Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Schnorrsche A'rieasspiol am sächsischen Hose.

den Schlachtfeldern von Aspern und Wagram zu einer neuen Demütigung der
Habsburgischen Mvnnrchie führen sollte, war der sächsische Hof, damals aufs
engste mit Napoleon liirt, aus Furcht vor feindlichen Einfällen über die ucchc
böhmische Grenze von Dresden nach Leipzig geflüchtet, auch dort nur durch
Bernadottes beruhigende Versicherungen und die dringenden Vorstellungen der
Leipziger Kaufmannschaft zurückgehalten, welche von einer weiteren Flucht des
königlichen Herrn die gänzliche Auflösung der gerade im Gange befindlichen
Ostermesse es war um den 16, April -- als unvermeidliche Folge befürchtete.

Es bedarf keines Hinweises darauf, wie die bevorstehende Kriegsgefahr alle
Gemüter in Spannung erhielt. Was die Alten im innersten bewegte, druckte
sich in naiver Weise anch in dem Spiel der Jngend ans. Die beiden jüngeren
Söhne des Leipziger Malers Schmorr, Julius und Eduard, der eine fünfzehn-,
der andre sechzehnjährig, erfanden ein komplizirtes Kriegsspiel, das sie nach
allen Regeln damaliger Strategie aufbauten.") Zu einem ersten primitiven
Versuche dienten die Kerne eines großen Kürbisses, der den väterlichen Mittags¬
tisch geziert hatte. An Stelle der Kerne traten bald, eigenhändig gesägt
und gehobelt, kleine Hvlzpyrmnideu, welche, mit Abzeichen versehen, die ver¬
schiedene!? Waffengattungen vorstellten und sich auf den umfangreichen Grund-
plan vou 1200 Quadraten verteilten. "Beim Entwurf ihres Planes -- so
erzählt der Vater -- hatten beide Jünglinge darauf hingearbeitet, daß strategisch
wie in der Wirklichkeit alle Manövers ausgeführt werdeu könnten, und so diesem
Zweck gemäß Berge, uuübersteigbare oder von der einen Seite nur zu ersteigende
Felsen, Flüsse, Brücken und dergleichen fabrizirt. Die Basis hatten sie, nachdem
sie eine berühmte Schrift, nämlich ein "System der Kriegskunst" -- deren Ver¬
fasser, wenn ich nicht irre, ein Preuße namens Bülow""'°) -- gelesen, ans die
Magazine und deren Erhaltung gegründet."

Die Knaben waren in wiederholten Übungen schon zu bedeutender Fertig¬
keit in ihrem neuen Spiel gelaugt, als sie eines Tages ein höherer Hvfbenmter,
der den Vater besuchte, Freiherr zu Racknitz (damals Obcrküchenmeister, später
Hofmarschall am sächsischen Hofe, auch als Liederkomponist und Kunstschrift-
steller nicht ohne Namen), gerade im Spiel begriffen fand. Selbst Kenner und
Liebhaber derartiger Spiele, setzte er sich zu ihnen und bat sie fortzufahren.
Die Sache war neu und gefiel ihm so, daß er im Kreise des Königs und der
Prinzen ausführlich von dem Spiele erzählte. Schon am folgenden Tage schickte




Es mag darauf hingewiesen werden, daß Julius der spätere berühmte Maler der
Villa Mnssimi, der Münchener Residenz, der Zeichner der Bilderbibel ist, während sein älterer
Bruder Eduard schon mit sechsundzwanzig Jahren der Knnstlcrlaufbahn, die er ebenfalls er¬
griffen halte, entrissen ward.
Gemeine ist wahrscheinlich Bülows "Geist des neueren Kriegssystems, hergeleitet aus
dem Grundsatze einer Basis der Operationen, auch für Laien in der Kriegskunst faßlich vor¬
getragen von einem ehemaligen prensüscheu Offizier" (1799).
Das Schnorrsche A'rieasspiol am sächsischen Hose.

