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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

Welche Bedeutung überhaupt für die Behandlung sozialer Fragen die stete
Berührung mit dem praktischen Leben hat, zeigte sich auch in dieser katholischen
Generalversammlung und zwar sogleich im ersten Antrage, welcher, vom Fürsten
Löwenstein ausgehend, forderte, daß die anwesenden Herren, welche in die soziale
Frage eingeweiht seien, zusammentreten und der Versammlung Resolutionen über
Wucher, Arbeitslohn und Grnndentlastnng vorschlagen sollten. Was damit ver¬
langt wurde, muß nicht nnr sofort als unpraktisch, sondern einfach als un¬
möglich bezeichnet werden; was denn mich von den Praktikern der Versammlung
geschah.

War dies letztere nnn an sich wohlbegründet, so muß es andrerseits doch
befremden, daß auch die katholischen Sozialpvlitiker hinsichtlich jener drei Frage",
welche zu den einflußreichsten in Beziehung ans die gegenwärtige soziale Be¬
wegung gehören, selbst noch so unschlüssig zu sein scheinen. In gewisser Be¬
ziehung ist es freilich erklärlich genug. Sobald man gerade die angeregten
Fragen berührt, so ergiebt sich, daß ihnen gegenüber mit einfacher Negation
der bestehenden Zustande nichts gethan ist. Man muß vor ihnen einen positiven
Standpunkt gewinnen, um die Dinge mit voller Klarheit über Grund und Ziel
anzugreifen. Da aber scheint anch bei den katholischen Sozialpolitikern die
schwache Seite zu sein. Ein solcher positiver Angriff, selbst auf den Wucher,
wäre uicht uur für bestehende Anschauungen höchst widerwärtig, sondern griffe
auch tief in Interessen, die zu verletzen die römische Klugheit uicht zuläßt.
Freilich, hinsichtlich der Grnndentlastnng hat man ja jetzt, und zwar von katho¬
lischer Seite her, positive Vorschläge: allein es ist doch sehr fraglich, ob diese
Vorschlüge der Sachlage entsprechen, insbesondre, ob sie in den Reihen der
katholischen Grundbesitzer selbst das erforderliche Entgegenkommen finden werden.
Es ist ja ganz schön, die Hypothekenschulden zu beseitigen. Selbstverständlich
aber ist diese Beseitigung nicht denkbar ohne gleichzeitige Beseitigung des Rechtes,
neue Schulden zu machen. Das ist aber offenbar in den Angen vieler, wenn


der Arbeiter ist eine Weber- und Spinuerkolouie in der Nähe gegründet. Es ist für altes
Sorge getragen. Diese komplizirte Organisation kann natürlich nur dnrch strenge Disziplin
erhalten werden; wer sich derselben nicht fügt, wird entlassen. Und hier stelln wir vor dein
Problem, um dem noch alte sozialistischen Schulen gescheitert sind: Wie ist die Pflicht zur
Arbeit in Verbindung zu bringen mit der Freiheit des Individuums? Da Montcean und
Blnncy Monopol der Gesellschaft ist, so bedeutet Entlassung auch den Bettelstab, und darin
liegt eine gewisse Härte, die aller von dein System nicht zu trennen ist. Der Chef der
Kompagnie M. Magot steht im Rufe strenger Rechtlichkeit und aufopfernder Wohlthätigkeit.
Die republikanischen Blätter machen ihm zum Vorwurf, das; er auf strenge Nnsübung der
Religionsgebräuche halte; aber nach seineu Vorschriften und den Statuten der Kompnguie
darf er uicht anders handeln." Es zeigt sich hier deutlich, das; auch Veranstaltungen kirch¬
lichen Ursprungs, deren wir weiter unten noch mehr kennen lernen werden, nicht ausreichend
sind. Die soziale Bewegung unsrer Zeit hat eben anch einen eminent politischen Inhalt,
den Ulan nicht übersehen darf.
Debatten über die soziale Frage.

