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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Mischern! von Malmnocco.

nicht hungern und barbe" wie andre, wo es ein Dach für die Häupter unsrer
Schaar gab, ward auch ich von demselben beschirmt, denn sie thaten sich noch
immer etwas darauf zu gute, das; das einzige Kind des Grafen vou Thann
mit ihnen ziehe. Doch ward ich täglich blässer, hagrer und stiller !u mich ge¬
kehrt, bitterliche Rene, daß ich Vaterhaus und Heimat verlasse", ließ sich nicht
mehr übertäuben und uicht hinwegbeten. Ich hatte schlimme Träume und sah
einmal Herrn Gero und die Fuldaer Klosierschwester" die Hände über mich
ringen und ein andresmal meinen Vater bitterlich um mich weinen. Die kindische
Sehnsucht nach dem blauen Meere und den fernen Ostländer" wollte in diesen
Tagen des Jammers schier in mir ersterben, und dann glühte sie wieder auf wie
eine Flamme, über die man Asche gestreut hat. Wie wir über den eisige" Paß
des Splügen zum blauen See von Cvuiv hinabstiege" und durch die geseg¬
neten Fluren wallten, wie das lombardische Volk neugierig herzuströmte und
uns in fremder Zunge Glück und Heil wünschte, kam "me Hoffnung in die
Herzen aller, doch in mein .Herz uicht! Vielmehr begannen mich andre dunkle
Sorgen als die um Nahrung und Obdach zu beschleichen, und je länger unser
Zug währte, umso minder gefiel mir und Hedwig, die ein gar kluges Kind war
und ihres Vaters, des Försters, scharfe Augen hatte, die Weise, in welcher die
rauhen Männer, welche die erwachsenen und gutbewafsneteu Pilger führten,
den Hirten Gottfried, dem wir doch gefolgt waren, zur Seite drängten.
Da ward ich i""e, Vater Girolamo, daß ich plötzlich in den wenigen Wochen
um Jahre älter geworden sei, daß ich Dinge sah und verstand, von denen ich
bis dahin nichts gewußt noch geträumt hatte. Und wie wir immer weiter süd¬
wärts zogen, nahm die Zahl der jungen Kreuzfahrer "och täglich ab, die Zahl
der verdächtigen Gesellen, der Bettler, Krümer und Spielleute täglich zu, unsre
Wallfahrtslieder klangen immer dünner zwischen den: Geschrei und Getose um
uns her, durch unser Lager schritten Kaufherren, welche mit kundigem Blick ab¬
schätzten, wie viel kräftige Knaben noch vorhanden sein mochten. Ich weiß mich
nicht zu erinnern, was mir zuerst tiefe Scheu und Furcht vor diesen Männern
eingeflößt, vielleicht ein Wort, das der eine oder andre in trunkenem Mute
sprach, wenn er an den armen Mädchen vorüberschritt, die bei der Kreuzfahrt
waren und sich jetzt allabendlich um mich sammelten. Da war vor allen Herr
Pietro Vieentinv, der große Schiffsherr von Sinigaglia, der uns schon zuo
erstenmal entgegengeritten kam, als wir zwischen den Sümpfen von Mantua
lagern und auf Geleit warten mußten. Er führte gottgefällige Reden, wenn er
vor Gottfried und seinen geistlichen Beratern stand, und versprach, daß er um
des Heilands willen und ohne jedes Entgelt zehn seiner Schiffe stellen wolle,
uus frei nach der syrischen Küste hinüberzuführen. Im Lager aber und unter
dem Haufen ging er mit forschenden Blick und einem Lächeln umher, bei dein
mich fröstelte, that in einer Stunde hundert Fragen und tauschte bald mit unsern
Waffentüchtigen, bald mit einigen der Bettler und Spielleute ein Wort oder


Die Mischern! von Malmnocco.