den Schlachtfeldern von Aspern und Wagram zu einer neuen Demütigung der
Habsburgischen Mvnnrchie führen sollte, war der sächsische Hof, damals aufs
engste mit Napoleon liirt, aus Furcht vor feindlichen Einfällen über die ucchc
böhmische Grenze von Dresden nach Leipzig geflüchtet, auch dort nur durch
Bernadottes beruhigende Versicherungen und die dringenden Vorstellungen der
Leipziger Kaufmannschaft zurückgehalten, welche von einer weiteren Flucht des
königlichen Herrn die gänzliche Auflösung der gerade im Gange befindlichen
Ostermesse es war um den 16, April — als unvermeidliche Folge befürchtete.

Es bedarf keines Hinweises darauf, wie die bevorstehende Kriegsgefahr alle
Gemüter in Spannung erhielt. Was die Alten im innersten bewegte, druckte
sich in naiver Weise anch in dem Spiel der Jngend ans. Die beiden jüngeren
Söhne des Leipziger Malers Schmorr, Julius und Eduard, der eine fünfzehn-,
der andre sechzehnjährig, erfanden ein komplizirtes Kriegsspiel, das sie nach
allen Regeln damaliger Strategie aufbauten.") Zu einem ersten primitiven
Versuche dienten die Kerne eines großen Kürbisses, der den väterlichen Mittags¬
tisch geziert hatte. An Stelle der Kerne traten bald, eigenhändig gesägt
und gehobelt, kleine Hvlzpyrmnideu, welche, mit Abzeichen versehen, die ver¬
schiedene!? Waffengattungen vorstellten und sich auf den umfangreichen Grund-
plan vou 1200 Quadraten verteilten. „Beim Entwurf ihres Planes — so
erzählt der Vater — hatten beide Jünglinge darauf hingearbeitet, daß strategisch
wie in der Wirklichkeit alle Manövers ausgeführt werdeu könnten, und so diesem
Zweck gemäß Berge, uuübersteigbare oder von der einen Seite nur zu ersteigende
Felsen, Flüsse, Brücken und dergleichen fabrizirt. Die Basis hatten sie, nachdem
sie eine berühmte Schrift, nämlich ein »System der Kriegskunst« — deren Ver¬
fasser, wenn ich nicht irre, ein Preuße namens Bülow""'°) — gelesen, ans die
Magazine und deren Erhaltung gegründet."

Die Knaben waren in wiederholten Übungen schon zu bedeutender Fertig¬
keit in ihrem neuen Spiel gelaugt, als sie eines Tages ein höherer Hvfbenmter,
der den Vater besuchte, Freiherr zu Racknitz (damals Obcrküchenmeister, später
Hofmarschall am sächsischen Hofe, auch als Liederkomponist und Kunstschrift-
steller nicht ohne Namen), gerade im Spiel begriffen fand. Selbst Kenner und
Liebhaber derartiger Spiele, setzte er sich zu ihnen und bat sie fortzufahren.
Die Sache war neu und gefiel ihm so, daß er im Kreise des Königs und der
Prinzen ausführlich von dem Spiele erzählte. Schon am folgenden Tage schickte




