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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Herr von (öiers in Darzin.

der Giersschen Reise um eine Aufmerksamkeit gegen den Reichskanzler gehandelt.
Diesem seien die fremden Gesandtschaften in Dresden, München und Stuttgart
eili Dorn im Auge, und Herr von Giers habe ihm jetzt die Zusage überbracht,
die russischen Posten dieser Art nächstens eingehen zu lassen, Woher das fran¬
zösische Blatt das hat, wissen wir nicht, vermuten aber, daß der Verfasser es
sich aus deu Fingern gesogen hat; denn bisher hatten wir Ursache, zu glauben,
daß der Kanzler den betreffenden Höfen dieses Ornament gönnt und keinerlei
Gefahr darin verborgen sieht. Wenn der "Ganlvis" ferner meint, man habe
in der Narziner Reise des russischen Ministers ein günstiges Symptom für den
Stand der Koinpensativnsfvrderungen zu erblicken, die Frankreich für seine Ein¬
willigung in das englische Protektorat über Ägypten erhoben habe, denn es sei
von einer Schwenkung Deutschlands in dieser Frage die Rede, die sich gegen
England richte, so kommt uns das sehr unwahrscheinlich vor. Wäre Herr von
Giers als Fürsprecher einer Unterstützung der Wünsche Frankreichs durch Deutsch¬
land erschienen, so würde das ein höchst eigentümlicher, gerechte Bedenken er¬
weckender Schritt gewesen sein, ein von Frankreich selbst in dieser Richtung er-
folgter wäre natürlicher gewesen; von einer Schwenkung gegen England aber
kann deshalb nicht wohl die Rede sein, weil die deutsche Politik unsers Wissens
bisher nicht für Englands Pläne in Ägypten gewesen ist, sondern sich neutral
verhalten hat -- beiläufig ganz so wie zu dem französischen Protektorat in
Tunis.

Sehr optimistisch faßten verschiedene österreichische Blätter infolge des
Giersschen Besuchs die gegenwärtige Weltlage auf. Recht verständig dagegen
bemerkte die "Leipziger Zeitung" zu solchen vertrauensvollen Diagnosen der
immer in gewissem Maße von den innern Zuständen Rußlands abhängigen
Lage Europas: "Daß der Kaiser Alexander den Frieden liebt und alles
thut, um denselben zu erhalten, ist bekannt, ebenso aber auch, daß die revo¬
lutionäre Bewegung im Innern Rußlands, welche jeder Berechnung spottet,
noch keineswegs gebrochen ist. Greift der Nihilismus doch noch immer weiter
um sich, sodaß noch kein Ende dieser staatsverderblichen Propaganda abzu¬
sehen ist."

Werfen wir einen Blick auf die englische Presse, so begegnen Nur in den
konservativen Blättern Besprechungen der Reise des russischen Staatsmannes,
die, wenn man ihren Ergebnissen nicht überall beipflichten kann, wenigstens viel
Wohlwollen für Deutschland kundgeben und dessen gegenwärtige Bedeutung bereit¬
willig anerkennen. So weist der "Standard" darauf hin, daß der Schwerpunkt
der politischen Entscheidungen, wenn überhaupt irgendwo, in Varzin liegt.
"Möglichstes Gleichgewicht mit Deutschland im Schwerpunkte, sagt er, das ist
die Anschauung des Fürsten Vismarck von einer wohlgeordneten Lage der Welt.
Allerdings ist das bisher nicht die Meinung der russischen Politiker gewesen,
indeß wo Rußland seine eignen Wege gegangen ist, war das Ende stets Ver-


Herr von (öiers in Darzin.

der Giersschen Reise um eine Aufmerksamkeit gegen den Reichskanzler gehandelt.
Diesem seien die fremden Gesandtschaften in Dresden, München und Stuttgart
eili Dorn im Auge, und Herr von Giers habe ihm jetzt die Zusage überbracht,
die russischen Posten dieser Art nächstens eingehen zu lassen, Woher das fran¬
zösische Blatt das hat, wissen wir nicht, vermuten aber, daß der Verfasser es
sich aus deu Fingern gesogen hat; denn bisher hatten wir Ursache, zu glauben,
daß der Kanzler den betreffenden Höfen dieses Ornament gönnt und keinerlei
Gefahr darin verborgen sieht. Wenn der „Ganlvis" ferner meint, man habe
in der Narziner Reise des russischen Ministers ein günstiges Symptom für den
Stand der Koinpensativnsfvrderungen zu erblicken, die Frankreich für seine Ein¬
willigung in das englische Protektorat über Ägypten erhoben habe, denn es sei
von einer Schwenkung Deutschlands in dieser Frage die Rede, die sich gegen
England richte, so kommt uns das sehr unwahrscheinlich vor. Wäre Herr von
Giers als Fürsprecher einer Unterstützung der Wünsche Frankreichs durch Deutsch¬
land erschienen, so würde das ein höchst eigentümlicher, gerechte Bedenken er¬
weckender Schritt gewesen sein, ein von Frankreich selbst in dieser Richtung er-
folgter wäre natürlicher gewesen; von einer Schwenkung gegen England aber
kann deshalb nicht wohl die Rede sein, weil die deutsche Politik unsers Wissens
bisher nicht für Englands Pläne in Ägypten gewesen ist, sondern sich neutral
verhalten hat — beiläufig ganz so wie zu dem französischen Protektorat in
Tunis.

Sehr optimistisch faßten verschiedene österreichische Blätter infolge des
Giersschen Besuchs die gegenwärtige Weltlage auf. Recht verständig dagegen
bemerkte die „Leipziger Zeitung" zu solchen vertrauensvollen Diagnosen der
immer in gewissem Maße von den innern Zuständen Rußlands abhängigen
Lage Europas: „Daß der Kaiser Alexander den Frieden liebt und alles
thut, um denselben zu erhalten, ist bekannt, ebenso aber auch, daß die revo¬
lutionäre Bewegung im Innern Rußlands, welche jeder Berechnung spottet,
noch keineswegs gebrochen ist. Greift der Nihilismus doch noch immer weiter
um sich, sodaß noch kein Ende dieser staatsverderblichen Propaganda abzu¬
sehen ist."

Werfen wir einen Blick auf die englische Presse, so begegnen Nur in den
konservativen Blättern Besprechungen der Reise des russischen Staatsmannes,
die, wenn man ihren Ergebnissen nicht überall beipflichten kann, wenigstens viel
Wohlwollen für Deutschland kundgeben und dessen gegenwärtige Bedeutung bereit¬
willig anerkennen. So weist der „Standard" darauf hin, daß der Schwerpunkt
der politischen Entscheidungen, wenn überhaupt irgendwo, in Varzin liegt.
„Möglichstes Gleichgewicht mit Deutschland im Schwerpunkte, sagt er, das ist
die Anschauung des Fürsten Vismarck von einer wohlgeordneten Lage der Welt.
Allerdings ist das bisher nicht die Meinung der russischen Politiker gewesen,
indeß wo Rußland seine eignen Wege gegangen ist, war das Ende stets Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/470>, abgerufen am 28.09.2024.