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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Prof. Mdebrmid und das Grimmsche Wörterbuch.

Von sich hinausgehen läßt: das innere Band zwischen Schöpfer und Werk bleibt,
es ist eine Gemeinschaft höherer, seelischer Art, die beide aneinander fesselt. Wie
wir Hildebrand kennen, so müssen Vorfälle drängendster Natur eingetreten sein,
die jenen Vorsatz in ihm zur Reife gebracht haben. Hat er doch selber aus¬
drücklich und öffentlich, in der schönen Rede über die wissenschaftliche und nationale
Bedeutung von Grimms deutschen Wörterbuch, gehalten am 24. April 1869,
es ausgesprochen, daß "die deutsche Philologie es war, die ihn vou andern
Zielen ab zu sich hinzog, eben weil sie im engern Sinn nicht bloß eine Wissen¬
schaft ist, sondern zugleich eine Wissenschaft für das Heil der Nation, wie freilich
jede Wissenschaft im höhern Sinne." Er, der mit so voller Überzeugung von
der großen Bedeutung, mit so lebendigem Gefühl für den Ernst und die Ver¬
antwortlichkeit der übernommenen Aufgabe an diese herantrat, der sich klarbe¬
wußt damit in den Dienst der Nation stellte, sollte um nach mehr als dreißig¬
jähriger ehrenvoller Thätigkeit wie eine fürderhin leicht entbehrliche oder verbrauchte
Kraft ausscheide"? Es ist schwer zu begreifen.

Dennoch glauben wir an die Wahrheit des vernommenen Gerüchtes. Schon
seit längerer Zeit wird vorzugsweise in deu sogenannten kritischen Zeitschriften
beim Erscheine" jeden neuen Heftes, das Hildebrand veröffentlicht, die Klage,
oder richtiger Anklage, fast bis zur Trivialität wiederholt, als sei es dieser
Gelehrte, der dnrch die Art seiner Behandlung, die allzusehr ius Breite -- billig
urteilende fügen wenigstens hinzu, auch ius Tiefe, Gründliche -- gehe, die
Vollendung des Werkes verzögere, ja wohl die Ausführung geradezu verderbe ---
ein Vorwurf, dessen Berechtigung sich ja ohne viel Kunst auch dem minder
kundige" plausibel macheu läßt. So wäre es denn erklärt, wenn viele Laieu-
knufer, dnrch derlei Denunziationen, die ja auch in ihre Kreise bringen, stutzig
gemacht, sich wohl bestimmen ließen, vom Abonnement auf ein Werk, das ja
doch nimmer, wenigstens bei ihren Lebzeiten nicht, auf Vollendung hoffen dürfe,
"bzuspriugen und so dem Werke ihren materiellen Beistand entzögen. Dergleichen
und ähnliches kann man allerorten, wo solche Weisheit ausgekramt wird, in
den verschiedensten Tonarten hören.

Hildebrand gehört keiner wissenschaftlichen oder kritischen Verbrüderung
" Schule oder Clique -- an; frei von allem windigen Ehrgeizkitzcl hat er nie
"und nur im stillen Verlangen getragen -- sein Stolz hätte so etwas voll
Widerwillen weit weggewiesen --, für jede wissenschaftliche Leistung in der Aus¬
stellungshalle einer Ässekurauzgcsellschaft für gegenseitige Lobhudelei ein Plätzlein
Zu finden; darum hat sich nie, wenn schon es ihm gewiß nicht an solchen fehlt,
die mit Leib und Seele für ihn und seine Sache eintreten, jemand erhoben, der
die Verpflichtung gefühlt hätte, gegen die Schaar von Verkleinerern eines Meisters
der Wissenschaft das Schwert gerechter Züchtigung zu schwingen. Er selber ist
^>>er jener Gelehrten aus der guten alten Zeit, die ruhig und friedlich ihres
Weges ziehen, ihre Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, ohne


Prof. Mdebrmid und das Grimmsche Wörterbuch.

