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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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(Linas von unsern Töchtern.

Es ist die moderne Zeit, welche diesem Gesichtspunkte, unter dem die Frau
als Zentrum der Familie erscheint, eine sehr weite Perspektive gestellt und den
geheimnisvollen Einfluß des weiblichen Geschlechtes auf das männliche über¬
haupt in nicht geringem Grade gestärkt hat: "Die Erziehung des weiblichen
Geschlechtes ist die des Menschengeschlechtes" -- so lautet ein geflügeltes Wort
der modernen Moral. Freilich hat der Menschlichkeitsgedanke, dieser über Be¬
kenntnis und Staat hoch emporfliegende Aar unsrer Tage, in einigen Ländern,
wie England und Amerika, die sogenannten Emanzipationsgelüste herbeigeführt,
welche, weit entfernt, die weibliche Würde zu erhöhen, sie vielmehr dnrch Be¬
einträchtigung der natürlichen Eigentümlichkeiten des Weibes erniedrigen; andrer¬
seits hat die neuzeitliche Erweiterung der Stellung der Frau in der mensch¬
lichen Gesellschaft, zu deren Veredlung durch die Weiblichkeit, wie Kant sagt,
sie dienen soll, nicht wenig dazu beigetragen, die Macht der Weiblichkeit dnrch
Bildung -- nicht Wissenschaftlichkeit! -- zu erweitern und in noch lieblicherem
Glänze erscheinen zu lassen. Die Neuzeit hat aber -- allerdings vielfach infolge
ungezügelter Vergnügungslnst, welche hinwiederum als Ausfluß eiuer nur Böse-
wichtern und Unfähigen Vorteil bringenden HyperHumanität zu bezeichnen ist --
auch die äußern Lebensvcrhültnisse so verändert, daß eine Erweiterung des
Familienberufes der Frau eintreten mußte. Führte doch die Ehelosigkeit, welche
heutzutage mehr als früher jeder nichtbegüterten Jungfrau droht, von selbst zur
Ausdehnung des Berufes des Lehrers, des Kaufmanns und des niedern, auch
des höhern Arztes auf weibliche Personen; und es läßt sich nicht leugnen, daß
die genannten Erwerbsarten dem ursprünglich weiblichen Berufe zu Mutter¬
schaft und Haushaltung, beziehentlich der dem Weibe angebornen Aufopferungs¬
fähigkeit, Ausdauer und praktischen Vernunft uicht fernestehen.

Aus dieser kurzen Darlegung des weiblichen Naturells und Berufes er¬
gebe" sich -- die Forderung der sogenannten Volksschulbildung vorausgesetzt --
folgende allgemeine Forderungen an die Erziehung unsrer Töchter: 1. Die
Bildung des Willens und des Gemütes muß als wichtigster Teil der Erziehung
gelten. 2. Dazu muß teils ergänzend, teils unterstützend die Erregung des
dauernden Interesses für höhere Zwecke treten. 3. Die Verstandes- und Ge¬
dächtnisbildung muß soweit, als sie zur Erregung des dauernden Interesses für
höhere Zwecke nötig ist, und in der Weise gepflegt werden, daß sie der Bildung
des Willens und des Gemütes erhebliche Dienste leistet. Mit der Erfüllung
dieser Forderungen ist vou selbst die Übermittlung von Kenntnissen und geistigen
Fertigkeiten, welche vom praktischen Leben verlangt werden und im Notfalle un¬
mittelbar in Geld umgesetzt werden können, namentlich aber die Übermittlung
der Lernkunst gegeben, der hinsichtlich des erweiterten weiblichen Berufes der
Neuzeit eine bedeutende Tragweite zuerkannt werden muß. Der knappe Nahmen,
in welchen wir unsre Gedanken über weibliche Erziehung hier einzufassen ge¬
zwungen sind, legt uns die Pflicht auf, von einer gleichmäßig erschöpfenden


(Linas von unsern Töchtern.

