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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Zur Naturgeschichte des Zentrums,

Sie giebt keine vollständige Geschichte der Zentrumspartei -- denn diese
läßt sich noch nicht schreiben --, sie weiht uns nicht in die Geheimnisse der¬
selben, in ihre Organisation, ihr inneres Leben ein, sowenig als nur über die
Mitglieder und Führer derselben etwas neues erfahren; aber sie sezirt dieselbe,
schildert ihre Entstehung, ihr Wesen und die Stellung, welche sie in dein viel'
gestaltigen Wesen, welches Dentschland bildet, einnimmt: zu den Protestanten,
zu Preußen und dem Reiche und zu den Konservativen. Eine Interessengemein¬
schaft wie jede andre Partei, vertritt das Zentrum die Souveränität der katho¬
lischen Kirche, und so sicher wie in den: Herzen eines jeden Papstes von
Gregor VII. an die Überordnung der .Kirche über den Staat als Glaubenssatz
geschrieben steht, so gewiß ist dies der Grundgedanke, das Ziel des Zentrums.
Der Polizeistaat des 18. Jahrhunderts, begleitet und getragen von der damals
herrschenden Aufklärung, trat dem Streben der Kurie schroff entgegen, die kon¬
stitutionellen Einrichtungen unsers Stantslebens aber mit den: Rechte der freien
Bewegung, das sie jedem Staatsgliede gaben, Vereins- und Preßfreiheit und
das allgemeine Wahlrecht boten die geeigneten Handhaben, um dein Ziele näher
HM kommen. Man kennt den Siegeslauf, welchen die katholische Kirche in diesem
Jahrhundert genommen hat; der Shllabus mit seiner Verdammung des modernen,
protestantischen Staates, das Vatikauum mit der päpstlichen Unfehlbarkeit sind
die hervorragendsten Marksteine dabei. In dem ganzen Jdeenkreis der Kurie
findet der deutsche protestantische Kaiser keinen Raum und keine Gnade, in
ehren Augen gilt der Protestantismus als die größte, stets zu bekämpfende
Ketzerei, und hätte einmal die Kurie in dem Kampfe uns dem märkischen Sande
die Staatsgewalt nnter ihren Gehorsam gebracht, so wäre an der Pflicht und
dein Willen, ihre Macht eventuell zur gewaltsamen Ausrottung des Pro¬
testantismus zu benutzen, nicht zu zweifeln. Und das Zentrum? Es ist keine
Gründung des .Kulturkampfes -- dieser ist ja auch nur ein neuer Gang in dein
uralte" Kampf zwischen Staat und Kirche um die Souveränität; die Elemente
zur Interessenvertretung der katholischen .Kirche in Deutschland waren schon längst
vorhanden, z. V. in der Fraktion Reichensperger. Das Zentrum entstand im
Juni 1870, als in Rheinland und Westfalen eine Wahlagitation auftrat, welche
sich die katholische nannte und die Selbständigkeit der Kirche, die konfessionelle
Volksschule auf ihre Fahne schrieb, und Konservative wie Demokraten nnter ihre
Kandidaten aufnahm, sobald sie nur der Fraktion beitraten. Bei der Frage
wegen der Befreiung des Papstes und Roms von der italienischen Okkupation
brach der Konflikt mit dem preußischen Staate, mit dem Reiche zuerst hervor;
^ ist unnötig, die wohlbekannten Wandlungen desselben zu wiederholen, aber
nie darf man vergessen, daß das Zentrum zwar nicht unbedingt reichsfeindlich
ist -- man kennt das Pathos, mit welchem es sich gegen diese Anklage wehrt! --
aber es verhält sich ablehnend gegen jede Stärkung der Reichsgewnlt, es nimmt
jede der Neichseiuheit widerstrebende pnrtitnlaristische Regung in Schutz, es will