Es mag darauf hingewiesen werden, daß Julius der spätere berühmte Maler der
Villa Mnssimi, der Münchener Residenz, der Zeichner der Bilderbibel ist, während sein älterer
Bruder Eduard schon mit sechsundzwanzig Jahren der Knnstlcrlaufbahn, die er ebenfalls er¬
griffen halte, entrissen ward.
Gemeine ist wahrscheinlich Bülows „Geist des neueren Kriegssystems, hergeleitet aus
dem Grundsatze einer Basis der Operationen, auch für Laien in der Kriegskunst faßlich vor¬
getragen von einem ehemaligen prensüscheu Offizier" (1799).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194262"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Schnorrsche A'rieasspiol am sächsischen Hose.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1018" prev="#ID_1017"> den Schlachtfeldern von Aspern und Wagram zu einer neuen Demütigung der<lb/>
Habsburgischen Mvnnrchie führen sollte, war der sächsische Hof, damals aufs<lb/>
engste mit Napoleon liirt, aus Furcht vor feindlichen Einfällen über die ucchc<lb/>
böhmische Grenze von Dresden nach Leipzig geflüchtet, auch dort nur durch<lb/>
Bernadottes beruhigende Versicherungen und die dringenden Vorstellungen der<lb/>
Leipziger Kaufmannschaft zurückgehalten, welche von einer weiteren Flucht des<lb/>
königlichen Herrn die gänzliche Auflösung der gerade im Gange befindlichen<lb/>
Ostermesse   es war um den 16, April &#x2014; als unvermeidliche Folge befürchtete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1019"> Es bedarf keines Hinweises darauf, wie die bevorstehende Kriegsgefahr alle<lb/>
Gemüter in Spannung erhielt. Was die Alten im innersten bewegte, druckte<lb/>
sich in naiver Weise anch in dem Spiel der Jngend ans. Die beiden jüngeren<lb/>
Söhne des Leipziger Malers Schmorr, Julius und Eduard, der eine fünfzehn-,<lb/>
der andre sechzehnjährig, erfanden ein komplizirtes Kriegsspiel, das sie nach<lb/>
allen Regeln damaliger Strategie aufbauten.") Zu einem ersten primitiven<lb/>
Versuche dienten die Kerne eines großen Kürbisses, der den väterlichen Mittags¬<lb/>
tisch geziert hatte. An Stelle der Kerne traten bald, eigenhändig gesägt<lb/>
und gehobelt, kleine Hvlzpyrmnideu, welche, mit Abzeichen versehen, die ver¬<lb/>
schiedene!? Waffengattungen vorstellten und sich auf den umfangreichen Grund-<lb/>
plan vou 1200 Quadraten verteilten. &#x201E;Beim Entwurf ihres Planes &#x2014; so<lb/>
erzählt der Vater &#x2014; hatten beide Jünglinge darauf hingearbeitet, daß strategisch<lb/>
wie in der Wirklichkeit alle Manövers ausgeführt werdeu könnten, und so diesem<lb/>
Zweck gemäß Berge, uuübersteigbare oder von der einen Seite nur zu ersteigende<lb/>
Felsen, Flüsse, Brücken und dergleichen fabrizirt. Die Basis hatten sie, nachdem<lb/>
sie eine berühmte Schrift, nämlich ein »System der Kriegskunst« &#x2014; deren Ver¬<lb/>
fasser, wenn ich nicht irre, ein Preuße namens Bülow""'°) &#x2014; gelesen, ans die<lb/>
Magazine und deren Erhaltung gegründet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1020" next="#ID_1021"> Die Knaben waren in wiederholten Übungen schon zu bedeutender Fertig¬<lb/>
keit in ihrem neuen Spiel gelaugt, als sie eines Tages ein höherer Hvfbenmter,<lb/>
der den Vater besuchte, Freiherr zu Racknitz (damals Obcrküchenmeister, später<lb/>
Hofmarschall am sächsischen Hofe, auch als Liederkomponist und Kunstschrift-<lb/>
steller nicht ohne Namen), gerade im Spiel begriffen fand. Selbst Kenner und<lb/>
Liebhaber derartiger Spiele, setzte er sich zu ihnen und bat sie fortzufahren.<lb/>
Die Sache war neu und gefiel ihm so, daß er im Kreise des Königs und der<lb/>
Prinzen ausführlich von dem Spiele erzählte. Schon am folgenden Tage schickte</p><lb/>
          <note xml:id="FID_27" place="foot"> Es mag darauf hingewiesen werden, daß Julius der spätere berühmte Maler der<lb/>
