sagen müssen, was sie heute
Pater Girolamo vertraut? Es war sicher, daß es ihn nicht verlangte, von ihren
Kindertagen mehr zu wissen, als sie damals nach dem Schiffbruch und ihrer
Rettung erzählt. Erregt, wie Margherita dnrch die Stunde in Pater Girolamos
Haufe war, durchzuckte sie zum erstenmale der Gedanke, daß Tonio vielleicht
etwas von der Wahrheit ahne und von ihr nicht vernehmen wolle, wie fern sie
einst seinem Leben und Schicksal gestanden habe.

Seltsam beklommen fühlte sich das junge Weib bei diesem Gedanken. Sie
liebte Tonio und er hatte wirklich ein Recht auf ihre Liebe! Wen" sie zurück¬
dachte bis an die ersten Morgen, die sie in Thränen und dumpfer Betäubung in
der Fischerhütte des alten Marco verbracht hatte, bis an die ersten Tage, da
sie weinend ans die ungewohnte rauhe Arbeit geblickt und die Hände verzagend
in den Schoß gelegt, immer war der schwarzlockige Knabe mit den blitzenden
feurigen Augen und der geschickten kräftigen Hand neben ihr, immer war er
tröstlich und hilfreich gewesen. Sie wußte nicht einen Tag, kaum eine Stunde,
in welcher ihr Tonio nicht ihr neues Leben erleichtert und aus warmem Herzen
ein gutes Wort zu ihr gesprochen hätte. Aus seinem Munde hatte sie die
Sprache, welche sie jetzt redete, erlernt, er hatte sie gegen Vater und Brüder
unerschrocken in Schutz genommen, wenn das geheime Weh und das düstre
Hinsinnen sie überkamen, das er sich selbst so schlecht zu deuten wußte. Sie
hatte um seinetwillen zuerst wieder Heller aufgeblickt, ihr Lache" war an dein
seinen i" guter Stunde wieder erwacht. Als er ihr seinen Wunsch verriet, sie
zum Weibe zu gewinnen, wußte sie längst, daß er nichts in der Welt höher
halte als sie und hätte seiner drängende" Frage nicht Nein antworte" können,
auch wen" sie i" je"em Angenblick a" die Verlorne deutsche Heimat gedacht Hütte.
Erst i" der Stunde, i" der Pater Girolamo i" der Kirche zu Malamoeev ihre
Hände in einander gefügt hatte, war es plötzlich wie ein Schauer dnrch ihren
Sinn gezogen, daß sie mit ihrer Liebe für Tonio und indem sie das Weib des
Fischers ward, sich noch dieser von dem alle" scheide, was "u" schon seit Jahren
hinter ihr lag. Und der Schauer war wiedergekehrt, in den erste" glücklichen
Tagen, da sie mit Tonio am neuen Herde gesessen, die Erinnerung, statt stiller
An werden, hatte immer lauter in ihr gesprochen! Den glücklichen waren trübe
Tage gefolgt. Und er war sich gleich geblieben, soweit Margherita die Welt
kannte, wußte sie keinen besser" Mann i" ihr, als Tonio.

Gvrtschuug sol-w)




Die Fischerin von Nalamocco.

dem Heimkehrenden bieten konnte, fiel ihr bei, daß Mareantvniv, der doch in der
innigsten Gemeinschaft mit ihr lebe und der sie hielt wie seinen Augapfel, niemals
darnach getrachtet habe, näheres von der Zeit zu erfahren, welche sie nicht an
dieser Küste und nicht in den Fischerhütten des Lido verlebt habe. Wohl hatte
sie selbst ihr Geheimnis sorglich vor ihm gehütet — selbst vor ihm! — aber
wenn er je in sie gedrungen wäre, hätte sie ihm nicht sagen müssen, was sie heute
Pater Girolamo vertraut? Es war sicher, daß es ihn nicht verlangte, von ihren
Kindertagen mehr zu wissen, als sie damals nach dem Schiffbruch und ihrer
Rettung erzählt. Erregt, wie Margherita dnrch die Stunde in Pater Girolamos
Haufe war, durchzuckte sie zum erstenmale der Gedanke, daß Tonio vielleicht
etwas von der Wahrheit ahne und von ihr nicht vernehmen wolle, wie fern sie
einst seinem Leben und Schicksal gestanden habe.

