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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Wehrpflicht und Erziehung,

bewegen lernt, so übersieht man von seiten solcher dilittirenden militärischen Er-
ziehuugsexperimente gewöhnlich, daß dem Schnlturne" bereits seit vierzig Jahren
das Gebiet der sogenannten Ordnungsübungen erschlossen ist, welches jenen
Zweck vollkommener, vielseitiger, dem Wesen der Jugend angemessener und doch
mich den jetzigen Gefechtsformen gegenüber thatsächlich bildender zu erreichen
imstande ist. So steht es aber mit jeder leiblichen und geistigen Fähigkeit; auch
wenn sie nicht in militärischer Form geübt ist, wird sie sich kriegerisch fruchtbar
erweisen, wenn sie nur vorhanden ist.

Deswegen können wir uns auch sür die theoretische Unterweisung der Jngend
über das Wehrwesen nicht erwärmen. Zunächst schießt der betreffende Teil unsers
Handbuches mit seiner Fülle von Zahlen und andern dctaillirten Angaben bis
zu den Namen aller Kanonenböte und selbst der uoch unvollendeten Avisos D.
und E> sicher über das Ziel des für die Jngend Wissenswerten hinaus. Aber
wir halte" es überhaupt, sowenig wir etwa für Mädchenschulen einen Auszug
aus der "Hausfrau" oder dem "Kochbuch" der Henriette Davidis als Lehr¬
buch sür angebracht halten, ebensowenig bei Knaben für nötig oder anch nur
wünschenswert, die militärische Instruktion, welche sich dem in der Truppe
stehenden Soldaten im besten Zusammenhang mit dem Dienste selbst bietet, als
einen besondern Teil des Jugendnnterrichts vorwegzunehmen. Das nötigste
über Umfang und Organisation von Heer und Marine kann und pflegt wohl
auch meistens bei der Geographie des deutschen Reiches gegeben zu werden. Noch
weniger aber halten wir es für angezeigt, wie es in einer Reihe von Abschnitten
dieses Teiles (insbesondre S. 114 bis 134) an die Hand gegeben wird, gewisser¬
maßen besondre Lehrstunden zur Erregung des Patriotismus anzusetzen. Wohl
soll ja von echt patriotischer Gesinnung jeder Unterricht getragen werden, bei
Einführung in die griechische und römische Welt nicht minder als beim Heran¬
treten an die vaterlüudische Geschichte und Literatur; aber darüber mit Knaben
viel zu reden und zu reflektiren, würde wohl gerade denen am schwersten an¬
kommen, die es am ernstesten meinen.*)

Zur Unterstützung unsers Widerspruchs gegen wesentliche Teile des eben
besprochenen Handbuchs kommt uns der schweizerische Vvrtrng über Schulturnen
und Kadetteuwesen zu statten. Wenn irgendwo eine bestimmt militärische Jngend-
reziehnng Entschuldigung findet, so wäre es in der Schweiz mit ihrer Milizwehr-
verfnssung, wie denn auch gerade dort die bei uus uach kurzem Dasein überall
wieder eingegangenen Jugendwehren sich als sogenannte Kadettenkvrps an einer



Die Schreibweise des Buches ist zuweilen höchst nachlässig. S. 105 steht: Wie Männer,
die sich ihrer Würde, Ehre und Pflicht bewußt, vollzieht sich der militärische Verkehr. S, IN:
Stets bewacht, niemals frei, ist die Zelle des Gefängnisses sein Dasein und das Gefühl un¬
würdig erklärt zu sein, die Farben des Landes zu tragen, und ausgeschlossen von der Ver¬
teidigung des Vaterlandes, hat er seinen Beruf als Bürger im Staate preisgegeben. S, 109
und 116: einen Eid auf der (!) Fcchue leisten.
Wehrpflicht und Erziehung,

bewegen lernt, so übersieht man von seiten solcher dilittirenden militärischen Er-
ziehuugsexperimente gewöhnlich, daß dem Schnlturne» bereits seit vierzig Jahren
das Gebiet der sogenannten Ordnungsübungen erschlossen ist, welches jenen
Zweck vollkommener, vielseitiger, dem Wesen der Jugend angemessener und doch
mich den jetzigen Gefechtsformen gegenüber thatsächlich bildender zu erreichen
imstande ist. So steht es aber mit jeder leiblichen und geistigen Fähigkeit; auch
wenn sie nicht in militärischer Form geübt ist, wird sie sich kriegerisch fruchtbar
erweisen, wenn sie nur vorhanden ist.

Deswegen können wir uns auch sür die theoretische Unterweisung der Jngend
über das Wehrwesen nicht erwärmen. Zunächst schießt der betreffende Teil unsers
Handbuches mit seiner Fülle von Zahlen und andern dctaillirten Angaben bis
zu den Namen aller Kanonenböte und selbst der uoch unvollendeten Avisos D.
und E> sicher über das Ziel des für die Jngend Wissenswerten hinaus. Aber
wir halte« es überhaupt, sowenig wir etwa für Mädchenschulen einen Auszug
aus der „Hausfrau" oder dem „Kochbuch" der Henriette Davidis als Lehr¬
buch sür angebracht halten, ebensowenig bei Knaben für nötig oder anch nur
wünschenswert, die militärische Instruktion, welche sich dem in der Truppe
stehenden Soldaten im besten Zusammenhang mit dem Dienste selbst bietet, als
einen besondern Teil des Jugendnnterrichts vorwegzunehmen. Das nötigste
über Umfang und Organisation von Heer und Marine kann und pflegt wohl
auch meistens bei der Geographie des deutschen Reiches gegeben zu werden. Noch
weniger aber halten wir es für angezeigt, wie es in einer Reihe von Abschnitten
dieses Teiles (insbesondre S. 114 bis 134) an die Hand gegeben wird, gewisser¬
maßen besondre Lehrstunden zur Erregung des Patriotismus anzusetzen. Wohl
soll ja von echt patriotischer Gesinnung jeder Unterricht getragen werden, bei
Einführung in die griechische und römische Welt nicht minder als beim Heran¬
treten an die vaterlüudische Geschichte und Literatur; aber darüber mit Knaben
viel zu reden und zu reflektiren, würde wohl gerade denen am schwersten an¬
kommen, die es am ernstesten meinen.*)

