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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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politische Briefe.

organisatorischem Wege zu erfolgen hat, liegt sie der Reichsgesetzgebung ob.
Der preußische Staat aber kann und soll für die ärmern Volksklnssen durch
Abnahme der Klassensteuer, zunächst der untersten Stufen derselben, eine wesent¬
liche Erleichterung schaffen. Diese Erleichterung soll nach der Thronrede un¬
verzüglich bewirkt werdeu und den neuen Lcmdtcig schon in der jetzt beginnenden
Session beschäftigen.

Zu diesen guten Dingen braucht der preußische Staat Geld, und er kann
dieses Geld nur horn Reiche fordern. Denn seine beste Steuerquelle, die in¬
direkten Abgaben, hat der preußische Staat dem Reiche abgetreten. Schreibt
auch die Reichsverfassung diese Abtretung nicht vor, so liegt sie doch in der
Natur der Sache, weil die Ausbildung des indirekten Abgabensystems in deu
Einzelstaaten unvermeidlich die Einheit des deutschen Wirtschaftslebens zerreißen
müßte. Nur vorsichtig, mit wohlerwogener Auswahl und in beschränktem Maße
kann daher die Gesetzgebung der Einzelstaaten noch mit der Einführung indirekter
Steuern vorgehen.

Es muß im höchsten Grade auffallen und Bedenken erregen, daß gegen
die Forderung einer Erhöhung der indirekten Abgaben im Reich Stimmen ans
dem liberalen Lager laut wurden, welche einen Tadel erheben wollten, weil der
preußische Staat für seine Bedürfnisse Abgaben des Reiches fordere. Ist das
Reich etwa ein Kreis für sich neben den Einzelstaaten, der die letztern anf ihre
eignen Kräfte verweisen darf? Das Reich hat die besten Kraftquellen der Einzel¬
staaten in Beschlag genommen, weil es imstande ist, sie am besten, nämlich ein¬
heitlich zu verwalten. Aber so war nicht gewettet, daß die Einzelstaaten diese
Kraftquellen verlieren sollten, damit das Reich, welches noch nicht die ganzen
deutschen Staatszwecke umfaßt, jene Kraftquellen verwende nnr für den von
ihm verwalteten Teil der deutschen Staatszwecke und im übrigen die Quellen
vertrocknen lasse.

Die Reichsverfassung hat den Einzelstaaten die indirekten Steuern nicht
durch ein formelles Verbot entzogen. Was sollte wohl aus dem Reich werden,
wenn die Einzelstaaten notgedrungen wieder zur Selbstausbildung der indirekten
Steuern greifen müßten? Nicht alle Einzelstaaten sind dazu befähigt, aber der preu¬
ßische Staat ist es ganz gewiß. Es ist von seiten der preußischen Staatsregierung
nnr eine Bethätigung der Loyalität gegen das Reich, wenn sie sich an dasselbe
um Ausbildung der indirekten Steuern wendet, anstatt dieselbe ihrerseits in die
Hand zu nehmen. Es ist unbegreiflich, wie dein Liberalismus, sogar dem
nationalen Liberalismus, diese augenfällige Seite des Gegenstandes entgehen
kann. Hat man doch sogar im "Hannoverschen Courier," dem Organ des Herrn
v. Bennigsen, am 28. Oktober eine Berliner Korrespondenz lesen müssen, mit
dem an die preußische Regierung gestellten Verlangen, ihre Geldbedürfnisfe ohne
Anforderung an den Reichstag zu decken. Andere Stimmen haben vorher ein
Geschrei erhoben, daß Preußen für seine Staatsbedürfnisse Geld aus den übrigen


politische Briefe.

organisatorischem Wege zu erfolgen hat, liegt sie der Reichsgesetzgebung ob.
Der preußische Staat aber kann und soll für die ärmern Volksklnssen durch
Abnahme der Klassensteuer, zunächst der untersten Stufen derselben, eine wesent¬
liche Erleichterung schaffen. Diese Erleichterung soll nach der Thronrede un¬
verzüglich bewirkt werdeu und den neuen Lcmdtcig schon in der jetzt beginnenden
Session beschäftigen.

Zu diesen guten Dingen braucht der preußische Staat Geld, und er kann
dieses Geld nur horn Reiche fordern. Denn seine beste Steuerquelle, die in¬
direkten Abgaben, hat der preußische Staat dem Reiche abgetreten. Schreibt
auch die Reichsverfassung diese Abtretung nicht vor, so liegt sie doch in der
Natur der Sache, weil die Ausbildung des indirekten Abgabensystems in deu
Einzelstaaten unvermeidlich die Einheit des deutschen Wirtschaftslebens zerreißen
müßte. Nur vorsichtig, mit wohlerwogener Auswahl und in beschränktem Maße
kann daher die Gesetzgebung der Einzelstaaten noch mit der Einführung indirekter
Steuern vorgehen.

Es muß im höchsten Grade auffallen und Bedenken erregen, daß gegen
die Forderung einer Erhöhung der indirekten Abgaben im Reich Stimmen ans
dem liberalen Lager laut wurden, welche einen Tadel erheben wollten, weil der
preußische Staat für seine Bedürfnisse Abgaben des Reiches fordere. Ist das
Reich etwa ein Kreis für sich neben den Einzelstaaten, der die letztern anf ihre
eignen Kräfte verweisen darf? Das Reich hat die besten Kraftquellen der Einzel¬
staaten in Beschlag genommen, weil es imstande ist, sie am besten, nämlich ein¬
heitlich zu verwalten. Aber so war nicht gewettet, daß die Einzelstaaten diese
Kraftquellen verlieren sollten, damit das Reich, welches noch nicht die ganzen
deutschen Staatszwecke umfaßt, jene Kraftquellen verwende nnr für den von
ihm verwalteten Teil der deutschen Staatszwecke und im übrigen die Quellen
vertrocknen lasse.

