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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Häckelismus auf der Naturforscherversmumluiig in Lisenach.

Strnhl von Hoffnung ins Gemüt fallen, daß hier Wohl etwas mit dein Prinzip
des Mechanismus der Natur, ohne das es ohnedies keine Naturwissenschaft
geben truü, auszurichten sein möchte. Diese Analogie der Formen, so ferne sie
bei aller Verschiedenheit einem gemeinschaftlichen Urbilde gemäß erzeugt zu sein
scheinen, verstärkt die Vermutung einer wirklichen Verwandtschaft derselben in der
Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter, durch die stufenartige Annäherung
einer Tiergattung zur andern, vom Menschen bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu
Moosen und Flechten u. s. w." Kant stellt es sogar dem Archäologen der
Natur frei, aus den übrig gebliebenen Spuren ihrer ältesten Revolutionen, nach
allem ihm bekannten oder gemutmaßten Mechanismus derselben, jene große
Familie von Geschöpfen entspringen zu lassen. Anfänglich würden Geschöpfe
von minder zweckmäßiger Form, dann "andre, welche angemessener ihrem Zengungs-
platze und ihrem Verhältnis unter einander sich ausbildeten," erzeugt worden
sein, bis zuletzt die Geburten auf bestimmte fernerhin nicht ausartende Spezies
eingeschränkt worden wären. So hat Kant in der teleologischen Urteilskraft,
die Häckel für ein von der Basis an irrtümliches Lehrgebäude erklärt, thatsäch¬
lich die Grundgedanken des Darwinismus in nnov alle ausgesprochen. Das soll
kein Vorwurf für Darwin sein, der sicher in jüngern Jahren von Kant nichts
gewußt hat, wohl aber für den deutschen Professor, der dnrch die Fülle em¬
pirischen Materials berauscht auf Kant glaubt herabsehen zu können wie auf einen
altersschwachen Greis, und dessen neues Evangelium in nichts andern: besteht,
als daß er die Warnungen des großen Philosophen, die Grenzen des mensch¬
lichen Verstandes nicht in dichterischer Weise zu überschreiten, fröhlich in den
Wind geschlagen hat und in alle die Irrtümer, die jener mit prophetischem Geiste
vorausahnte, hineingefallen ist.

Wenn wir noch der Aufforderung Häckcls gedenken, bei der Erziehung der
Jugend, in deu Schulen bereits die Geister durch die Entwicklungslehre des
Monismus zu stärken, so thun wir dies nicht etwa in der Besorgnis, daß die
Behörden sich gar zu schnell zu dieser Reformation entschließen möchten, son¬
dern nur darum, weil wir mit Häckel einverstanden sind, daß hier eine der
wichtigsten Zuknuftsfrcigen zu lösen ist. Es muß freilich, darin sind wir ganz
derselbe"! Meinung, in der Unterrichtsmethode sich manches ändern. Es kann
nicht der Unterricht der Jugend Schritt halten wollen mit der enormen Zu¬
nahme des empirischen Materials, welches in allen Wissenschaften jährlich an¬
wächst. Die Zunahme dessen, was im Gedächtnis aufgehäuft und angesammelt
werden soll, ist gefährlich für die Erhaltung und Ausbildung der Kräfte des
Geistes: diese gilt es zu üben und zu stärken, ohne sie mit Ballast zu über¬
laden. Über die Methode, wie das zu erreichen sei, sind wir freilich verschiedner
Meinung. Der Monismus und was uns als das Evangelium der Entwick¬
lungstheorie vorgesetzt wird, sind so voll von logischen Widersprüchen, daß man
lieber alles andre damit thun sollte, als sie zu Maximen der Jugenderziehung


Der Häckelismus auf der Naturforscherversmumluiig in Lisenach.

Strnhl von Hoffnung ins Gemüt fallen, daß hier Wohl etwas mit dein Prinzip
des Mechanismus der Natur, ohne das es ohnedies keine Naturwissenschaft
geben truü, auszurichten sein möchte. Diese Analogie der Formen, so ferne sie
bei aller Verschiedenheit einem gemeinschaftlichen Urbilde gemäß erzeugt zu sein
scheinen, verstärkt die Vermutung einer wirklichen Verwandtschaft derselben in der
Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter, durch die stufenartige Annäherung
einer Tiergattung zur andern, vom Menschen bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu
Moosen und Flechten u. s. w." Kant stellt es sogar dem Archäologen der
Natur frei, aus den übrig gebliebenen Spuren ihrer ältesten Revolutionen, nach
allem ihm bekannten oder gemutmaßten Mechanismus derselben, jene große
Familie von Geschöpfen entspringen zu lassen. Anfänglich würden Geschöpfe
von minder zweckmäßiger Form, dann „andre, welche angemessener ihrem Zengungs-
platze und ihrem Verhältnis unter einander sich ausbildeten," erzeugt worden
sein, bis zuletzt die Geburten auf bestimmte fernerhin nicht ausartende Spezies
eingeschränkt worden wären. So hat Kant in der teleologischen Urteilskraft,
die Häckel für ein von der Basis an irrtümliches Lehrgebäude erklärt, thatsäch¬
lich die Grundgedanken des Darwinismus in nnov alle ausgesprochen. Das soll
kein Vorwurf für Darwin sein, der sicher in jüngern Jahren von Kant nichts
gewußt hat, wohl aber für den deutschen Professor, der dnrch die Fülle em¬
pirischen Materials berauscht auf Kant glaubt herabsehen zu können wie auf einen
altersschwachen Greis, und dessen neues Evangelium in nichts andern: besteht,
als daß er die Warnungen des großen Philosophen, die Grenzen des mensch¬
lichen Verstandes nicht in dichterischer Weise zu überschreiten, fröhlich in den
Wind geschlagen hat und in alle die Irrtümer, die jener mit prophetischem Geiste
vorausahnte, hineingefallen ist.