Seltsam beklommen fühlte sich das junge Weib bei diesem Gedanken. Sie
liebte Tonio und er hatte wirklich ein Recht auf ihre Liebe! Wen» sie zurück¬
dachte bis an die ersten Morgen, die sie in Thränen und dumpfer Betäubung in
der Fischerhütte des alten Marco verbracht hatte, bis an die ersten Tage, da
sie weinend ans die ungewohnte rauhe Arbeit geblickt und die Hände verzagend
in den Schoß gelegt, immer war der schwarzlockige Knabe mit den blitzenden
feurigen Augen und der geschickten kräftigen Hand neben ihr, immer war er
tröstlich und hilfreich gewesen. Sie wußte nicht einen Tag, kaum eine Stunde,
in welcher ihr Tonio nicht ihr neues Leben erleichtert und aus warmem Herzen
ein gutes Wort zu ihr gesprochen hätte. Aus seinem Munde hatte sie die
Sprache, welche sie jetzt redete, erlernt, er hatte sie gegen Vater und Brüder
unerschrocken in Schutz genommen, wenn das geheime Weh und das düstre
Hinsinnen sie überkamen, das er sich selbst so schlecht zu deuten wußte. Sie
hatte um seinetwillen zuerst wieder Heller aufgeblickt, ihr Lache» war an dein
seinen i» guter Stunde wieder erwacht. Als er ihr seinen Wunsch verriet, sie
zum Weibe zu gewinnen, wußte sie längst, daß er nichts in der Welt höher
halte als sie und hätte seiner drängende» Frage nicht Nein antworte» können,
auch wen» sie i» je»em Angenblick a» die Verlorne deutsche Heimat gedacht Hütte.
Erst i» der Stunde, i» der Pater Girolamo i» der Kirche zu Malamoeev ihre
Hände in einander gefügt hatte, war es plötzlich wie ein Schauer dnrch ihren
Sinn gezogen, daß sie mit ihrer Liebe für Tonio und indem sie das Weib des
Fischers ward, sich noch dieser von dem alle» scheide, was »u» schon seit Jahren
hinter ihr lag. Und der Schauer war wiedergekehrt, in den erste» glücklichen
Tagen, da sie mit Tonio am neuen Herde gesessen, die Erinnerung, statt stiller
An werden, hatte immer lauter in ihr gesprochen! Den glücklichen waren trübe
Tage gefolgt. Und er war sich gleich geblieben, soweit Margherita die Welt
kannte, wußte sie keinen besser» Mann i» ihr, als Tonio.

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[0579] Die Fischerin von Nalamocco. dem Heimkehrenden bieten konnte, fiel ihr bei, daß Mareantvniv, der doch in der innigsten Gemeinschaft mit ihr lebe und der sie hielt wie seinen Augapfel, niemals darnach getrachtet habe, näheres von der Zeit zu erfahren, welche sie nicht an dieser Küste und nicht in den Fischerhütten des Lido verlebt habe. Wohl hatte sie selbst ihr Geheimnis sorglich vor ihm gehütet — selbst vor ihm! — aber wenn er je in sie gedrungen wäre, hätte sie ihm nicht sagen müssen, was sie heute Pater Girolamo vertraut? Es war sicher, daß es ihn nicht verlangte, von ihren Kindertagen mehr zu wissen, als sie damals nach dem Schiffbruch und ihrer Rettung erzählt. Erregt, wie Margherita dnrch die Stunde in Pater Girolamos Haufe war, durchzuckte sie zum erstenmale der Gedanke, daß Tonio vielleicht etwas von der Wahrheit ahne und von ihr nicht vernehmen wolle, wie fern sie einst seinem Leben und Schicksal gestanden habe. Seltsam beklommen fühlte sich das junge Weib bei diesem Gedanken. Sie liebte Tonio und er hatte wirklich ein Recht auf ihre Liebe! Wen» sie zurück¬ dachte bis an die ersten Morgen, die sie in Thränen und dumpfer Betäubung in der Fischerhütte des alten Marco verbracht hatte, bis an die ersten Tage, da sie weinend ans die ungewohnte rauhe Arbeit geblickt und die Hände verzagend in den Schoß gelegt, immer war der schwarzlockige Knabe mit den blitzenden feurigen Augen und der geschickten kräftigen Hand neben ihr, immer war er tröstlich und hilfreich gewesen. Sie wußte nicht einen Tag, kaum eine Stunde, in welcher ihr Tonio nicht ihr neues Leben erleichtert und aus warmem Herzen ein gutes Wort zu ihr gesprochen hätte. Aus seinem Munde hatte sie die Sprache, welche sie jetzt redete, erlernt, er hatte sie gegen Vater und Brüder unerschrocken in Schutz genommen, wenn das geheime Weh und das düstre Hinsinnen sie überkamen, das er sich selbst so schlecht zu deuten wußte. Sie hatte um seinetwillen zuerst wieder Heller aufgeblickt, ihr Lache» war an dein seinen i» guter Stunde wieder erwacht. Als er ihr seinen Wunsch verriet, sie zum Weibe zu gewinnen, wußte sie längst, daß er nichts in der Welt höher halte als sie und hätte seiner drängende» Frage nicht Nein antworte» können, auch wen» sie i» je»em Angenblick a» die Verlorne deutsche Heimat gedacht Hütte. Erst i» der Stunde, i» der Pater Girolamo i» der Kirche zu Malamoeev ihre Hände in einander gefügt hatte, war es plötzlich wie ein Schauer dnrch ihren Sinn gezogen, daß sie mit ihrer Liebe für Tonio und indem sie das Weib des Fischers ward, sich noch dieser von dem alle» scheide, was »u» schon seit Jahren hinter ihr lag. Und der Schauer war wiedergekehrt, in den erste» glücklichen Tagen, da sie mit Tonio am neuen Herde gesessen, die Erinnerung, statt stiller An werden, hatte immer lauter in ihr gesprochen! Den glücklichen waren trübe Tage gefolgt. Und er war sich gleich geblieben, soweit Margherita die Welt kannte, wußte sie keinen besser» Mann i» ihr, als Tonio. Gvrtschuug sol-w)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/579>, abgerufen am 29.06.2024.