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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdwörterseuche.

erkannt und dazu den rechten Willen gehabt, hat es von sich gestoßen und der
Gewohnheit den Krieg erklärt. Aber es giebt keinen Stillstand. Alles nimmt
entweder ab oder wächst, denn das ist das Gesetz des Lebens. Und diese Ge¬
wohnheit ist gewachsen und wächst gerade in uusern Tagen auf eine erschreckende
Weise. Die innern Anlässe oder Gründe, die ihr dazu helfen, sind wesentlich
dieselben, welche sie ehedem ins Dasein riefen, Dinge sehr unerfreulicher Art.

Zwar führen die Sprachmischer und Wvrtmengcr gern vernünftige Gründe
für ihre schlechte Gewohnheit an. Sie sagen, der fremde Ausdruck sei treffender
und kürzer als ein schwerfälliger und langer deutscher, und dafür ziehen sie
einige Beispiele an, die ihnen scheinbar recht geben, ja die ihnen wirklich bis¬
weilen recht geben müßten, wenn die Voraussetzung, die sie stillschweigend unter¬
schieben, haltbar und richtig wäre. Denn ist Kürze das Wesen und der Zweck
der Sprache? Und ist denn das Fremdsprachliche für den Deutschen, der nur
deutsch versteht, treffender als das Deutsche selbst? Ist Ventrilvqnist kürzer
und treffender als Bauchredner? Ist Prestidigitateur treffender und kurzer als
Taschenspieler? Ist Toilette machen treffender und kürzer als sich anziehen oder
umziehen? Ist Jnaugurationsprozession kürzer und treffender als Festzug?
Wenn ich also auch wirklich einzelne Fälle ausnehmen wollte, wo es sich um
Wörter handelt, für die wir keine bestimmten guten deutschen Ausdrücke von
derselben Bedeutung haben oder noch uicht gefunden haben, so muß ich doch
olle die sogenannten vernünftigen Gründe für eitel Selbstbetrug und Schwindel
halten.

Ursprünglich ist die Sucht, Fremdwörter an Stelle von deutschen zu ge¬
brauchen, aus Vornehmthuerei und Dünkel hervorgegangen, und sie ist genährt
wordeu durch den allgemeinen äffischen Nachahmungstrieb im Menschen und die
alte schwächliche Vorliebe für Fremdes überhaupt in uns Deutschen. Die Ge¬
lehrten gefielen sich darin, in ihr Deutsch eine Menge lateinischer Ausdrücke und
Redensarten einzumengen, und je weniger sie von Nichtgelehrten verstanden
werden konnten, umso gelehrter kamen sie sich vor. Die Höflinge machten es
mit dein Französischen ebenso, und alles, was nach den Höfen hinschielte, machte
es auch hierin den Höflingen nach; man knuderwälschte mit Wollust, und je
weniger man von einem Deutschen, der nicht französisch gelernt hatte, der also
bloß ein gewöhnlicher Kerl war, verstanden werden konnte, umso vornehmer
dünkte man sich. Beide Beweggründe sind auch heute besonders wirksam, nur
die schlechte Gewohnheit zu erweitern. Dazu kommt eine eigentümliche Furcht,
unter gewissen Verhältnissen schlecht und recht mit der Wahrheit herauszurücken,
und eine krankhciste Neigung, selbst das einfachste und natürlichste zu bemänteln
und zu beschönigen. Man sagt in sogenannter guter Gesellschaft nicht: der oder
die ist beschränkt, sondern bornirt, man schwitzt nicht in guter Gesellschaft, wenn
mau auch bei 30 Grad Rocmmur förmlich trieft, man transpirirt immer nur.
Man schlägt auch einem guten Bekannten oder einem angesehenen Manne nichts


Grenzboten IV. 1832. U1
Die Fremdwörterseuche.

erkannt und dazu den rechten Willen gehabt, hat es von sich gestoßen und der
Gewohnheit den Krieg erklärt. Aber es giebt keinen Stillstand. Alles nimmt
entweder ab oder wächst, denn das ist das Gesetz des Lebens. Und diese Ge¬
wohnheit ist gewachsen und wächst gerade in uusern Tagen auf eine erschreckende
Weise. Die innern Anlässe oder Gründe, die ihr dazu helfen, sind wesentlich
dieselben, welche sie ehedem ins Dasein riefen, Dinge sehr unerfreulicher Art.

Zwar führen die Sprachmischer und Wvrtmengcr gern vernünftige Gründe
für ihre schlechte Gewohnheit an. Sie sagen, der fremde Ausdruck sei treffender
und kürzer als ein schwerfälliger und langer deutscher, und dafür ziehen sie
einige Beispiele an, die ihnen scheinbar recht geben, ja die ihnen wirklich bis¬
weilen recht geben müßten, wenn die Voraussetzung, die sie stillschweigend unter¬
schieben, haltbar und richtig wäre. Denn ist Kürze das Wesen und der Zweck
der Sprache? Und ist denn das Fremdsprachliche für den Deutschen, der nur
deutsch versteht, treffender als das Deutsche selbst? Ist Ventrilvqnist kürzer
und treffender als Bauchredner? Ist Prestidigitateur treffender und kurzer als
Taschenspieler? Ist Toilette machen treffender und kürzer als sich anziehen oder
umziehen? Ist Jnaugurationsprozession kürzer und treffender als Festzug?
Wenn ich also auch wirklich einzelne Fälle ausnehmen wollte, wo es sich um
Wörter handelt, für die wir keine bestimmten guten deutschen Ausdrücke von
derselben Bedeutung haben oder noch uicht gefunden haben, so muß ich doch
olle die sogenannten vernünftigen Gründe für eitel Selbstbetrug und Schwindel
halten.