Es ist die moderne Zeit, welche diesem Gesichtspunkte, unter dem die Frau
als Zentrum der Familie erscheint, eine sehr weite Perspektive gestellt und den
geheimnisvollen Einfluß des weiblichen Geschlechtes auf das männliche über¬
haupt in nicht geringem Grade gestärkt hat: „Die Erziehung des weiblichen
Geschlechtes ist die des Menschengeschlechtes" — so lautet ein geflügeltes Wort
der modernen Moral. Freilich hat der Menschlichkeitsgedanke, dieser über Be¬
kenntnis und Staat hoch emporfliegende Aar unsrer Tage, in einigen Ländern,
wie England und Amerika, die sogenannten Emanzipationsgelüste herbeigeführt,
welche, weit entfernt, die weibliche Würde zu erhöhen, sie vielmehr dnrch Be¬
einträchtigung der natürlichen Eigentümlichkeiten des Weibes erniedrigen; andrer¬
seits hat die neuzeitliche Erweiterung der Stellung der Frau in der mensch¬
lichen Gesellschaft, zu deren Veredlung durch die Weiblichkeit, wie Kant sagt,
sie dienen soll, nicht wenig dazu beigetragen, die Macht der Weiblichkeit dnrch
Bildung — nicht Wissenschaftlichkeit! — zu erweitern und in noch lieblicherem
Glänze erscheinen zu lassen. Die Neuzeit hat aber — allerdings vielfach infolge
ungezügelter Vergnügungslnst, welche hinwiederum als Ausfluß eiuer nur Böse-
wichtern und Unfähigen Vorteil bringenden HyperHumanität zu bezeichnen ist —
auch die äußern Lebensvcrhültnisse so verändert, daß eine Erweiterung des
Familienberufes der Frau eintreten mußte. Führte doch die Ehelosigkeit, welche
heutzutage mehr als früher jeder nichtbegüterten Jungfrau droht, von selbst zur
Ausdehnung des Berufes des Lehrers, des Kaufmanns und des niedern, auch
des höhern Arztes auf weibliche Personen; und es läßt sich nicht leugnen, daß
die genannten Erwerbsarten dem ursprünglich weiblichen Berufe zu Mutter¬
schaft und Haushaltung, beziehentlich der dem Weibe angebornen Aufopferungs¬
fähigkeit, Ausdauer und praktischen Vernunft uicht fernestehen.

Aus dieser kurzen Darlegung des weiblichen Naturells und Berufes er¬
gebe» sich — die Forderung der sogenannten Volksschulbildung vorausgesetzt —
folgende allgemeine Forderungen an die Erziehung unsrer Töchter: 1. Die
Bildung des Willens und des Gemütes muß als wichtigster Teil der Erziehung
gelten. 2. Dazu muß teils ergänzend, teils unterstützend die Erregung des
dauernden Interesses für höhere Zwecke treten. 3. Die Verstandes- und Ge¬
dächtnisbildung muß soweit, als sie zur Erregung des dauernden Interesses für
höhere Zwecke nötig ist, und in der Weise gepflegt werden, daß sie der Bildung
des Willens und des Gemütes erhebliche Dienste leistet. Mit der Erfüllung
dieser Forderungen ist vou selbst die Übermittlung von Kenntnissen und geistigen
Fertigkeiten, welche vom praktischen Leben verlangt werden und im Notfalle un¬
mittelbar in Geld umgesetzt werden können, namentlich aber die Übermittlung
der Lernkunst gegeben, der hinsichtlich des erweiterten weiblichen Berufes der
Neuzeit eine bedeutende Tragweite zuerkannt werden muß. Der knappe Nahmen,
in welchen wir unsre Gedanken über weibliche Erziehung hier einzufassen ge¬
zwungen sind, legt uns die Pflicht auf, von einer gleichmäßig erschöpfenden


