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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Neue Dichtungen.

Es ist schlimm, daß manche Schriftsteller und Dichter glauben, sich ihr
Lebenlang in demselben Gleise bewegen zu müssen, in welchem sie ihre ersten
Lorbern errungen haben. Wer einmal eine hübsche Dorfgeschichte geschrieben und
Beifall damit geerntet hat, der glaubt nun lauter Dorfgeschichten schreiben zu
müssen, und wer mit einem ägyptischen Roman Erfolg gehabt hat, meint die
Welt in inlinituni mit ägyptischen Romanen versorgen zu müssen. Wir
wissen sehr Wohl, daß das Publikum mit seinen thörichten Ansprüchen zum
Teil die Schuld an diesen: Umstände trägt. Aber ein echter und rechter
Dichter scheert sich uicht um diese Schrulle des Publikums, er braucht seine
Schwingen und lenkt den Flug heute in dies und morgen in jenes Revier.

Daß auch Baumbach uicht nötig hat, sich fort und fort in dem engen
Zirkel der Spielmanns- und Vagnntenpvesic zu drehen, lehrt jedes seiner zier¬
lichen Bändchen, lehren seiue anmutigen "Sommermärchen," lehren auch in dem
vorliegende" neuesten Liederbnche wieder einzelne Gedichte, von denen wir zum
Schluß wenigstens eine Probe mitteilen wollen in einem Genrebilde aus frischer,
unmittelbarer Gegenwart, das eiuen Kraus oder Vautier verlocken könnte,
mit dem Dichter zu wetteifern.


Der Dorfbote.
"Der Bote kommt!" so schallt's aus alleu Ecken,
Und eilig läuft das halbe Dorf herau.
Da kommt er wegemüd am Waudersteckeu
Und lenkt die Schritte nach dem weißen Schwan. "Grüß Gott, Herr Wirt! Das war ein böses Wandern
Bei solcher Glut. Geschwind ein Viertel Wem!
Geduld ihr Leute! Einer nach dem andern,
Und fallt uicht mit der Thür in's Haus herein,. Gebt Ihr zuerst das Piickleiu her, Frau Mutter.
Für Euren Sohn ist's wie das letztemal.
Ja, die Soldaten stehen schlecht im Futter,
Und schließlich kriegt die Wurst der Korporal. Was hat der Hubcrbauer nur zu geben?
Ein schwerer Brief; fünf Siegel siud darau.
Na, auch die Advokaten wollen leben;
Ihr habt's, und mich geht euer Streit nichts an. Ein Brief an's hohe Steueramt? Potz Wetter!
Die Aufschrift groß und säuberlich gemalt.
Gebt her! Doch im Vcrtrau'u gesagt, Herr Better,
spart euch das Botengeld und schweigt und zahlt. Was bringt die Schneiderhanue da getragen?
Geld für den Herrn Studenten, ihren Sohn?
Ja ja, das Bier hat wieder aufgeschlagen,
Da kommt ihm recht der Mutter Wochenlohn.

Neue Dichtungen.

Es ist schlimm, daß manche Schriftsteller und Dichter glauben, sich ihr
Lebenlang in demselben Gleise bewegen zu müssen, in welchem sie ihre ersten
Lorbern errungen haben. Wer einmal eine hübsche Dorfgeschichte geschrieben und
Beifall damit geerntet hat, der glaubt nun lauter Dorfgeschichten schreiben zu
müssen, und wer mit einem ägyptischen Roman Erfolg gehabt hat, meint die
Welt in inlinituni mit ägyptischen Romanen versorgen zu müssen. Wir
wissen sehr Wohl, daß das Publikum mit seinen thörichten Ansprüchen zum
Teil die Schuld an diesen: Umstände trägt. Aber ein echter und rechter
Dichter scheert sich uicht um diese Schrulle des Publikums, er braucht seine
Schwingen und lenkt den Flug heute in dies und morgen in jenes Revier.

Daß auch Baumbach uicht nötig hat, sich fort und fort in dem engen
Zirkel der Spielmanns- und Vagnntenpvesic zu drehen, lehrt jedes seiner zier¬
lichen Bändchen, lehren seiue anmutigen „Sommermärchen," lehren auch in dem
vorliegende» neuesten Liederbnche wieder einzelne Gedichte, von denen wir zum
Schluß wenigstens eine Probe mitteilen wollen in einem Genrebilde aus frischer,
unmittelbarer Gegenwart, das eiuen Kraus oder Vautier verlocken könnte,
mit dem Dichter zu wetteifern.