Zur Unterstützung unsers Widerspruchs gegen wesentliche Teile des eben
besprochenen Handbuchs kommt uns der schweizerische Vvrtrng über Schulturnen
und Kadetteuwesen zu statten. Wenn irgendwo eine bestimmt militärische Jngend-
reziehnng Entschuldigung findet, so wäre es in der Schweiz mit ihrer Milizwehr-
verfnssung, wie denn auch gerade dort die bei uus uach kurzem Dasein überall
wieder eingegangenen Jugendwehren sich als sogenannte Kadettenkvrps an einer



Die Schreibweise des Buches ist zuweilen höchst nachlässig. S. 105 steht: Wie Männer,
die sich ihrer Würde, Ehre und Pflicht bewußt, vollzieht sich der militärische Verkehr. S, IN:
Stets bewacht, niemals frei, ist die Zelle des Gefängnisses sein Dasein und das Gefühl un¬
würdig erklärt zu sein, die Farben des Landes zu tragen, und ausgeschlossen von der Ver¬
teidigung des Vaterlandes, hat er seinen Beruf als Bürger im Staate preisgegeben. S, 109
und 116: einen Eid auf der (!) Fcchue leisten.
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[0220] Wehrpflicht und Erziehung, bewegen lernt, so übersieht man von seiten solcher dilittirenden militärischen Er- ziehuugsexperimente gewöhnlich, daß dem Schnlturne» bereits seit vierzig Jahren das Gebiet der sogenannten Ordnungsübungen erschlossen ist, welches jenen Zweck vollkommener, vielseitiger, dem Wesen der Jugend angemessener und doch mich den jetzigen Gefechtsformen gegenüber thatsächlich bildender zu erreichen imstande ist. So steht es aber mit jeder leiblichen und geistigen Fähigkeit; auch wenn sie nicht in militärischer Form geübt ist, wird sie sich kriegerisch fruchtbar erweisen, wenn sie nur vorhanden ist. Deswegen können wir uns auch sür die theoretische Unterweisung der Jngend über das Wehrwesen nicht erwärmen. Zunächst schießt der betreffende Teil unsers Handbuches mit seiner Fülle von Zahlen und andern dctaillirten Angaben bis zu den Namen aller Kanonenböte und selbst der uoch unvollendeten Avisos D. und E> sicher über das Ziel des für die Jngend Wissenswerten hinaus. Aber wir halte« es überhaupt, sowenig wir etwa für Mädchenschulen einen Auszug aus der „Hausfrau" oder dem „Kochbuch" der Henriette Davidis als Lehr¬ buch sür angebracht halten, ebensowenig bei Knaben für nötig oder anch nur wünschenswert, die militärische Instruktion, welche sich dem in der Truppe stehenden Soldaten im besten Zusammenhang mit dem Dienste selbst bietet, als einen besondern Teil des Jugendnnterrichts vorwegzunehmen. Das nötigste über Umfang und Organisation von Heer und Marine kann und pflegt wohl auch meistens bei der Geographie des deutschen Reiches gegeben zu werden. Noch weniger aber halten wir es für angezeigt, wie es in einer Reihe von Abschnitten dieses Teiles (insbesondre S. 114 bis 134) an die Hand gegeben wird, gewisser¬ maßen besondre Lehrstunden zur Erregung des Patriotismus anzusetzen. Wohl soll ja von echt patriotischer Gesinnung jeder Unterricht getragen werden, bei Einführung in die griechische und römische Welt nicht minder als beim Heran¬ treten an die vaterlüudische Geschichte und Literatur; aber darüber mit Knaben viel zu reden und zu reflektiren, würde wohl gerade denen am schwersten an¬ kommen, die es am ernstesten meinen.*) Zur Unterstützung unsers Widerspruchs gegen wesentliche Teile des eben besprochenen Handbuchs kommt uns der schweizerische Vvrtrng über Schulturnen und Kadetteuwesen zu statten. Wenn irgendwo eine bestimmt militärische Jngend- reziehnng Entschuldigung findet, so wäre es in der Schweiz mit ihrer Milizwehr- verfnssung, wie denn auch gerade dort die bei uus uach kurzem Dasein überall wieder eingegangenen Jugendwehren sich als sogenannte Kadettenkvrps an einer Die Schreibweise des Buches ist zuweilen höchst nachlässig. S. 105 steht: Wie Männer, die sich ihrer Würde, Ehre und Pflicht bewußt, vollzieht sich der militärische Verkehr. S, IN: Stets bewacht, niemals frei, ist die Zelle des Gefängnisses sein Dasein und das Gefühl un¬ würdig erklärt zu sein, die Farben des Landes zu tragen, und ausgeschlossen von der Ver¬ teidigung des Vaterlandes, hat er seinen Beruf als Bürger im Staate preisgegeben. S, 109 und 116: einen Eid auf der (!) Fcchue leisten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/220>, abgerufen am 28.09.2024.