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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdwörterseuche.

führt der Witz auf ewig mit dem Schönen!" Dieses Dichterwortes darf man
sich getrösten, denn der Kampf gegen jenen Unfug ist zugleich ein Kampf für
die Schönheit unsrer Sprache selbst.

Eine andre Erwägung aber fällt viel schwerer ins Gewicht und läßt -- wer
könnte und wollte sich da täuschen! -- von vornherein einen Erfolg zweifelhaft
erscheinen. Es ist nicht zu leugnen, daß eine sehr große Gleichgültigkeit gegen
die Reinheit und Schönheit der deutschen Sprache fast allgemein herrscht. Ein
Eintreten für diese Ziele ist also keineswegs einladend und ermutigend. Klüger,
weltkluger möchte es jedenfalls sein, zu schweigen und den Dingen ihren Lauf
zu lassen. Aber eine edle und bedeutende Sache hat das Recht, Mut und Ent¬
schlossenheit zu verlangen, und derjenige, der eine solche Sache in ihrem Adel
und ihrer Größe erkannt hat, hat auch die Verpflichtung, für sie einzutreten.
Er muß seiue Schuldigkeit thun. Und da der Erfolg menschlicher Bestrebungen
niemals in der Hand von deren Trügern liegt, so darf er auch hier ruhig den
Erfolg jenen höhern Mächten, die ihn herbeiführen oder zurückhalten, anvertrauen.
In diesem Sinne glaube ich nur eine unabweisliche Pflicht zu erfüllen. Ich
will meiner Nation einen Dienst erweisen und will ihr einen Spiegel vorhalten,
gleichviel, was daraus werden mag.

Jene allgemeine Gleichgiltigkeit ist allerdings auffällig genug, und wenn
man sie mit andern verwandten Erscheinungen vergleicht, nicht eben leicht be¬
greiflich. Denn die Sprache bildet fortwährend einen Gegenstand der allgemeinen
Aufmerksamkeit wie der wissenschaftlichen Forschung. Mau macht allerlei Wörter¬
bücher unsrer Sprache, erforscht sie in ihren Anfängen und Umbildungen und
sucht die Gesetze ihres Baues und ihrer Wandlungen auf. Man schreibt Bücher
über den Sprachgebrauch und die Sprachrichtigkeit, über die sprachlichen Un¬
arten und Verstöße der Gegenwart, man ereifert sich über irgend ein neu-
gebildetes Wort, mau fördert tausend und eine Schrift über die Rechtschrei-
bnngsfrage ans Licht und zeigt sich höchst empfindlich gegen ungewohnte oder
unbekannte Einzelheiten, die dem ältern Sprachgebrauch oder einzelnen Mund¬
arten entlehnt sind. Alles das sind, abgesehen von Auswüchsen und Übertrei¬
bungen, an deuen es nicht fehlt, im großen und ganzen lobenswerte, nützliche
und selbst vortreffliche Bemühungen. Aber wer bemüht sich, die Sprache von
den fremden Eindringlingen und Schmarotzern, den beschämenden Zeugen jener
Zeiten des tiefen Verfalls unsrer Nation, zu befreien? Und wie oft geschieht
es, daß die Verfasser solcher sprachlichen Schriften, daß solche Tadler selbst viel
ärgere und schlimmere Dinge begehen, als die sind, gegen welche sie zu Felde
ziehen, indem sie die Sprache greulich entstellen und verqnntschen. Der unge-
meinen und sehr reizbaren Empfindlichkeit gegen ein überflüssiges s, h oder e,
gegen eine ungewöhnliche Formbildung oder einen nicht geläufigen mundartlichen
Ausdruck steht eine Empfinduugslvsigkeit gegenüber in Bezug ans die Reinheit
und Schönheit der Sprache, die kaum zu begreifen ist.


Die Fremdwörterseuche.

führt der Witz auf ewig mit dem Schönen!" Dieses Dichterwortes darf man
sich getrösten, denn der Kampf gegen jenen Unfug ist zugleich ein Kampf für
die Schönheit unsrer Sprache selbst.

Eine andre Erwägung aber fällt viel schwerer ins Gewicht und läßt — wer
könnte und wollte sich da täuschen! — von vornherein einen Erfolg zweifelhaft
erscheinen. Es ist nicht zu leugnen, daß eine sehr große Gleichgültigkeit gegen
die Reinheit und Schönheit der deutschen Sprache fast allgemein herrscht. Ein
Eintreten für diese Ziele ist also keineswegs einladend und ermutigend. Klüger,
weltkluger möchte es jedenfalls sein, zu schweigen und den Dingen ihren Lauf
zu lassen. Aber eine edle und bedeutende Sache hat das Recht, Mut und Ent¬
schlossenheit zu verlangen, und derjenige, der eine solche Sache in ihrem Adel
und ihrer Größe erkannt hat, hat auch die Verpflichtung, für sie einzutreten.
Er muß seiue Schuldigkeit thun. Und da der Erfolg menschlicher Bestrebungen
niemals in der Hand von deren Trügern liegt, so darf er auch hier ruhig den
Erfolg jenen höhern Mächten, die ihn herbeiführen oder zurückhalten, anvertrauen.
In diesem Sinne glaube ich nur eine unabweisliche Pflicht zu erfüllen. Ich
will meiner Nation einen Dienst erweisen und will ihr einen Spiegel vorhalten,
gleichviel, was daraus werden mag.

Jene allgemeine Gleichgiltigkeit ist allerdings auffällig genug, und wenn
man sie mit andern verwandten Erscheinungen vergleicht, nicht eben leicht be¬
greiflich. Denn die Sprache bildet fortwährend einen Gegenstand der allgemeinen
Aufmerksamkeit wie der wissenschaftlichen Forschung. Mau macht allerlei Wörter¬
bücher unsrer Sprache, erforscht sie in ihren Anfängen und Umbildungen und
sucht die Gesetze ihres Baues und ihrer Wandlungen auf. Man schreibt Bücher
über den Sprachgebrauch und die Sprachrichtigkeit, über die sprachlichen Un¬
arten und Verstöße der Gegenwart, man ereifert sich über irgend ein neu-
gebildetes Wort, mau fördert tausend und eine Schrift über die Rechtschrei-
bnngsfrage ans Licht und zeigt sich höchst empfindlich gegen ungewohnte oder
unbekannte Einzelheiten, die dem ältern Sprachgebrauch oder einzelnen Mund¬
arten entlehnt sind. Alles das sind, abgesehen von Auswüchsen und Übertrei¬
bungen, an deuen es nicht fehlt, im großen und ganzen lobenswerte, nützliche
und selbst vortreffliche Bemühungen. Aber wer bemüht sich, die Sprache von
den fremden Eindringlingen und Schmarotzern, den beschämenden Zeugen jener
Zeiten des tiefen Verfalls unsrer Nation, zu befreien? Und wie oft geschieht
es, daß die Verfasser solcher sprachlichen Schriften, daß solche Tadler selbst viel
ärgere und schlimmere Dinge begehen, als die sind, gegen welche sie zu Felde
ziehen, indem sie die Sprache greulich entstellen und verqnntschen. Der unge-
meinen und sehr reizbaren Empfindlichkeit gegen ein überflüssiges s, h oder e,
gegen eine ungewöhnliche Formbildung oder einen nicht geläufigen mundartlichen
Ausdruck steht eine Empfinduugslvsigkeit gegenüber in Bezug ans die Reinheit
und Schönheit der Sprache, die kaum zu begreifen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/442>, abgerufen am 28.09.2024.