Die Reichsverfassung hat den Einzelstaaten die indirekten Steuern nicht
durch ein formelles Verbot entzogen. Was sollte wohl aus dem Reich werden,
wenn die Einzelstaaten notgedrungen wieder zur Selbstausbildung der indirekten
Steuern greifen müßten? Nicht alle Einzelstaaten sind dazu befähigt, aber der preu¬
ßische Staat ist es ganz gewiß. Es ist von seiten der preußischen Staatsregierung
nnr eine Bethätigung der Loyalität gegen das Reich, wenn sie sich an dasselbe
um Ausbildung der indirekten Steuern wendet, anstatt dieselbe ihrerseits in die
Hand zu nehmen. Es ist unbegreiflich, wie dein Liberalismus, sogar dem
nationalen Liberalismus, diese augenfällige Seite des Gegenstandes entgehen
kann. Hat man doch sogar im „Hannoverschen Courier," dem Organ des Herrn
v. Bennigsen, am 28. Oktober eine Berliner Korrespondenz lesen müssen, mit
dem an die preußische Regierung gestellten Verlangen, ihre Geldbedürfnisfe ohne
Anforderung an den Reichstag zu decken. Andere Stimmen haben vorher ein
Geschrei erhoben, daß Preußen für seine Staatsbedürfnisse Geld aus den übrigen


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[0407] politische Briefe. organisatorischem Wege zu erfolgen hat, liegt sie der Reichsgesetzgebung ob. Der preußische Staat aber kann und soll für die ärmern Volksklnssen durch Abnahme der Klassensteuer, zunächst der untersten Stufen derselben, eine wesent¬ liche Erleichterung schaffen. Diese Erleichterung soll nach der Thronrede un¬ verzüglich bewirkt werdeu und den neuen Lcmdtcig schon in der jetzt beginnenden Session beschäftigen. Zu diesen guten Dingen braucht der preußische Staat Geld, und er kann dieses Geld nur horn Reiche fordern. Denn seine beste Steuerquelle, die in¬ direkten Abgaben, hat der preußische Staat dem Reiche abgetreten. Schreibt auch die Reichsverfassung diese Abtretung nicht vor, so liegt sie doch in der Natur der Sache, weil die Ausbildung des indirekten Abgabensystems in deu Einzelstaaten unvermeidlich die Einheit des deutschen Wirtschaftslebens zerreißen müßte. Nur vorsichtig, mit wohlerwogener Auswahl und in beschränktem Maße kann daher die Gesetzgebung der Einzelstaaten noch mit der Einführung indirekter Steuern vorgehen. Es muß im höchsten Grade auffallen und Bedenken erregen, daß gegen die Forderung einer Erhöhung der indirekten Abgaben im Reich Stimmen ans dem liberalen Lager laut wurden, welche einen Tadel erheben wollten, weil der preußische Staat für seine Bedürfnisse Abgaben des Reiches fordere. Ist das Reich etwa ein Kreis für sich neben den Einzelstaaten, der die letztern anf ihre eignen Kräfte verweisen darf? Das Reich hat die besten Kraftquellen der Einzel¬ staaten in Beschlag genommen, weil es imstande ist, sie am besten, nämlich ein¬ heitlich zu verwalten. Aber so war nicht gewettet, daß die Einzelstaaten diese Kraftquellen verlieren sollten, damit das Reich, welches noch nicht die ganzen deutschen Staatszwecke umfaßt, jene Kraftquellen verwende nnr für den von ihm verwalteten Teil der deutschen Staatszwecke und im übrigen die Quellen vertrocknen lasse. Die Reichsverfassung hat den Einzelstaaten die indirekten Steuern nicht durch ein formelles Verbot entzogen. Was sollte wohl aus dem Reich werden, wenn die Einzelstaaten notgedrungen wieder zur Selbstausbildung der indirekten Steuern greifen müßten? Nicht alle Einzelstaaten sind dazu befähigt, aber der preu¬ ßische Staat ist es ganz gewiß. Es ist von seiten der preußischen Staatsregierung nnr eine Bethätigung der Loyalität gegen das Reich, wenn sie sich an dasselbe um Ausbildung der indirekten Steuern wendet, anstatt dieselbe ihrerseits in die Hand zu nehmen. Es ist unbegreiflich, wie dein Liberalismus, sogar dem nationalen Liberalismus, diese augenfällige Seite des Gegenstandes entgehen kann. Hat man doch sogar im „Hannoverschen Courier," dem Organ des Herrn v. Bennigsen, am 28. Oktober eine Berliner Korrespondenz lesen müssen, mit dem an die preußische Regierung gestellten Verlangen, ihre Geldbedürfnisfe ohne Anforderung an den Reichstag zu decken. Andere Stimmen haben vorher ein Geschrei erhoben, daß Preußen für seine Staatsbedürfnisse Geld aus den übrigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/407>, abgerufen am 29.06.2024.