Welche Bedeutung überhaupt für die Behandlung sozialer Fragen die stete
Berührung mit dem praktischen Leben hat, zeigte sich auch in dieser katholischen
Generalversammlung und zwar sogleich im ersten Antrage, welcher, vom Fürsten
Löwenstein ausgehend, forderte, daß die anwesenden Herren, welche in die soziale
Frage eingeweiht seien, zusammentreten und der Versammlung Resolutionen über
Wucher, Arbeitslohn und Grnndentlastnng vorschlagen sollten. Was damit ver¬
langt wurde, muß nicht nnr sofort als unpraktisch, sondern einfach als un¬
möglich bezeichnet werden; was denn mich von den Praktikern der Versammlung
geschah.

War dies letztere nnn an sich wohlbegründet, so muß es andrerseits doch
befremden, daß auch die katholischen Sozialpvlitiker hinsichtlich jener drei Frage»,
welche zu den einflußreichsten in Beziehung ans die gegenwärtige soziale Be¬
wegung gehören, selbst noch so unschlüssig zu sein scheinen. In gewisser Be¬
ziehung ist es freilich erklärlich genug. Sobald man gerade die angeregten
Fragen berührt, so ergiebt sich, daß ihnen gegenüber mit einfacher Negation
der bestehenden Zustande nichts gethan ist. Man muß vor ihnen einen positiven
Standpunkt gewinnen, um die Dinge mit voller Klarheit über Grund und Ziel
anzugreifen. Da aber scheint anch bei den katholischen Sozialpolitikern die
schwache Seite zu sein. Ein solcher positiver Angriff, selbst auf den Wucher,
wäre uicht uur für bestehende Anschauungen höchst widerwärtig, sondern griffe
auch tief in Interessen, die zu verletzen die römische Klugheit uicht zuläßt.
Freilich, hinsichtlich der Grnndentlastnng hat man ja jetzt, und zwar von katho¬
lischer Seite her, positive Vorschläge: allein es ist doch sehr fraglich, ob diese
Vorschlüge der Sachlage entsprechen, insbesondre, ob sie in den Reihen der
katholischen Grundbesitzer selbst das erforderliche Entgegenkommen finden werden.
Es ist ja ganz schön, die Hypothekenschulden zu beseitigen. Selbstverständlich
aber ist diese Beseitigung nicht denkbar ohne gleichzeitige Beseitigung des Rechtes,
neue Schulden zu machen. Das ist aber offenbar in den Angen vieler, wenn


