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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

zählte Flaschen Wein standen darauf, und einen solchen Tisch voreilig zu ver¬
lassen, erschien allen anßer Ephraim als die größte Thorheit,

Was fällt dir nur ein? Warum willst dn so bald fort?,fragte Flörchen.
Weißt du das wirklich nicht? fragte er mit zuckender Lippe,
Wirklich nicht, entgegnete sie, und damit sprach sie die Wahrheit,
Dann will ich es dir hageln mir gefällt es nicht, daß dn dich von einen:

beliebigen Menschen zum Tanze fortziehen läßt.

Er bereute, daß er dies gesagt hatte, noch ehe der Ton seiner Worte ver¬
klungen war, denn er sagte sich selbst, daß die größte Gelassenheit hier die beste
Politik sei, aber es war zu spät. Flörchen hatte nicht die Gabe, ihre Meinungen
zu verheimlichen. Sie sagte gerade heraus, was sie dachte, und mit derselben,
ihm fast unglaublich erscheinenden Unbefangenheit, mit welcher sie einst ihre zärt¬
lichen Gefühle für ihn gestanden und seine Gegenliebe herausgefordert hatte, mit
derselben unverhüllten Offenheit machte sie ihn darauf aufmerksam, daß er kein
Recht habe, ihr Vorwürfe zu machen oder ihr etwas zu verbieten oder ihr ein
Vergnügen zu rauben.

Da hat das Mädchen Recht, sagte der Förster mit einem ernsten Blick auf
Ephraim. Schon längst war ihm das formlose Verhältnis zwischen den beiden
ein anstößiges Ding gewesen, und er freute sich der Gelegenheit, dies merken
zu lassen.

Ephraim schwieg. Jawohl hatten sie Recht, diese Leute, mit denen er keine
Ähnlichkeit hatte, deren Worte und Gedanken ihm so fremd waren wie die seinigen
ihnen. Er machte keinen Versuch, sich mit ihnen zu verständigen. Aber in
Flörchens Augen war inzwischen eine Thräne aufgestiegen, indem sie überlegte,
wie sehr ihr Unrecht geschehen sei von selten dieses sonderbaren Menschen, der
sie durch seine Ansprüche beleidigte. Sie hatte noch manches zu sagen, was
sie nicht auf dem Herzen behalten konnte, und stand auf, um den Beleidiger zur
Seite zu ziehen.

Dn bist sehr unartig gegen mich, Ephraim, sagte sie mit entschiedenem
Tone. Du behauptest, ich wäre ein kokettes Mädchen, das sich von einem jeden
den Hof machen ließe. Wenn du wirklich Grund dazu hättest, so könnte es
doch nur um deswillen sein, daß ich deiner Liebe vielleicht mehr nachgegeben
habe, als sich schickt, während dn deinerseits nichts gethan hast, um mir das
zu entgelten. Du weißt nicht, was ich um dich schon von meinen Eltern, Ver¬
wandten und Freundinnen ausgestanden habe. Denn sie sagen mir alle, daß
es nicht anständig von mir ist, so viel mit dir umzugehen, während du dir doch
offenbar nichts ans mir machst. Denn wärst du nur etwas besorgt um meinen
Ruf, so würdest du wohl schon andre Schritte gethan haben. Ich weiß wohl,
daß du ein Gelehrter bist, aber so viel Verstand muß auch ein Gelehrter haben,
daß er einsieht, man kann ein Mädchen nicht so lange an der Nase herum¬
führen. Die wenigen Jahre, wo man leidlich aussieht, vergehen gar rasch, und


Grenztwten III. 1882. 12
Bakchen und Thyrsosträger.

zählte Flaschen Wein standen darauf, und einen solchen Tisch voreilig zu ver¬
lassen, erschien allen anßer Ephraim als die größte Thorheit,

Was fällt dir nur ein? Warum willst dn so bald fort?,fragte Flörchen.
Weißt du das wirklich nicht? fragte er mit zuckender Lippe,
Wirklich nicht, entgegnete sie, und damit sprach sie die Wahrheit,
Dann will ich es dir hageln mir gefällt es nicht, daß dn dich von einen:

beliebigen Menschen zum Tanze fortziehen läßt.

Er bereute, daß er dies gesagt hatte, noch ehe der Ton seiner Worte ver¬
klungen war, denn er sagte sich selbst, daß die größte Gelassenheit hier die beste
Politik sei, aber es war zu spät. Flörchen hatte nicht die Gabe, ihre Meinungen
zu verheimlichen. Sie sagte gerade heraus, was sie dachte, und mit derselben,
ihm fast unglaublich erscheinenden Unbefangenheit, mit welcher sie einst ihre zärt¬
lichen Gefühle für ihn gestanden und seine Gegenliebe herausgefordert hatte, mit
derselben unverhüllten Offenheit machte sie ihn darauf aufmerksam, daß er kein
Recht habe, ihr Vorwürfe zu machen oder ihr etwas zu verbieten oder ihr ein
Vergnügen zu rauben.

Da hat das Mädchen Recht, sagte der Förster mit einem ernsten Blick auf
Ephraim. Schon längst war ihm das formlose Verhältnis zwischen den beiden
ein anstößiges Ding gewesen, und er freute sich der Gelegenheit, dies merken
zu lassen.

Ephraim schwieg. Jawohl hatten sie Recht, diese Leute, mit denen er keine
Ähnlichkeit hatte, deren Worte und Gedanken ihm so fremd waren wie die seinigen
ihnen. Er machte keinen Versuch, sich mit ihnen zu verständigen. Aber in
Flörchens Augen war inzwischen eine Thräne aufgestiegen, indem sie überlegte,
wie sehr ihr Unrecht geschehen sei von selten dieses sonderbaren Menschen, der
sie durch seine Ansprüche beleidigte. Sie hatte noch manches zu sagen, was
sie nicht auf dem Herzen behalten konnte, und stand auf, um den Beleidiger zur
Seite zu ziehen.

Dn bist sehr unartig gegen mich, Ephraim, sagte sie mit entschiedenem
Tone. Du behauptest, ich wäre ein kokettes Mädchen, das sich von einem jeden
den Hof machen ließe. Wenn du wirklich Grund dazu hättest, so könnte es
doch nur um deswillen sein, daß ich deiner Liebe vielleicht mehr nachgegeben
habe, als sich schickt, während dn deinerseits nichts gethan hast, um mir das
zu entgelten. Du weißt nicht, was ich um dich schon von meinen Eltern, Ver¬
wandten und Freundinnen ausgestanden habe. Denn sie sagen mir alle, daß
es nicht anständig von mir ist, so viel mit dir umzugehen, während du dir doch
offenbar nichts ans mir machst. Denn wärst du nur etwas besorgt um meinen
Ruf, so würdest du wohl schon andre Schritte gethan haben. Ich weiß wohl,
daß du ein Gelehrter bist, aber so viel Verstand muß auch ein Gelehrter haben,
daß er einsieht, man kann ein Mädchen nicht so lange an der Nase herum¬
führen. Die wenigen Jahre, wo man leidlich aussieht, vergehen gar rasch, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/97>, abgerufen am 22.07.2024.