Der Dorfbote.
„Der Bote kommt!" so schallt's aus alleu Ecken,
Und eilig läuft das halbe Dorf herau.
Da kommt er wegemüd am Waudersteckeu
Und lenkt die Schritte nach dem weißen Schwan. „Grüß Gott, Herr Wirt! Das war ein böses Wandern
Bei solcher Glut. Geschwind ein Viertel Wem!
Geduld ihr Leute! Einer nach dem andern,
Und fallt uicht mit der Thür in's Haus herein,. Gebt Ihr zuerst das Piickleiu her, Frau Mutter.
Für Euren Sohn ist's wie das letztemal.
Ja, die Soldaten stehen schlecht im Futter,
Und schließlich kriegt die Wurst der Korporal. Was hat der Hubcrbauer nur zu geben?
Ein schwerer Brief; fünf Siegel siud darau.
Na, auch die Advokaten wollen leben;
Ihr habt's, und mich geht euer Streit nichts an. Ein Brief an's hohe Steueramt? Potz Wetter!
Die Aufschrift groß und säuberlich gemalt.
Gebt her! Doch im Vcrtrau'u gesagt, Herr Better,
spart euch das Botengeld und schweigt und zahlt. Was bringt die Schneiderhanue da getragen?
Geld für den Herrn Studenten, ihren Sohn?
Ja ja, das Bier hat wieder aufgeschlagen,
Da kommt ihm recht der Mutter Wochenlohn.

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[0305] Neue Dichtungen. Es ist schlimm, daß manche Schriftsteller und Dichter glauben, sich ihr Lebenlang in demselben Gleise bewegen zu müssen, in welchem sie ihre ersten Lorbern errungen haben. Wer einmal eine hübsche Dorfgeschichte geschrieben und Beifall damit geerntet hat, der glaubt nun lauter Dorfgeschichten schreiben zu müssen, und wer mit einem ägyptischen Roman Erfolg gehabt hat, meint die Welt in inlinituni mit ägyptischen Romanen versorgen zu müssen. Wir wissen sehr Wohl, daß das Publikum mit seinen thörichten Ansprüchen zum Teil die Schuld an diesen: Umstände trägt. Aber ein echter und rechter Dichter scheert sich uicht um diese Schrulle des Publikums, er braucht seine Schwingen und lenkt den Flug heute in dies und morgen in jenes Revier. Daß auch Baumbach uicht nötig hat, sich fort und fort in dem engen Zirkel der Spielmanns- und Vagnntenpvesic zu drehen, lehrt jedes seiner zier¬ lichen Bändchen, lehren seiue anmutigen „Sommermärchen," lehren auch in dem vorliegende» neuesten Liederbnche wieder einzelne Gedichte, von denen wir zum Schluß wenigstens eine Probe mitteilen wollen in einem Genrebilde aus frischer, unmittelbarer Gegenwart, das eiuen Kraus oder Vautier verlocken könnte, mit dem Dichter zu wetteifern. Der Dorfbote. „Der Bote kommt!" so schallt's aus alleu Ecken, Und eilig läuft das halbe Dorf herau. Da kommt er wegemüd am Waudersteckeu Und lenkt die Schritte nach dem weißen Schwan. „Grüß Gott, Herr Wirt! Das war ein böses Wandern Bei solcher Glut. Geschwind ein Viertel Wem! Geduld ihr Leute! Einer nach dem andern, Und fallt uicht mit der Thür in's Haus herein,. Gebt Ihr zuerst das Piickleiu her, Frau Mutter. Für Euren Sohn ist's wie das letztemal. Ja, die Soldaten stehen schlecht im Futter, Und schließlich kriegt die Wurst der Korporal. Was hat der Hubcrbauer nur zu geben? Ein schwerer Brief; fünf Siegel siud darau. Na, auch die Advokaten wollen leben; Ihr habt's, und mich geht euer Streit nichts an. Ein Brief an's hohe Steueramt? Potz Wetter! Die Aufschrift groß und säuberlich gemalt. Gebt her! Doch im Vcrtrau'u gesagt, Herr Better, spart euch das Botengeld und schweigt und zahlt. Was bringt die Schneiderhanue da getragen? Geld für den Herrn Studenten, ihren Sohn? Ja ja, das Bier hat wieder aufgeschlagen, Da kommt ihm recht der Mutter Wochenlohn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/305>, abgerufen am 26.06.2024.