der Arbeiter ist eine Weber- und Spinuerkolouie in der Nähe gegründet. Es ist für altes
Sorge getragen. Diese komplizirte Organisation kann natürlich nur dnrch strenge Disziplin
erhalten werden; wer sich derselben nicht fügt, wird entlassen. Und hier stelln wir vor dein
Problem, um dem noch alte sozialistischen Schulen gescheitert sind: Wie ist die Pflicht zur
Arbeit in Verbindung zu bringen mit der Freiheit des Individuums? Da Montcean und
Blnncy Monopol der Gesellschaft ist, so bedeutet Entlassung auch den Bettelstab, und darin
liegt eine gewisse Härte, die aller von dein System nicht zu trennen ist. Der Chef der
Kompagnie M. Magot steht im Rufe strenger Rechtlichkeit und aufopfernder Wohlthätigkeit.
Die republikanischen Blätter machen ihm zum Vorwurf, das; er auf strenge Nnsübung der
Religionsgebräuche halte; aber nach seineu Vorschriften und den Statuten der Kompnguie
darf er uicht anders handeln." Es zeigt sich hier deutlich, das; auch Veranstaltungen kirch¬
lichen Ursprungs, deren wir weiter unten noch mehr kennen lernen werden, nicht ausreichend
sind. Die soziale Bewegung unsrer Zeit hat eben anch einen eminent politischen Inhalt,
den Ulan nicht übersehen darf.
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[0434] Debatten über die soziale Frage. Welche Bedeutung überhaupt für die Behandlung sozialer Fragen die stete Berührung mit dem praktischen Leben hat, zeigte sich auch in dieser katholischen Generalversammlung und zwar sogleich im ersten Antrage, welcher, vom Fürsten Löwenstein ausgehend, forderte, daß die anwesenden Herren, welche in die soziale Frage eingeweiht seien, zusammentreten und der Versammlung Resolutionen über Wucher, Arbeitslohn und Grnndentlastnng vorschlagen sollten. Was damit ver¬ langt wurde, muß nicht nnr sofort als unpraktisch, sondern einfach als un¬ möglich bezeichnet werden; was denn mich von den Praktikern der Versammlung geschah. War dies letztere nnn an sich wohlbegründet, so muß es andrerseits doch befremden, daß auch die katholischen Sozialpvlitiker hinsichtlich jener drei Frage», welche zu den einflußreichsten in Beziehung ans die gegenwärtige soziale Be¬ wegung gehören, selbst noch so unschlüssig zu sein scheinen. In gewisser Be¬ ziehung ist es freilich erklärlich genug. Sobald man gerade die angeregten Fragen berührt, so ergiebt sich, daß ihnen gegenüber mit einfacher Negation der bestehenden Zustande nichts gethan ist. Man muß vor ihnen einen positiven Standpunkt gewinnen, um die Dinge mit voller Klarheit über Grund und Ziel anzugreifen. Da aber scheint anch bei den katholischen Sozialpolitikern die schwache Seite zu sein. Ein solcher positiver Angriff, selbst auf den Wucher, wäre uicht uur für bestehende Anschauungen höchst widerwärtig, sondern griffe auch tief in Interessen, die zu verletzen die römische Klugheit uicht zuläßt. Freilich, hinsichtlich der Grnndentlastnng hat man ja jetzt, und zwar von katho¬ lischer Seite her, positive Vorschläge: allein es ist doch sehr fraglich, ob diese Vorschlüge der Sachlage entsprechen, insbesondre, ob sie in den Reihen der katholischen Grundbesitzer selbst das erforderliche Entgegenkommen finden werden. Es ist ja ganz schön, die Hypothekenschulden zu beseitigen. Selbstverständlich aber ist diese Beseitigung nicht denkbar ohne gleichzeitige Beseitigung des Rechtes, neue Schulden zu machen. Das ist aber offenbar in den Angen vieler, wenn der Arbeiter ist eine Weber- und Spinuerkolouie in der Nähe gegründet. Es ist für altes Sorge getragen. Diese komplizirte Organisation kann natürlich nur dnrch strenge Disziplin erhalten werden; wer sich derselben nicht fügt, wird entlassen. Und hier stelln wir vor dein Problem, um dem noch alte sozialistischen Schulen gescheitert sind: Wie ist die Pflicht zur Arbeit in Verbindung zu bringen mit der Freiheit des Individuums? Da Montcean und Blnncy Monopol der Gesellschaft ist, so bedeutet Entlassung auch den Bettelstab, und darin liegt eine gewisse Härte, die aller von dein System nicht zu trennen ist. Der Chef der Kompagnie M. Magot steht im Rufe strenger Rechtlichkeit und aufopfernder Wohlthätigkeit. Die republikanischen Blätter machen ihm zum Vorwurf, das; er auf strenge Nnsübung der Religionsgebräuche halte; aber nach seineu Vorschriften und den Statuten der Kompnguie darf er uicht anders handeln." Es zeigt sich hier deutlich, das; auch Veranstaltungen kirch¬ lichen Ursprungs, deren wir weiter unten noch mehr kennen lernen werden, nicht ausreichend sind. Die soziale Bewegung unsrer Zeit hat eben anch einen eminent politischen Inhalt, den Ulan nicht übersehen darf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/434>, abgerufen am 29.06.2024.