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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Preußen nach dein Basler Frieden.

mit dein Bemerken ab, letzteres erfreue sich bereits voller Unabhängigkeit, und
über das linksrheinische Land erklärte man sich überhaupt nicht. Jetzt schien
mau in Berlin einige Energie zeigen zu Wollen. Hnugwitz erklärte den: fran¬
zösischen Geschäftsträger, der König werde in Paris durch seinen Gesandten
seine Forderung wiederholen und inzwischen seine Truppen an den Rhein vor¬
rücken lasse". Indeß machte dies in Paris wenig Eindruck; denn man kannte
die Zaghaftigkeit und den Wnulelmut des Königs und den Zwiespalt seiner An¬
schauungen und der Haugwitzscheu Politik. Einen Augenblick (im September)
schien es zwar, als wolle man den Forderungen Preußens wenigstens durch
Wiederherstellung der preußischen Verwaltung im Cleveschen gerecht werden. Da
aber strömte" von allen Seiten Siegesnachrichten herbei: bei Zürich hatte Massena
das russische Heer zertrümmert, und in Holland hatten die Alliirten vor Brunn
sich zurückziehen müssen. Die Einwirkung dieser Nachrichten auf die preußische
Politik war durchschlagend, vou eiuer Verwendung für Holland war nicht mehr
die Rede, und Haugwitz zog sich wieder ganz auf das System vollständiger
Neutralität zurück, das er vou 1795 bis 1798 verfochten hatte. Bald aber
traten Ereignisse ein, die ihn sogar zu einer Wiederannäherung an die Republik
veranlaßten.

Am 9. November bemächtigte sich Bonaparte durch einen Staatsstreich der
Regierung in Paris, und der Hof und das Ministerium in Berlin empfanden
diesen Umschwung mit Genugthuung, man hoffte, daß sich jetzt in Frankreich,
das man im stillen stets als natürlichen Verbündeten angesehen und nur in
seinem revolutionären Regiment gehaßt und gefürchtet hatte, eine Regierung
bilden werde, mit der sich ein freundliches Einvernehmen herstelle" lasse. Das
Anwachsen der Macht Österreichs, das sich in Süddentschland und Italien be¬
hauptete, und von dem man nichts gutes zu hoffen hatte, war lästig geworden.
Kaiser Paul hatte sich von der Koalition zurückgezogen, und Preußen konnte
seine alten freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland wieder aufnehme", ohne
seiue Neutralität in dem noch immer fortdauernden Kriege aufgeben zu müssen.
Es konnte dein Wunsche Talleyrands nach einer Vermittlung zwischen Rußland
und Frankreich willfahren und that dies. Als an" darauf aber französtschcr-
seits bewaffnete Vermittlung deu Österreichern gegenüber beanspruchte, wollte
nun in Berlin dnvou nichts hören; jedenfalls erbat man sich zunächst Angaben
über die Bedingungen, uuter denen sich Frankreich zu einem Frieden verstehen
wolle. Der erste Konsul selbst antwortete auf diese Frage, daß er an der Er¬
werbung Belgiens und des linken Rheinufers festhalte, aber auf alle Ansprüche
verzichte, die das Direktorium auch auf das rechte erhoben. Dafür forderte er
von Preuße" energisches Auftreten gegen Österreich. Haugwitz fand diese Er¬
klärungen Napoleons unvollständig und hinterlistig und sagte dem neuen fran¬
zösischen Gesandten Beurnonville, es sei unmöglich für Preußen, die Rheingrenze
als Friedensgruudlage vorzuschlagen. Gleichwohl ließ man dem ersten Konsul


Preußen nach dein Basler Frieden.

mit dein Bemerken ab, letzteres erfreue sich bereits voller Unabhängigkeit, und
über das linksrheinische Land erklärte man sich überhaupt nicht. Jetzt schien
mau in Berlin einige Energie zeigen zu Wollen. Hnugwitz erklärte den: fran¬
zösischen Geschäftsträger, der König werde in Paris durch seinen Gesandten
seine Forderung wiederholen und inzwischen seine Truppen an den Rhein vor¬
rücken lasse». Indeß machte dies in Paris wenig Eindruck; denn man kannte
die Zaghaftigkeit und den Wnulelmut des Königs und den Zwiespalt seiner An¬
schauungen und der Haugwitzscheu Politik. Einen Augenblick (im September)
schien es zwar, als wolle man den Forderungen Preußens wenigstens durch
Wiederherstellung der preußischen Verwaltung im Cleveschen gerecht werden. Da
aber strömte» von allen Seiten Siegesnachrichten herbei: bei Zürich hatte Massena
das russische Heer zertrümmert, und in Holland hatten die Alliirten vor Brunn
sich zurückziehen müssen. Die Einwirkung dieser Nachrichten auf die preußische
Politik war durchschlagend, vou eiuer Verwendung für Holland war nicht mehr
die Rede, und Haugwitz zog sich wieder ganz auf das System vollständiger
Neutralität zurück, das er vou 1795 bis 1798 verfochten hatte. Bald aber
traten Ereignisse ein, die ihn sogar zu einer Wiederannäherung an die Republik
veranlaßten.