Villa Mnssimi, der Münchener Residenz, der Zeichner der Bilderbibel ist, während sein älterer<lb/>
Bruder Eduard schon mit sechsundzwanzig Jahren der Knnstlcrlaufbahn, die er ebenfalls er¬<lb/>
griffen halte, entrissen ward.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_28" place="foot"> Gemeine ist wahrscheinlich Bülows &#x201E;Geist des neueren Kriegssystems, hergeleitet aus<lb/>
dem Grundsatze einer Basis der Operationen, auch für Laien in der Kriegskunst faßlich vor¬<lb/>
getragen von einem ehemaligen prensüscheu Offizier" (1799).</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] Das Schnorrsche A'rieasspiol am sächsischen Hose. den Schlachtfeldern von Aspern und Wagram zu einer neuen Demütigung der Habsburgischen Mvnnrchie führen sollte, war der sächsische Hof, damals aufs engste mit Napoleon liirt, aus Furcht vor feindlichen Einfällen über die ucchc böhmische Grenze von Dresden nach Leipzig geflüchtet, auch dort nur durch Bernadottes beruhigende Versicherungen und die dringenden Vorstellungen der Leipziger Kaufmannschaft zurückgehalten, welche von einer weiteren Flucht des königlichen Herrn die gänzliche Auflösung der gerade im Gange befindlichen Ostermesse es war um den 16, April — als unvermeidliche Folge befürchtete. Es bedarf keines Hinweises darauf, wie die bevorstehende Kriegsgefahr alle Gemüter in Spannung erhielt. Was die Alten im innersten bewegte, druckte sich in naiver Weise anch in dem Spiel der Jngend ans. Die beiden jüngeren Söhne des Leipziger Malers Schmorr, Julius und Eduard, der eine fünfzehn-, der andre sechzehnjährig, erfanden ein komplizirtes Kriegsspiel, das sie nach allen Regeln damaliger Strategie aufbauten.") Zu einem ersten primitiven Versuche dienten die Kerne eines großen Kürbisses, der den väterlichen Mittags¬ tisch geziert hatte. An Stelle der Kerne traten bald, eigenhändig gesägt und gehobelt, kleine Hvlzpyrmnideu, welche, mit Abzeichen versehen, die ver¬ schiedene!? Waffengattungen vorstellten und sich auf den umfangreichen Grund- plan vou 1200 Quadraten verteilten. „Beim Entwurf ihres Planes — so erzählt der Vater — hatten beide Jünglinge darauf hingearbeitet, daß strategisch wie in der Wirklichkeit alle Manövers ausgeführt werdeu könnten, und so diesem Zweck gemäß Berge, uuübersteigbare oder von der einen Seite nur zu ersteigende Felsen, Flüsse, Brücken und dergleichen fabrizirt. Die Basis hatten sie, nachdem sie eine berühmte Schrift, nämlich ein »System der Kriegskunst« — deren Ver¬ fasser, wenn ich nicht irre, ein Preuße namens Bülow""'°) — gelesen, ans die Magazine und deren Erhaltung gegründet." Die Knaben waren in wiederholten Übungen schon zu bedeutender Fertig¬ keit in ihrem neuen Spiel gelaugt, als sie eines Tages ein höherer Hvfbenmter, der den Vater besuchte, Freiherr zu Racknitz (damals Obcrküchenmeister, später Hofmarschall am sächsischen Hofe, auch als Liederkomponist und Kunstschrift- steller nicht ohne Namen), gerade im Spiel begriffen fand. Selbst Kenner und Liebhaber derartiger Spiele, setzte er sich zu ihnen und bat sie fortzufahren. Die Sache war neu und gefiel ihm so, daß er im Kreise des Königs und der Prinzen ausführlich von dem Spiele erzählte. Schon am folgenden Tage schickte Es mag darauf hingewiesen werden, daß Julius der spätere berühmte Maler der Villa Mnssimi, der Münchener Residenz, der Zeichner der Bilderbibel ist, während sein älterer Bruder Eduard schon mit sechsundzwanzig Jahren der Knnstlcrlaufbahn, die er ebenfalls er¬ griffen halte, entrissen ward. Gemeine ist wahrscheinlich Bülows „Geist des neueren Kriegssystems, hergeleitet aus dem Grundsatze einer Basis der Operationen, auch für Laien in der Kriegskunst faßlich vor¬ getragen von einem ehemaligen prensüscheu Offizier" (1799).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/284>, abgerufen am 26.06.2024.