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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Aus dein englischen Parlamente.

entschlvssenheit oder in dem Glauben, andre seien im Begriffe zu sprechen, den
Sprecher bis zur Fragestellung gelangen läßt, ohne sich von seinein Sitze zu
erheben, und dann muß mau noch gehört werden, auch wenn die Annahme des
Antrages schon erfolgt ist. Ist dagegen derselbe abgelehnt worden, so ist die
Gelegenheit, sich über ihn zu äußern, vorüber. Wenn mehrere Abgeordnete zu¬
gleich sich zum Reden erheben, so erteilt der Sprecher demjenigen das Wort,
dessen Aufstehen er zuerst bemerkt hat. Hat er übersehen, daß jemand sich eher
erhoben hat, so wird er gewöhnlich durch Stimmen ans dem Hanse darauf auf¬
merksam gemacht, und wenn sich dem viele Abgeordneten anschließen, so pflegt
der vom Sprecher aufgerufene in der Regel auf die Priorität zu verzichten.
Geschieht dies uicht, so fragt der Sprecher das Haus: "Welches Mitglied hat
sich zuerst erhoben?" oder: "Welches Mitglied soll zunächst reden?" und es
wird darüber abgestimmt. Bei Wiederaufnahme einer vertagten Debatte (unser
Fall) hat der, welcher die Vertagung beantragt hat, zunächst das Wort; doch
kaun er stillschweigend darauf verzichten.

Wenn einem Mitgliede das Wort erteilt ist, so soll es uicht über beliebige
Dinge, vielmehr uur über den zur Verhandlung stehenden Gegenstand, über
einen Antrag, den es selbst stellen will, oder zur Geschäftsordnung sprechen.
Weicht es hiervon ab, so setzt es sich der Unterbrechung durch den Ruf Hruzstion
(zur Sache) aus. Werden augenscheinlich unerhebliche Dinge vorgebracht, so
bemerkt der Sprecher dein Abgeordneten, er solle zur Sache sprechen. Ob eine
Sache erheblich ist, ist nicht immer sofort zu erkennen, aber oft veranlaßt Er¬
müdung und Ungeduld mich langer Debatte Mitglieder zu der Mahnung Huostivn.
Solche Unterbrechung ist indeß ordnungswidrig und wird, falls es thunlich,
von: Sprecher durch den Ordnungsruf zurückgewiesen. Oft aber wird dies da¬
durch unmöglich, daß die Unterbrechung des Redners von vielen zugleich erfolgt
und die Partei des letztern sich in tumultuarischer Weise gegen sie äußert, und
dann kommt es gewöhnlich zur Vertagung der Debatte. Früher ließ man un¬
erhebliche Reden über Vertagungsanträge unbeschränkt zu, da sie für Ausnahmen
von der Regel angesehen wurden. Später versuchte der Sprecher eine größere
Strenge einzuführen. Er forderte die Redner auf, ihre Bemerkungen zu solchen
Antrügen ans die dem Hause gerade vorliegende Frage zu beschränken, d. h. auf
die, ob das Haus sich vertagen solle oder nicht. Die Versammlung lehnte das
jedoch ab, es wollte "seine Mitglieder nicht der Gelegenheit berauben, mit Ab¬
weichung von der Tagesordnung allgemeine Debatten herbeizuführen," und so
blieb es, wenn Vertaguugsauträge besprochen wurden, bei einer Breite der Dis¬
kussion, die sich nicht selten zu unbequemster Zeitverschwendung steigerte.

Kein Mitglied soll zweimal über dieselbe Frage sprechen, ausgenommen,
um ein Mißverständnis in Betreff eines Teils feiner Rede aufzuklären, um zu
Ende der Debatte zu replizireu und schließlich im Ausschüsse, wo jeder über
eine Sache so oft und so lange sich auslassen kann, als er für gut findet. Die


Aus dein englischen Parlamente.

entschlvssenheit oder in dem Glauben, andre seien im Begriffe zu sprechen, den
Sprecher bis zur Fragestellung gelangen läßt, ohne sich von seinein Sitze zu
erheben, und dann muß mau noch gehört werden, auch wenn die Annahme des
Antrages schon erfolgt ist. Ist dagegen derselbe abgelehnt worden, so ist die
Gelegenheit, sich über ihn zu äußern, vorüber. Wenn mehrere Abgeordnete zu¬
gleich sich zum Reden erheben, so erteilt der Sprecher demjenigen das Wort,
dessen Aufstehen er zuerst bemerkt hat. Hat er übersehen, daß jemand sich eher
erhoben hat, so wird er gewöhnlich durch Stimmen ans dem Hanse darauf auf¬
merksam gemacht, und wenn sich dem viele Abgeordneten anschließen, so pflegt
der vom Sprecher aufgerufene in der Regel auf die Priorität zu verzichten.
Geschieht dies uicht, so fragt der Sprecher das Haus: „Welches Mitglied hat
sich zuerst erhoben?" oder: „Welches Mitglied soll zunächst reden?" und es
wird darüber abgestimmt. Bei Wiederaufnahme einer vertagten Debatte (unser
Fall) hat der, welcher die Vertagung beantragt hat, zunächst das Wort; doch
kaun er stillschweigend darauf verzichten.

Wenn einem Mitgliede das Wort erteilt ist, so soll es uicht über beliebige
Dinge, vielmehr uur über den zur Verhandlung stehenden Gegenstand, über
einen Antrag, den es selbst stellen will, oder zur Geschäftsordnung sprechen.
Weicht es hiervon ab, so setzt es sich der Unterbrechung durch den Ruf Hruzstion
(zur Sache) aus. Werden augenscheinlich unerhebliche Dinge vorgebracht, so
bemerkt der Sprecher dein Abgeordneten, er solle zur Sache sprechen. Ob eine
Sache erheblich ist, ist nicht immer sofort zu erkennen, aber oft veranlaßt Er¬
müdung und Ungeduld mich langer Debatte Mitglieder zu der Mahnung Huostivn.
Solche Unterbrechung ist indeß ordnungswidrig und wird, falls es thunlich,
von: Sprecher durch den Ordnungsruf zurückgewiesen. Oft aber wird dies da¬
durch unmöglich, daß die Unterbrechung des Redners von vielen zugleich erfolgt
und die Partei des letztern sich in tumultuarischer Weise gegen sie äußert, und
dann kommt es gewöhnlich zur Vertagung der Debatte. Früher ließ man un¬
erhebliche Reden über Vertagungsanträge unbeschränkt zu, da sie für Ausnahmen
von der Regel angesehen wurden. Später versuchte der Sprecher eine größere
Strenge einzuführen. Er forderte die Redner auf, ihre Bemerkungen zu solchen
Antrügen ans die dem Hause gerade vorliegende Frage zu beschränken, d. h. auf
die, ob das Haus sich vertagen solle oder nicht. Die Versammlung lehnte das
jedoch ab, es wollte „seine Mitglieder nicht der Gelegenheit berauben, mit Ab¬
weichung von der Tagesordnung allgemeine Debatten herbeizuführen," und so
blieb es, wenn Vertaguugsauträge besprochen wurden, bei einer Breite der Dis¬
kussion, die sich nicht selten zu unbequemster Zeitverschwendung steigerte.

Kein Mitglied soll zweimal über dieselbe Frage sprechen, ausgenommen,
um ein Mißverständnis in Betreff eines Teils feiner Rede aufzuklären, um zu
Ende der Debatte zu replizireu und schließlich im Ausschüsse, wo jeder über
eine Sache so oft und so lange sich auslassen kann, als er für gut findet. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/262>, abgerufen am 22.07.2024.