Am 9. November bemächtigte sich Bonaparte durch einen Staatsstreich der
Regierung in Paris, und der Hof und das Ministerium in Berlin empfanden
diesen Umschwung mit Genugthuung, man hoffte, daß sich jetzt in Frankreich,
das man im stillen stets als natürlichen Verbündeten angesehen und nur in
seinem revolutionären Regiment gehaßt und gefürchtet hatte, eine Regierung
bilden werde, mit der sich ein freundliches Einvernehmen herstelle» lasse. Das
Anwachsen der Macht Österreichs, das sich in Süddentschland und Italien be¬
hauptete, und von dem man nichts gutes zu hoffen hatte, war lästig geworden.
Kaiser Paul hatte sich von der Koalition zurückgezogen, und Preußen konnte
seine alten freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland wieder aufnehme», ohne
seiue Neutralität in dem noch immer fortdauernden Kriege aufgeben zu müssen.
Es konnte dein Wunsche Talleyrands nach einer Vermittlung zwischen Rußland
und Frankreich willfahren und that dies. Als an» darauf aber französtschcr-
seits bewaffnete Vermittlung deu Österreichern gegenüber beanspruchte, wollte
nun in Berlin dnvou nichts hören; jedenfalls erbat man sich zunächst Angaben
über die Bedingungen, uuter denen sich Frankreich zu einem Frieden verstehen
wolle. Der erste Konsul selbst antwortete auf diese Frage, daß er an der Er¬
werbung Belgiens und des linken Rheinufers festhalte, aber auf alle Ansprüche
verzichte, die das Direktorium auch auf das rechte erhoben. Dafür forderte er
von Preuße» energisches Auftreten gegen Österreich. Haugwitz fand diese Er¬
klärungen Napoleons unvollständig und hinterlistig und sagte dem neuen fran¬
zösischen Gesandten Beurnonville, es sei unmöglich für Preußen, die Rheingrenze
als Friedensgruudlage vorzuschlagen. Gleichwohl ließ man dem ersten Konsul


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[0282] Preußen nach dein Basler Frieden. mit dein Bemerken ab, letzteres erfreue sich bereits voller Unabhängigkeit, und über das linksrheinische Land erklärte man sich überhaupt nicht. Jetzt schien mau in Berlin einige Energie zeigen zu Wollen. Hnugwitz erklärte den: fran¬ zösischen Geschäftsträger, der König werde in Paris durch seinen Gesandten seine Forderung wiederholen und inzwischen seine Truppen an den Rhein vor¬ rücken lasse». Indeß machte dies in Paris wenig Eindruck; denn man kannte die Zaghaftigkeit und den Wnulelmut des Königs und den Zwiespalt seiner An¬ schauungen und der Haugwitzscheu Politik. Einen Augenblick (im September) schien es zwar, als wolle man den Forderungen Preußens wenigstens durch Wiederherstellung der preußischen Verwaltung im Cleveschen gerecht werden. Da aber strömte» von allen Seiten Siegesnachrichten herbei: bei Zürich hatte Massena das russische Heer zertrümmert, und in Holland hatten die Alliirten vor Brunn sich zurückziehen müssen. Die Einwirkung dieser Nachrichten auf die preußische Politik war durchschlagend, vou eiuer Verwendung für Holland war nicht mehr die Rede, und Haugwitz zog sich wieder ganz auf das System vollständiger Neutralität zurück, das er vou 1795 bis 1798 verfochten hatte. Bald aber traten Ereignisse ein, die ihn sogar zu einer Wiederannäherung an die Republik veranlaßten. Am 9. November bemächtigte sich Bonaparte durch einen Staatsstreich der Regierung in Paris, und der Hof und das Ministerium in Berlin empfanden diesen Umschwung mit Genugthuung, man hoffte, daß sich jetzt in Frankreich, das man im stillen stets als natürlichen Verbündeten angesehen und nur in seinem revolutionären Regiment gehaßt und gefürchtet hatte, eine Regierung bilden werde, mit der sich ein freundliches Einvernehmen herstelle» lasse. Das Anwachsen der Macht Österreichs, das sich in Süddentschland und Italien be¬ hauptete, und von dem man nichts gutes zu hoffen hatte, war lästig geworden. Kaiser Paul hatte sich von der Koalition zurückgezogen, und Preußen konnte seine alten freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland wieder aufnehme», ohne seiue Neutralität in dem noch immer fortdauernden Kriege aufgeben zu müssen. Es konnte dein Wunsche Talleyrands nach einer Vermittlung zwischen Rußland und Frankreich willfahren und that dies. Als an» darauf aber französtschcr- seits bewaffnete Vermittlung deu Österreichern gegenüber beanspruchte, wollte nun in Berlin dnvou nichts hören; jedenfalls erbat man sich zunächst Angaben über die Bedingungen, uuter denen sich Frankreich zu einem Frieden verstehen wolle. Der erste Konsul selbst antwortete auf diese Frage, daß er an der Er¬ werbung Belgiens und des linken Rheinufers festhalte, aber auf alle Ansprüche verzichte, die das Direktorium auch auf das rechte erhoben. Dafür forderte er von Preuße» energisches Auftreten gegen Österreich. Haugwitz fand diese Er¬ klärungen Napoleons unvollständig und hinterlistig und sagte dem neuen fran¬ zösischen Gesandten Beurnonville, es sei unmöglich für Preußen, die Rheingrenze als Friedensgruudlage vorzuschlagen. Gleichwohl ließ man dem ersten Konsul

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/282>, abgerufen am 29.06.2024.