nicht hungern und barbe» wie andre, wo es ein Dach für die Häupter unsrer
Schaar gab, ward auch ich von demselben beschirmt, denn sie thaten sich noch
immer etwas darauf zu gute, das; das einzige Kind des Grafen vou Thann
mit ihnen ziehe. Doch ward ich täglich blässer, hagrer und stiller !u mich ge¬
kehrt, bitterliche Rene, daß ich Vaterhaus und Heimat verlasse», ließ sich nicht
mehr übertäuben und uicht hinwegbeten. Ich hatte schlimme Träume und sah
einmal Herrn Gero und die Fuldaer Klosierschwester» die Hände über mich
ringen und ein andresmal meinen Vater bitterlich um mich weinen. Die kindische
Sehnsucht nach dem blauen Meere und den fernen Ostländer» wollte in diesen
Tagen des Jammers schier in mir ersterben, und dann glühte sie wieder auf wie
eine Flamme, über die man Asche gestreut hat. Wie wir über den eisige» Paß
des Splügen zum blauen See von Cvuiv hinabstiege» und durch die geseg¬
neten Fluren wallten, wie das lombardische Volk neugierig herzuströmte und
uns in fremder Zunge Glück und Heil wünschte, kam »me Hoffnung in die
Herzen aller, doch in mein .Herz uicht! Vielmehr begannen mich andre dunkle
Sorgen als die um Nahrung und Obdach zu beschleichen, und je länger unser
Zug währte, umso minder gefiel mir und Hedwig, die ein gar kluges Kind war
und ihres Vaters, des Försters, scharfe Augen hatte, die Weise, in welcher die
rauhen Männer, welche die erwachsenen und gutbewafsneteu Pilger führten,
den Hirten Gottfried, dem wir doch gefolgt waren, zur Seite drängten.
Da ward ich i»»e, Vater Girolamo, daß ich plötzlich in den wenigen Wochen
um Jahre älter geworden sei, daß ich Dinge sah und verstand, von denen ich
bis dahin nichts gewußt noch geträumt hatte. Und wie wir immer weiter süd¬
wärts zogen, nahm die Zahl der jungen Kreuzfahrer »och täglich ab, die Zahl
der verdächtigen Gesellen, der Bettler, Krümer und Spielleute täglich zu, unsre
Wallfahrtslieder klangen immer dünner zwischen den: Geschrei und Getose um
uns her, durch unser Lager schritten Kaufherren, welche mit kundigem Blick ab¬
schätzten, wie viel kräftige Knaben noch vorhanden sein mochten. Ich weiß mich
nicht zu erinnern, was mir zuerst tiefe Scheu und Furcht vor diesen Männern
eingeflößt, vielleicht ein Wort, das der eine oder andre in trunkenem Mute
sprach, wenn er an den armen Mädchen vorüberschritt, die bei der Kreuzfahrt
waren und sich jetzt allabendlich um mich sammelten. Da war vor allen Herr
Pietro Vieentinv, der große Schiffsherr von Sinigaglia, der uns schon zuo
erstenmal entgegengeritten kam, als wir zwischen den Sümpfen von Mantua
lagern und auf Geleit warten mußten. Er führte gottgefällige Reden, wenn er
vor Gottfried und seinen geistlichen Beratern stand, und versprach, daß er um
des Heilands willen und ohne jedes Entgelt zehn seiner Schiffe stellen wolle,
uus frei nach der syrischen Küste hinüberzuführen. Im Lager aber und unter
dem Haufen ging er mit forschenden Blick und einem Lächeln umher, bei dein
mich fröstelte, that in einer Stunde hundert Fragen und tauschte bald mit unsern
Waffentüchtigen, bald mit einigen der Bettler und Spielleute ein Wort oder


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[0566] Die Mischern! von Malmnocco. nicht hungern und barbe» wie andre, wo es ein Dach für die Häupter unsrer Schaar gab, ward auch ich von demselben beschirmt, denn sie thaten sich noch immer etwas darauf zu gute, das; das einzige Kind des Grafen vou Thann mit ihnen ziehe. Doch ward ich täglich blässer, hagrer und stiller !u mich ge¬ kehrt, bitterliche Rene, daß ich Vaterhaus und Heimat verlasse», ließ sich nicht mehr übertäuben und uicht hinwegbeten. Ich hatte schlimme Träume und sah einmal Herrn Gero und die Fuldaer Klosierschwester» die Hände über mich ringen und ein andresmal meinen Vater bitterlich um mich weinen. Die kindische Sehnsucht nach dem blauen Meere und den fernen Ostländer» wollte in diesen Tagen des Jammers schier in mir ersterben, und dann glühte sie wieder auf wie eine Flamme, über die man Asche gestreut hat. Wie wir über den eisige» Paß des Splügen zum blauen See von Cvuiv hinabstiege» und durch die geseg¬ neten Fluren wallten, wie das lombardische Volk neugierig herzuströmte und uns in fremder Zunge Glück und Heil wünschte, kam »me Hoffnung in die Herzen aller, doch in mein .Herz uicht! Vielmehr begannen mich andre dunkle Sorgen als die um Nahrung und Obdach zu beschleichen, und je länger unser Zug währte, umso minder gefiel mir und Hedwig, die ein gar kluges Kind war und ihres Vaters, des Försters, scharfe Augen hatte, die Weise, in welcher die rauhen Männer, welche die erwachsenen und gutbewafsneteu Pilger führten, den Hirten Gottfried, dem wir doch gefolgt waren, zur Seite drängten. Da ward ich i»»e, Vater Girolamo, daß ich plötzlich in den wenigen Wochen um Jahre älter geworden sei, daß ich Dinge sah und verstand, von denen ich bis dahin nichts gewußt noch geträumt hatte. Und wie wir immer weiter süd¬ wärts zogen, nahm die Zahl der jungen Kreuzfahrer »och täglich ab, die Zahl der verdächtigen Gesellen, der Bettler, Krümer und Spielleute täglich zu, unsre Wallfahrtslieder klangen immer dünner zwischen den: Geschrei und Getose um uns her, durch unser Lager schritten Kaufherren, welche mit kundigem Blick ab¬ schätzten, wie viel kräftige Knaben noch vorhanden sein mochten. Ich weiß mich nicht zu erinnern, was mir zuerst tiefe Scheu und Furcht vor diesen Männern eingeflößt, vielleicht ein Wort, das der eine oder andre in trunkenem Mute sprach, wenn er an den armen Mädchen vorüberschritt, die bei der Kreuzfahrt waren und sich jetzt allabendlich um mich sammelten. Da war vor allen Herr Pietro Vieentinv, der große Schiffsherr von Sinigaglia, der uns schon zuo erstenmal entgegengeritten kam, als wir zwischen den Sümpfen von Mantua lagern und auf Geleit warten mußten. Er führte gottgefällige Reden, wenn er vor Gottfried und seinen geistlichen Beratern stand, und versprach, daß er um des Heilands willen und ohne jedes Entgelt zehn seiner Schiffe stellen wolle, uus frei nach der syrischen Küste hinüberzuführen. Im Lager aber und unter dem Haufen ging er mit forschenden Blick und einem Lächeln umher, bei dein mich fröstelte, that in einer Stunde hundert Fragen und tauschte bald mit unsern Waffentüchtigen, bald mit einigen der Bettler und Spielleute ein Wort oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/566>, abgerufen am 29.06.2024.