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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Vom wiener Burgtheater.

bewährten Praktikern werde leiten lassen. Darin hatten sie sich arg verrechnet.
Lande fand die Schauspieler, von denen er in den dreißiger Jahren entzückt
worden war, rin soviel älter geworden und erkannte, daß vor allen, für Nach¬
wuchs gesorgt werden müsse; die Schauspieler hingegen wollten nicht einsehen,
daß ein vorsorglicher Direktor nicht so lange warten dürfe, bis das Publikum
ihn daran erinnere, daß ein Romeo an der Schwelle der Sechziger die Illusion
doch einigermaßen störe. Darüber entbrannte der Krieg, in welchem auf seiten
der Schauspieler alle ehemaligen Aspiranten ans die Dircktorstelle und alle sich
zurückgesetzt fühlenden hoffnungsvollen Dramatiker standen, in welchem aber Laube
durch seine Ausdauer deu Sieg davontrug. So große Fehler er beging, so
ungerecht ihn die Opposition der Alten gegen diese Opponenten machte, so oft
er anch seinen Wienern Mittelgut als erste Qualität aufdisputiren wollte: im
Laufe der Jahre gewöhnte das Publikum sich an die neuen Erscheinungen, ge¬
wann viele davon lieb, wurde auf einige stolz. Und das bewirkte nicht allein
die Macht der Gewohnheit, die talentvollen Jüngeren hatten von den Alten
soviel gelernt, sich allmählich dermaßen in den Stil der Bühne eingespielt, daß
die scheel angesehenen Eindringlinge berufene Nachfolger der bewunderten Größen
wurden. Die heutigen Stützen des Vurgthcaters gehören fast ausnahmslos in
diese Kategorie und siud jetzt so sehr eingewöhnt, daß sie ihre eigne Vergangen¬
heit vergessen zu haben scheinen.

Auf Laube folgte, wenn auch nicht unmittelbar, Dingelstedt, der Mann
von kavaliermäßigen Neigungen und Manieren, dein das Theater so wenig wie
irgend etwas andres Herzenssache war, der große Aktionen, wie die Aufführung
der historischen Dramen Shakespeares, selbst leitete, die tägliche Arbeit jedoch
gern ans andre Schultern abwälzte. Unter ihm und während des abermaligen
Interregnums unter einem Intendanten, welcher unmittelbar vorher Finanz¬
minister gewesen war, hatten wieder die als Regisseure fungirenden Schauspieler
das Ruder so ziemlich in die Hände bekommen, was bald zu spüren war. In
den meisten Schauspielern steckt wohl etwas vom Weber Zettel, die Neigung
valles zu spielen und die Überzeugung alles spielen zu können, und es ist immer
schon ein Gewinn, wenn wenigstens ihrer mehrere sich brüderlich in das teilen,
locis ihnen nicht zukommt. Da erlebte man denn die erstaunlichsten Experimente,
^or allen schien Sonnenthal, der ja im bürgerlichen Schauspiel und Lustspiel
w Deutschland keinen Nebenbuhler zu fürchten hat, alle Einsicht in die Grenzen
seiner Begabung verloren zu haben. Und nicht genug, daß er, dein die Natur
nichts Heldenhaftes verliehen hat, glaubte, den Othello frei nach Salvini und
den Tel! frei nach Anschütz geben zu müssen, daß er garnicht die Komik, die <zö>>-
l'r-MMc" in liäskow im "Jüdischen Bauernhelden" empfand: er wurde anch --
Dichter. Der Konlissenklatsch wußte nämlich bei Zeiten das hochwichtige Er-
klgnis zu berichten, daß Sounenthal el" dem Vurgtheater eingereichtes Lustspiel


Grenzboten IV. 1882. et
Vom wiener Burgtheater.

bewährten Praktikern werde leiten lassen. Darin hatten sie sich arg verrechnet.
Lande fand die Schauspieler, von denen er in den dreißiger Jahren entzückt
worden war, rin soviel älter geworden und erkannte, daß vor allen, für Nach¬
wuchs gesorgt werden müsse; die Schauspieler hingegen wollten nicht einsehen,
daß ein vorsorglicher Direktor nicht so lange warten dürfe, bis das Publikum
ihn daran erinnere, daß ein Romeo an der Schwelle der Sechziger die Illusion
doch einigermaßen störe. Darüber entbrannte der Krieg, in welchem auf seiten
der Schauspieler alle ehemaligen Aspiranten ans die Dircktorstelle und alle sich
zurückgesetzt fühlenden hoffnungsvollen Dramatiker standen, in welchem aber Laube
durch seine Ausdauer deu Sieg davontrug. So große Fehler er beging, so
ungerecht ihn die Opposition der Alten gegen diese Opponenten machte, so oft
er anch seinen Wienern Mittelgut als erste Qualität aufdisputiren wollte: im
Laufe der Jahre gewöhnte das Publikum sich an die neuen Erscheinungen, ge¬
wann viele davon lieb, wurde auf einige stolz. Und das bewirkte nicht allein
die Macht der Gewohnheit, die talentvollen Jüngeren hatten von den Alten
soviel gelernt, sich allmählich dermaßen in den Stil der Bühne eingespielt, daß
die scheel angesehenen Eindringlinge berufene Nachfolger der bewunderten Größen
wurden. Die heutigen Stützen des Vurgthcaters gehören fast ausnahmslos in
diese Kategorie und siud jetzt so sehr eingewöhnt, daß sie ihre eigne Vergangen¬
heit vergessen zu haben scheinen.