Ursprünglich ist die Sucht, Fremdwörter an Stelle von deutschen zu ge¬
brauchen, aus Vornehmthuerei und Dünkel hervorgegangen, und sie ist genährt
wordeu durch den allgemeinen äffischen Nachahmungstrieb im Menschen und die
alte schwächliche Vorliebe für Fremdes überhaupt in uns Deutschen. Die Ge¬
lehrten gefielen sich darin, in ihr Deutsch eine Menge lateinischer Ausdrücke und
Redensarten einzumengen, und je weniger sie von Nichtgelehrten verstanden
werden konnten, umso gelehrter kamen sie sich vor. Die Höflinge machten es
mit dein Französischen ebenso, und alles, was nach den Höfen hinschielte, machte
es auch hierin den Höflingen nach; man knuderwälschte mit Wollust, und je
weniger man von einem Deutschen, der nicht französisch gelernt hatte, der also
bloß ein gewöhnlicher Kerl war, verstanden werden konnte, umso vornehmer
dünkte man sich. Beide Beweggründe sind auch heute besonders wirksam, nur
die schlechte Gewohnheit zu erweitern. Dazu kommt eine eigentümliche Furcht,
unter gewissen Verhältnissen schlecht und recht mit der Wahrheit herauszurücken,
und eine krankhciste Neigung, selbst das einfachste und natürlichste zu bemänteln
und zu beschönigen. Man sagt in sogenannter guter Gesellschaft nicht: der oder
die ist beschränkt, sondern bornirt, man schwitzt nicht in guter Gesellschaft, wenn
mau auch bei 30 Grad Rocmmur förmlich trieft, man transpirirt immer nur.
Man schlägt auch einem guten Bekannten oder einem angesehenen Manne nichts


Grenzboten IV. 1832. U1
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[0485] Die Fremdwörterseuche. erkannt und dazu den rechten Willen gehabt, hat es von sich gestoßen und der Gewohnheit den Krieg erklärt. Aber es giebt keinen Stillstand. Alles nimmt entweder ab oder wächst, denn das ist das Gesetz des Lebens. Und diese Ge¬ wohnheit ist gewachsen und wächst gerade in uusern Tagen auf eine erschreckende Weise. Die innern Anlässe oder Gründe, die ihr dazu helfen, sind wesentlich dieselben, welche sie ehedem ins Dasein riefen, Dinge sehr unerfreulicher Art. Zwar führen die Sprachmischer und Wvrtmengcr gern vernünftige Gründe für ihre schlechte Gewohnheit an. Sie sagen, der fremde Ausdruck sei treffender und kürzer als ein schwerfälliger und langer deutscher, und dafür ziehen sie einige Beispiele an, die ihnen scheinbar recht geben, ja die ihnen wirklich bis¬ weilen recht geben müßten, wenn die Voraussetzung, die sie stillschweigend unter¬ schieben, haltbar und richtig wäre. Denn ist Kürze das Wesen und der Zweck der Sprache? Und ist denn das Fremdsprachliche für den Deutschen, der nur deutsch versteht, treffender als das Deutsche selbst? Ist Ventrilvqnist kürzer und treffender als Bauchredner? Ist Prestidigitateur treffender und kurzer als Taschenspieler? Ist Toilette machen treffender und kürzer als sich anziehen oder umziehen? Ist Jnaugurationsprozession kürzer und treffender als Festzug? Wenn ich also auch wirklich einzelne Fälle ausnehmen wollte, wo es sich um Wörter handelt, für die wir keine bestimmten guten deutschen Ausdrücke von derselben Bedeutung haben oder noch uicht gefunden haben, so muß ich doch olle die sogenannten vernünftigen Gründe für eitel Selbstbetrug und Schwindel halten. Ursprünglich ist die Sucht, Fremdwörter an Stelle von deutschen zu ge¬ brauchen, aus Vornehmthuerei und Dünkel hervorgegangen, und sie ist genährt wordeu durch den allgemeinen äffischen Nachahmungstrieb im Menschen und die alte schwächliche Vorliebe für Fremdes überhaupt in uns Deutschen. Die Ge¬ lehrten gefielen sich darin, in ihr Deutsch eine Menge lateinischer Ausdrücke und Redensarten einzumengen, und je weniger sie von Nichtgelehrten verstanden werden konnten, umso gelehrter kamen sie sich vor. Die Höflinge machten es mit dein Französischen ebenso, und alles, was nach den Höfen hinschielte, machte es auch hierin den Höflingen nach; man knuderwälschte mit Wollust, und je weniger man von einem Deutschen, der nicht französisch gelernt hatte, der also bloß ein gewöhnlicher Kerl war, verstanden werden konnte, umso vornehmer dünkte man sich. Beide Beweggründe sind auch heute besonders wirksam, nur die schlechte Gewohnheit zu erweitern. Dazu kommt eine eigentümliche Furcht, unter gewissen Verhältnissen schlecht und recht mit der Wahrheit herauszurücken, und eine krankhciste Neigung, selbst das einfachste und natürlichste zu bemänteln und zu beschönigen. Man sagt in sogenannter guter Gesellschaft nicht: der oder die ist beschränkt, sondern bornirt, man schwitzt nicht in guter Gesellschaft, wenn mau auch bei 30 Grad Rocmmur förmlich trieft, man transpirirt immer nur. Man schlägt auch einem guten Bekannten oder einem angesehenen Manne nichts Grenzboten IV. 1832. U1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/485>, abgerufen am 29.06.2024.