Greuzlwleu IV. tL"2, 44
Zur Naturgeschichte des Zentrums,

Sie giebt keine vollständige Geschichte der Zentrumspartei — denn diese
läßt sich noch nicht schreiben —, sie weiht uns nicht in die Geheimnisse der¬
selben, in ihre Organisation, ihr inneres Leben ein, sowenig als nur über die
Mitglieder und Führer derselben etwas neues erfahren; aber sie sezirt dieselbe,
schildert ihre Entstehung, ihr Wesen und die Stellung, welche sie in dein viel'
gestaltigen Wesen, welches Dentschland bildet, einnimmt: zu den Protestanten,
zu Preußen und dem Reiche und zu den Konservativen. Eine Interessengemein¬
schaft wie jede andre Partei, vertritt das Zentrum die Souveränität der katho¬
lischen Kirche, und so sicher wie in den: Herzen eines jeden Papstes von
Gregor VII. an die Überordnung der .Kirche über den Staat als Glaubenssatz
geschrieben steht, so gewiß ist dies der Grundgedanke, das Ziel des Zentrums.
Der Polizeistaat des 18. Jahrhunderts, begleitet und getragen von der damals
herrschenden Aufklärung, trat dem Streben der Kurie schroff entgegen, die kon¬
stitutionellen Einrichtungen unsers Stantslebens aber mit den: Rechte der freien
Bewegung, das sie jedem Staatsgliede gaben, Vereins- und Preßfreiheit und
das allgemeine Wahlrecht boten die geeigneten Handhaben, um dein Ziele näher
HM kommen. Man kennt den Siegeslauf, welchen die katholische Kirche in diesem
Jahrhundert genommen hat; der Shllabus mit seiner Verdammung des modernen,
protestantischen Staates, das Vatikauum mit der päpstlichen Unfehlbarkeit sind
die hervorragendsten Marksteine dabei. In dem ganzen Jdeenkreis der Kurie
findet der deutsche protestantische Kaiser keinen Raum und keine Gnade, in
ehren Augen gilt der Protestantismus als die größte, stets zu bekämpfende
Ketzerei, und hätte einmal die Kurie in dem Kampfe uns dem märkischen Sande
die Staatsgewalt nnter ihren Gehorsam gebracht, so wäre an der Pflicht und
dein Willen, ihre Macht eventuell zur gewaltsamen Ausrottung des Pro¬
testantismus zu benutzen, nicht zu zweifeln. Und das Zentrum? Es ist keine
Gründung des .Kulturkampfes — dieser ist ja auch nur ein neuer Gang in dein
uralte» Kampf zwischen Staat und Kirche um die Souveränität; die Elemente
zur Interessenvertretung der katholischen .Kirche in Deutschland waren schon längst
vorhanden, z. V. in der Fraktion Reichensperger. Das Zentrum entstand im
Juni 1870, als in Rheinland und Westfalen eine Wahlagitation auftrat, welche
sich die katholische nannte und die Selbständigkeit der Kirche, die konfessionelle
Volksschule auf ihre Fahne schrieb, und Konservative wie Demokraten nnter ihre
Kandidaten aufnahm, sobald sie nur der Fraktion beitraten. Bei der Frage
wegen der Befreiung des Papstes und Roms von der italienischen Okkupation
brach der Konflikt mit dem preußischen Staate, mit dem Reiche zuerst hervor;
^ ist unnötig, die wohlbekannten Wandlungen desselben zu wiederholen, aber
nie darf man vergessen, daß das Zentrum zwar nicht unbedingt reichsfeindlich
ist — man kennt das Pathos, mit welchem es sich gegen diese Anklage wehrt! —
aber es verhält sich ablehnend gegen jede Stärkung der Reichsgewnlt, es nimmt
jede der Neichseiuheit widerstrebende pnrtitnlaristische Regung in Schutz, es will


Greuzlwleu IV. tL«2, 44
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[0349] Zur Naturgeschichte des Zentrums, Sie giebt keine vollständige Geschichte der Zentrumspartei — denn diese läßt sich noch nicht schreiben —, sie weiht uns nicht in die Geheimnisse der¬ selben, in ihre Organisation, ihr inneres Leben ein, sowenig als nur über die Mitglieder und Führer derselben etwas neues erfahren; aber sie sezirt dieselbe, schildert ihre Entstehung, ihr Wesen und die Stellung, welche sie in dein viel' gestaltigen Wesen, welches Dentschland bildet, einnimmt: zu den Protestanten, zu Preußen und dem Reiche und zu den Konservativen. Eine Interessengemein¬ schaft wie jede andre Partei, vertritt das Zentrum die Souveränität der katho¬ lischen Kirche, und so sicher wie in den: Herzen eines jeden Papstes von Gregor VII. an die Überordnung der .Kirche über den Staat als Glaubenssatz geschrieben steht, so gewiß ist dies der Grundgedanke, das Ziel des Zentrums. Der Polizeistaat des 18. Jahrhunderts, begleitet und getragen von der damals herrschenden Aufklärung, trat dem Streben der Kurie schroff entgegen, die kon¬ stitutionellen Einrichtungen unsers Stantslebens aber mit den: Rechte der freien Bewegung, das sie jedem Staatsgliede gaben, Vereins- und Preßfreiheit und das allgemeine Wahlrecht boten die geeigneten Handhaben, um dein Ziele näher HM kommen. Man kennt den Siegeslauf, welchen die katholische Kirche in diesem Jahrhundert genommen hat; der Shllabus mit seiner Verdammung des modernen, protestantischen Staates, das Vatikauum mit der päpstlichen Unfehlbarkeit sind die hervorragendsten Marksteine dabei. In dem ganzen Jdeenkreis der Kurie findet der deutsche protestantische Kaiser keinen Raum und keine Gnade, in ehren Augen gilt der Protestantismus als die größte, stets zu bekämpfende Ketzerei, und hätte einmal die Kurie in dem Kampfe uns dem märkischen Sande die Staatsgewalt nnter ihren Gehorsam gebracht, so wäre an der Pflicht und dein Willen, ihre Macht eventuell zur gewaltsamen Ausrottung des Pro¬ testantismus zu benutzen, nicht zu zweifeln. Und das Zentrum? Es ist keine Gründung des .Kulturkampfes — dieser ist ja auch nur ein neuer Gang in dein uralte» Kampf zwischen Staat und Kirche um die Souveränität; die Elemente zur Interessenvertretung der katholischen .Kirche in Deutschland waren schon längst vorhanden, z. V. in der Fraktion Reichensperger. Das Zentrum entstand im Juni 1870, als in Rheinland und Westfalen eine Wahlagitation auftrat, welche sich die katholische nannte und die Selbständigkeit der Kirche, die konfessionelle Volksschule auf ihre Fahne schrieb, und Konservative wie Demokraten nnter ihre Kandidaten aufnahm, sobald sie nur der Fraktion beitraten. Bei der Frage wegen der Befreiung des Papstes und Roms von der italienischen Okkupation brach der Konflikt mit dem preußischen Staate, mit dem Reiche zuerst hervor; ^ ist unnötig, die wohlbekannten Wandlungen desselben zu wiederholen, aber nie darf man vergessen, daß das Zentrum zwar nicht unbedingt reichsfeindlich ist — man kennt das Pathos, mit welchem es sich gegen diese Anklage wehrt! — aber es verhält sich ablehnend gegen jede Stärkung der Reichsgewnlt, es nimmt jede der Neichseiuheit widerstrebende pnrtitnlaristische Regung in Schutz, es will Greuzlwleu IV. tL«2, 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/349>, abgerufen am 26.06.2024.