Auf Laube folgte, wenn auch nicht unmittelbar, Dingelstedt, der Mann
von kavaliermäßigen Neigungen und Manieren, dein das Theater so wenig wie
irgend etwas andres Herzenssache war, der große Aktionen, wie die Aufführung
der historischen Dramen Shakespeares, selbst leitete, die tägliche Arbeit jedoch
gern ans andre Schultern abwälzte. Unter ihm und während des abermaligen
Interregnums unter einem Intendanten, welcher unmittelbar vorher Finanz¬
minister gewesen war, hatten wieder die als Regisseure fungirenden Schauspieler
das Ruder so ziemlich in die Hände bekommen, was bald zu spüren war. In
den meisten Schauspielern steckt wohl etwas vom Weber Zettel, die Neigung
valles zu spielen und die Überzeugung alles spielen zu können, und es ist immer
schon ein Gewinn, wenn wenigstens ihrer mehrere sich brüderlich in das teilen,
locis ihnen nicht zukommt. Da erlebte man denn die erstaunlichsten Experimente,
^or allen schien Sonnenthal, der ja im bürgerlichen Schauspiel und Lustspiel
w Deutschland keinen Nebenbuhler zu fürchten hat, alle Einsicht in die Grenzen
seiner Begabung verloren zu haben. Und nicht genug, daß er, dein die Natur
nichts Heldenhaftes verliehen hat, glaubte, den Othello frei nach Salvini und
den Tel! frei nach Anschütz geben zu müssen, daß er garnicht die Komik, die <zö>>-
l'r-MMc» in liäskow im „Jüdischen Bauernhelden" empfand: er wurde anch —
Dichter. Der Konlissenklatsch wußte nämlich bei Zeiten das hochwichtige Er-
klgnis zu berichten, daß Sounenthal el» dem Vurgtheater eingereichtes Lustspiel


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[0045] Vom wiener Burgtheater. bewährten Praktikern werde leiten lassen. Darin hatten sie sich arg verrechnet. Lande fand die Schauspieler, von denen er in den dreißiger Jahren entzückt worden war, rin soviel älter geworden und erkannte, daß vor allen, für Nach¬ wuchs gesorgt werden müsse; die Schauspieler hingegen wollten nicht einsehen, daß ein vorsorglicher Direktor nicht so lange warten dürfe, bis das Publikum ihn daran erinnere, daß ein Romeo an der Schwelle der Sechziger die Illusion doch einigermaßen störe. Darüber entbrannte der Krieg, in welchem auf seiten der Schauspieler alle ehemaligen Aspiranten ans die Dircktorstelle und alle sich zurückgesetzt fühlenden hoffnungsvollen Dramatiker standen, in welchem aber Laube durch seine Ausdauer deu Sieg davontrug. So große Fehler er beging, so ungerecht ihn die Opposition der Alten gegen diese Opponenten machte, so oft er anch seinen Wienern Mittelgut als erste Qualität aufdisputiren wollte: im Laufe der Jahre gewöhnte das Publikum sich an die neuen Erscheinungen, ge¬ wann viele davon lieb, wurde auf einige stolz. Und das bewirkte nicht allein die Macht der Gewohnheit, die talentvollen Jüngeren hatten von den Alten soviel gelernt, sich allmählich dermaßen in den Stil der Bühne eingespielt, daß die scheel angesehenen Eindringlinge berufene Nachfolger der bewunderten Größen wurden. Die heutigen Stützen des Vurgthcaters gehören fast ausnahmslos in diese Kategorie und siud jetzt so sehr eingewöhnt, daß sie ihre eigne Vergangen¬ heit vergessen zu haben scheinen. Auf Laube folgte, wenn auch nicht unmittelbar, Dingelstedt, der Mann von kavaliermäßigen Neigungen und Manieren, dein das Theater so wenig wie irgend etwas andres Herzenssache war, der große Aktionen, wie die Aufführung der historischen Dramen Shakespeares, selbst leitete, die tägliche Arbeit jedoch gern ans andre Schultern abwälzte. Unter ihm und während des abermaligen Interregnums unter einem Intendanten, welcher unmittelbar vorher Finanz¬ minister gewesen war, hatten wieder die als Regisseure fungirenden Schauspieler das Ruder so ziemlich in die Hände bekommen, was bald zu spüren war. In den meisten Schauspielern steckt wohl etwas vom Weber Zettel, die Neigung valles zu spielen und die Überzeugung alles spielen zu können, und es ist immer schon ein Gewinn, wenn wenigstens ihrer mehrere sich brüderlich in das teilen, locis ihnen nicht zukommt. Da erlebte man denn die erstaunlichsten Experimente, ^or allen schien Sonnenthal, der ja im bürgerlichen Schauspiel und Lustspiel w Deutschland keinen Nebenbuhler zu fürchten hat, alle Einsicht in die Grenzen seiner Begabung verloren zu haben. Und nicht genug, daß er, dein die Natur nichts Heldenhaftes verliehen hat, glaubte, den Othello frei nach Salvini und den Tel! frei nach Anschütz geben zu müssen, daß er garnicht die Komik, die <zö>>- l'r-MMc» in liäskow im „Jüdischen Bauernhelden" empfand: er wurde anch — Dichter. Der Konlissenklatsch wußte nämlich bei Zeiten das hochwichtige Er- klgnis zu berichten, daß Sounenthal el» dem Vurgtheater eingereichtes Lustspiel Grenzboten IV. 1882. et

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/45>, abgerufen am 26.06.2024.