Von sich hinausgehen läßt: das innere Band zwischen Schöpfer und Werk bleibt,
es ist eine Gemeinschaft höherer, seelischer Art, die beide aneinander fesselt. Wie
wir Hildebrand kennen, so müssen Vorfälle drängendster Natur eingetreten sein,
die jenen Vorsatz in ihm zur Reife gebracht haben. Hat er doch selber aus¬
drücklich und öffentlich, in der schönen Rede über die wissenschaftliche und nationale
Bedeutung von Grimms deutschen Wörterbuch, gehalten am 24. April 1869,
es ausgesprochen, daß „die deutsche Philologie es war, die ihn vou andern
Zielen ab zu sich hinzog, eben weil sie im engern Sinn nicht bloß eine Wissen¬
schaft ist, sondern zugleich eine Wissenschaft für das Heil der Nation, wie freilich
jede Wissenschaft im höhern Sinne." Er, der mit so voller Überzeugung von
der großen Bedeutung, mit so lebendigem Gefühl für den Ernst und die Ver¬
antwortlichkeit der übernommenen Aufgabe an diese herantrat, der sich klarbe¬
wußt damit in den Dienst der Nation stellte, sollte um nach mehr als dreißig¬
jähriger ehrenvoller Thätigkeit wie eine fürderhin leicht entbehrliche oder verbrauchte
Kraft ausscheide«? Es ist schwer zu begreifen.

Dennoch glauben wir an die Wahrheit des vernommenen Gerüchtes. Schon
seit längerer Zeit wird vorzugsweise in deu sogenannten kritischen Zeitschriften
beim Erscheine» jeden neuen Heftes, das Hildebrand veröffentlicht, die Klage,
oder richtiger Anklage, fast bis zur Trivialität wiederholt, als sei es dieser
Gelehrte, der dnrch die Art seiner Behandlung, die allzusehr ius Breite — billig
urteilende fügen wenigstens hinzu, auch ius Tiefe, Gründliche — gehe, die
Vollendung des Werkes verzögere, ja wohl die Ausführung geradezu verderbe —-
ein Vorwurf, dessen Berechtigung sich ja ohne viel Kunst auch dem minder
kundige» plausibel macheu läßt. So wäre es denn erklärt, wenn viele Laieu-
knufer, dnrch derlei Denunziationen, die ja auch in ihre Kreise bringen, stutzig
gemacht, sich wohl bestimmen ließen, vom Abonnement auf ein Werk, das ja
doch nimmer, wenigstens bei ihren Lebzeiten nicht, auf Vollendung hoffen dürfe,
"bzuspriugen und so dem Werke ihren materiellen Beistand entzögen. Dergleichen
und ähnliches kann man allerorten, wo solche Weisheit ausgekramt wird, in
den verschiedensten Tonarten hören.

Hildebrand gehört keiner wissenschaftlichen oder kritischen Verbrüderung
" Schule oder Clique — an; frei von allem windigen Ehrgeizkitzcl hat er nie
"und nur im stillen Verlangen getragen — sein Stolz hätte so etwas voll
Widerwillen weit weggewiesen —, für jede wissenschaftliche Leistung in der Aus¬
stellungshalle einer Ässekurauzgcsellschaft für gegenseitige Lobhudelei ein Plätzlein
Zu finden; darum hat sich nie, wenn schon es ihm gewiß nicht an solchen fehlt,
die mit Leib und Seele für ihn und seine Sache eintreten, jemand erhoben, der
die Verpflichtung gefühlt hätte, gegen die Schaar von Verkleinerern eines Meisters
der Wissenschaft das Schwert gerechter Züchtigung zu schwingen. Er selber ist
^>>er jener Gelehrten aus der guten alten Zeit, die ruhig und friedlich ihres
Weges ziehen, ihre Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/223>, abgerufen am 29.06.2024.