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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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(1682--1764) erstand wieder ein Förderer der Kunst der Jnstrumentation und
ein zum Teil sehr kühn wagender Tvnmnler, Um dieselbe Zeit (in der ersten
Hülste des achtzehnten Jahrhunderts) breiteten die beiden Touriesen Händel und
Bach ihren Ruhm aus; wie alle großen Genies nutzten diese alle Darstellungs-
mittel der Kunst und wurden so auch hervorragende Förderer des instrumentalen
und vokalen Kolorismus. So gelangte bereits ein stattliches Erbe auf Haydn,
Mozart und Beethoven, das sogleich durch den ersten derselben außerordentlich
erweitert wurde, indem dieser das Zusammenspiel der Orchesterinstrumente zu
einem Dialog charakteristisch unterschiedener Individuen umgestaltete. Doch blieb
immer noch ein weiter Sprung selbst von Beethoven bis zu Berlioz und Lißt.
Die Fähigkeit der Musik, die Wirkung des Wortes und der Handlung inten¬
siver zu gestalten durch direkte Übermittlung der Empfindungen der Beteiligten
an die Zuhörer, hatte die Kunstgattung der Oper und des Oratoriums zu hoher
Bedeutung entwickelt; die Musik hatte dabei gelernt, sich dem äußern Gang der
Handlung derart anzuschmiegen, daß sie mit Recht als illnstrirend bezeichnet
werden muß und der Gedanke schließlich kommen mußte, durch die Musik allein
eine ganze Handlung darstellen zu wollen. Wir sehen ja, daß schon die alten
Griecheu einmal so weit gekommen waren. Welch ein Abstand mag freilich be¬
stehen zwischen Liszts Fanstsymphonie oder Berlioz' K^irrplloniv ung.reg.8tieM>.
und der pythischen Weise des Sakadas, die uns leider nicht erhalten ist. Der
Zweck, das Hauptprinzip ist dasselbe, aber zwei Jahrtausende und vier ganz
besonders schnellschreiteude Jahrhunderte (von 1485 bis heute) haben die Dar¬
stellungsmittel der Kunst enorm vervielfältigt. Ob nicht die Fähigkeit unserer
Seele, die Intentionen der Komponisten zu verstehen, sich rückwärts statt vor¬
wärts entwickelt hat, ist freilich eine andre Frage. Es ist noch nicht so gar
lange her, daß ein vermindeter Scptimenakkord zum Ausdruck des tiefsten Seelen¬
schmerzes hinreichte; wer weiß, ob uns nicht heute der Kampf Apollons mit dem
Drachen als eine monotone Psalmodic oder lustige Tanzweise erscheinen würde?

Hanslick") leugnet kategorisch die Fähigkeit der Musik, etwas darzustellen.
Daß er darin etwas zu weit gegangen, dürfte allein schon aus dem Umstände
zur Genüge hervorgehen, daß die Musik, welche etwas darstellen soll, nicht ein
vorübergehendes Experiment der neuesten Zeit, sondern ein von jeher mehr oder
minder kultivirter Kunstzweig ist. Denn daß z. B. ein Tonstück, das den Ge¬
sang der Vögel nachahmt, diesen selbst vorstellt oder darstellt, nicht aber etwa
seinen Eindruck auf den Menschen, bedarf wohl keines Nachweises. Eine andre
Frage ist es, wie weit die Darstellnngsfähigkeit der Musik reicht und ob sie
wirklich vermag, einem detaillirten Programm gerecht zu werden? Daß es nicht
spezielle Aufgabe der Musik ist, etwas darzustellen, habe ich bereits früher ein¬
mal in diesen Blättern nachgewiesen^"); übrigens hat der Mann, welcher für




^Vonl Musikalisch-Schönen (1864, 6. Aufl. 1881).
*>>) Das formale Element in der Musik. Grenzvvten 1880, III. Quartal, S. 288 sf

(1682—1764) erstand wieder ein Förderer der Kunst der Jnstrumentation und
ein zum Teil sehr kühn wagender Tvnmnler, Um dieselbe Zeit (in der ersten
Hülste des achtzehnten Jahrhunderts) breiteten die beiden Touriesen Händel und
Bach ihren Ruhm aus; wie alle großen Genies nutzten diese alle Darstellungs-
mittel der Kunst und wurden so auch hervorragende Förderer des instrumentalen
und vokalen Kolorismus. So gelangte bereits ein stattliches Erbe auf Haydn,
Mozart und Beethoven, das sogleich durch den ersten derselben außerordentlich
erweitert wurde, indem dieser das Zusammenspiel der Orchesterinstrumente zu
einem Dialog charakteristisch unterschiedener Individuen umgestaltete. Doch blieb
immer noch ein weiter Sprung selbst von Beethoven bis zu Berlioz und Lißt.
Die Fähigkeit der Musik, die Wirkung des Wortes und der Handlung inten¬
siver zu gestalten durch direkte Übermittlung der Empfindungen der Beteiligten
an die Zuhörer, hatte die Kunstgattung der Oper und des Oratoriums zu hoher
Bedeutung entwickelt; die Musik hatte dabei gelernt, sich dem äußern Gang der
Handlung derart anzuschmiegen, daß sie mit Recht als illnstrirend bezeichnet
werden muß und der Gedanke schließlich kommen mußte, durch die Musik allein
eine ganze Handlung darstellen zu wollen. Wir sehen ja, daß schon die alten
Griecheu einmal so weit gekommen waren. Welch ein Abstand mag freilich be¬
stehen zwischen Liszts Fanstsymphonie oder Berlioz' K^irrplloniv ung.reg.8tieM>.
und der pythischen Weise des Sakadas, die uns leider nicht erhalten ist. Der
Zweck, das Hauptprinzip ist dasselbe, aber zwei Jahrtausende und vier ganz
besonders schnellschreiteude Jahrhunderte (von 1485 bis heute) haben die Dar¬
stellungsmittel der Kunst enorm vervielfältigt. Ob nicht die Fähigkeit unserer
Seele, die Intentionen der Komponisten zu verstehen, sich rückwärts statt vor¬
wärts entwickelt hat, ist freilich eine andre Frage. Es ist noch nicht so gar
lange her, daß ein vermindeter Scptimenakkord zum Ausdruck des tiefsten Seelen¬
schmerzes hinreichte; wer weiß, ob uns nicht heute der Kampf Apollons mit dem
Drachen als eine monotone Psalmodic oder lustige Tanzweise erscheinen würde?

Hanslick") leugnet kategorisch die Fähigkeit der Musik, etwas darzustellen.
Daß er darin etwas zu weit gegangen, dürfte allein schon aus dem Umstände
zur Genüge hervorgehen, daß die Musik, welche etwas darstellen soll, nicht ein
vorübergehendes Experiment der neuesten Zeit, sondern ein von jeher mehr oder
minder kultivirter Kunstzweig ist. Denn daß z. B. ein Tonstück, das den Ge¬
sang der Vögel nachahmt, diesen selbst vorstellt oder darstellt, nicht aber etwa
seinen Eindruck auf den Menschen, bedarf wohl keines Nachweises. Eine andre
Frage ist es, wie weit die Darstellnngsfähigkeit der Musik reicht und ob sie
wirklich vermag, einem detaillirten Programm gerecht zu werden? Daß es nicht
spezielle Aufgabe der Musik ist, etwas darzustellen, habe ich bereits früher ein¬
mal in diesen Blättern nachgewiesen^"); übrigens hat der Mann, welcher für




^Vonl Musikalisch-Schönen (1864, 6. Aufl. 1881).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/90>, abgerufen am 26.06.2024.