Wenn wir noch der Aufforderung Häckcls gedenken, bei der Erziehung der
Jugend, in deu Schulen bereits die Geister durch die Entwicklungslehre des
Monismus zu stärken, so thun wir dies nicht etwa in der Besorgnis, daß die
Behörden sich gar zu schnell zu dieser Reformation entschließen möchten, son¬
dern nur darum, weil wir mit Häckel einverstanden sind, daß hier eine der
wichtigsten Zuknuftsfrcigen zu lösen ist. Es muß freilich, darin sind wir ganz
derselbe»! Meinung, in der Unterrichtsmethode sich manches ändern. Es kann
nicht der Unterricht der Jugend Schritt halten wollen mit der enormen Zu¬
nahme des empirischen Materials, welches in allen Wissenschaften jährlich an¬
wächst. Die Zunahme dessen, was im Gedächtnis aufgehäuft und angesammelt
werden soll, ist gefährlich für die Erhaltung und Ausbildung der Kräfte des
Geistes: diese gilt es zu üben und zu stärken, ohne sie mit Ballast zu über¬
laden. Über die Methode, wie das zu erreichen sei, sind wir freilich verschiedner
Meinung. Der Monismus und was uns als das Evangelium der Entwick¬
lungstheorie vorgesetzt wird, sind so voll von logischen Widersprüchen, daß man
lieber alles andre damit thun sollte, als sie zu Maximen der Jugenderziehung


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[0391] Der Häckelismus auf der Naturforscherversmumluiig in Lisenach. Strnhl von Hoffnung ins Gemüt fallen, daß hier Wohl etwas mit dein Prinzip des Mechanismus der Natur, ohne das es ohnedies keine Naturwissenschaft geben truü, auszurichten sein möchte. Diese Analogie der Formen, so ferne sie bei aller Verschiedenheit einem gemeinschaftlichen Urbilde gemäß erzeugt zu sein scheinen, verstärkt die Vermutung einer wirklichen Verwandtschaft derselben in der Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter, durch die stufenartige Annäherung einer Tiergattung zur andern, vom Menschen bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu Moosen und Flechten u. s. w." Kant stellt es sogar dem Archäologen der Natur frei, aus den übrig gebliebenen Spuren ihrer ältesten Revolutionen, nach allem ihm bekannten oder gemutmaßten Mechanismus derselben, jene große Familie von Geschöpfen entspringen zu lassen. Anfänglich würden Geschöpfe von minder zweckmäßiger Form, dann „andre, welche angemessener ihrem Zengungs- platze und ihrem Verhältnis unter einander sich ausbildeten," erzeugt worden sein, bis zuletzt die Geburten auf bestimmte fernerhin nicht ausartende Spezies eingeschränkt worden wären. So hat Kant in der teleologischen Urteilskraft, die Häckel für ein von der Basis an irrtümliches Lehrgebäude erklärt, thatsäch¬ lich die Grundgedanken des Darwinismus in nnov alle ausgesprochen. Das soll kein Vorwurf für Darwin sein, der sicher in jüngern Jahren von Kant nichts gewußt hat, wohl aber für den deutschen Professor, der dnrch die Fülle em¬ pirischen Materials berauscht auf Kant glaubt herabsehen zu können wie auf einen altersschwachen Greis, und dessen neues Evangelium in nichts andern: besteht, als daß er die Warnungen des großen Philosophen, die Grenzen des mensch¬ lichen Verstandes nicht in dichterischer Weise zu überschreiten, fröhlich in den Wind geschlagen hat und in alle die Irrtümer, die jener mit prophetischem Geiste vorausahnte, hineingefallen ist. Wenn wir noch der Aufforderung Häckcls gedenken, bei der Erziehung der Jugend, in deu Schulen bereits die Geister durch die Entwicklungslehre des Monismus zu stärken, so thun wir dies nicht etwa in der Besorgnis, daß die Behörden sich gar zu schnell zu dieser Reformation entschließen möchten, son¬ dern nur darum, weil wir mit Häckel einverstanden sind, daß hier eine der wichtigsten Zuknuftsfrcigen zu lösen ist. Es muß freilich, darin sind wir ganz derselbe»! Meinung, in der Unterrichtsmethode sich manches ändern. Es kann nicht der Unterricht der Jugend Schritt halten wollen mit der enormen Zu¬ nahme des empirischen Materials, welches in allen Wissenschaften jährlich an¬ wächst. Die Zunahme dessen, was im Gedächtnis aufgehäuft und angesammelt werden soll, ist gefährlich für die Erhaltung und Ausbildung der Kräfte des Geistes: diese gilt es zu üben und zu stärken, ohne sie mit Ballast zu über¬ laden. Über die Methode, wie das zu erreichen sei, sind wir freilich verschiedner Meinung. Der Monismus und was uns als das Evangelium der Entwick¬ lungstheorie vorgesetzt wird, sind so voll von logischen Widersprüchen, daß man lieber alles andre damit thun sollte, als sie zu Maximen der Jugenderziehung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/391>, abgerufen am 26.06.2024.