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[0395] (Linas von unsern Töchtern. Es ist die moderne Zeit, welche diesem Gesichtspunkte, unter dem die Frau als Zentrum der Familie erscheint, eine sehr weite Perspektive gestellt und den geheimnisvollen Einfluß des weiblichen Geschlechtes auf das männliche über¬ haupt in nicht geringem Grade gestärkt hat: „Die Erziehung des weiblichen Geschlechtes ist die des Menschengeschlechtes" — so lautet ein geflügeltes Wort der modernen Moral. Freilich hat der Menschlichkeitsgedanke, dieser über Be¬ kenntnis und Staat hoch emporfliegende Aar unsrer Tage, in einigen Ländern, wie England und Amerika, die sogenannten Emanzipationsgelüste herbeigeführt, welche, weit entfernt, die weibliche Würde zu erhöhen, sie vielmehr dnrch Be¬ einträchtigung der natürlichen Eigentümlichkeiten des Weibes erniedrigen; andrer¬ seits hat die neuzeitliche Erweiterung der Stellung der Frau in der mensch¬ lichen Gesellschaft, zu deren Veredlung durch die Weiblichkeit, wie Kant sagt, sie dienen soll, nicht wenig dazu beigetragen, die Macht der Weiblichkeit dnrch Bildung — nicht Wissenschaftlichkeit! — zu erweitern und in noch lieblicherem Glänze erscheinen zu lassen. Die Neuzeit hat aber — allerdings vielfach infolge ungezügelter Vergnügungslnst, welche hinwiederum als Ausfluß eiuer nur Böse- wichtern und Unfähigen Vorteil bringenden HyperHumanität zu bezeichnen ist — auch die äußern Lebensvcrhültnisse so verändert, daß eine Erweiterung des Familienberufes der Frau eintreten mußte. Führte doch die Ehelosigkeit, welche heutzutage mehr als früher jeder nichtbegüterten Jungfrau droht, von selbst zur Ausdehnung des Berufes des Lehrers, des Kaufmanns und des niedern, auch des höhern Arztes auf weibliche Personen; und es läßt sich nicht leugnen, daß die genannten Erwerbsarten dem ursprünglich weiblichen Berufe zu Mutter¬ schaft und Haushaltung, beziehentlich der dem Weibe angebornen Aufopferungs¬ fähigkeit, Ausdauer und praktischen Vernunft uicht fernestehen. Aus dieser kurzen Darlegung des weiblichen Naturells und Berufes er¬ gebe» sich — die Forderung der sogenannten Volksschulbildung vorausgesetzt — folgende allgemeine Forderungen an die Erziehung unsrer Töchter: 1. Die Bildung des Willens und des Gemütes muß als wichtigster Teil der Erziehung gelten. 2. Dazu muß teils ergänzend, teils unterstützend die Erregung des dauernden Interesses für höhere Zwecke treten. 3. Die Verstandes- und Ge¬ dächtnisbildung muß soweit, als sie zur Erregung des dauernden Interesses für höhere Zwecke nötig ist, und in der Weise gepflegt werden, daß sie der Bildung des Willens und des Gemütes erhebliche Dienste leistet. Mit der Erfüllung dieser Forderungen ist vou selbst die Übermittlung von Kenntnissen und geistigen Fertigkeiten, welche vom praktischen Leben verlangt werden und im Notfalle un¬ mittelbar in Geld umgesetzt werden können, namentlich aber die Übermittlung der Lernkunst gegeben, der hinsichtlich des erweiterten weiblichen Berufes der Neuzeit eine bedeutende Tragweite zuerkannt werden muß. Der knappe Nahmen, in welchen wir unsre Gedanken über weibliche Erziehung hier einzufassen ge¬ zwungen sind, legt uns die Pflicht auf, von einer gleichmäßig erschöpfenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/395>, abgerufen am 26.06.2024.