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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Austriaca.

schließlich nationalen machen und daß eine solche Entwicklung allerdings für
das Reich höchst gefährlich werden könne. "Ein Jahrhundert hindurch ver¬
suchte man es mit allen Mitteln der Macht und der Kultur diesen Staat zu
germanistren. Die Versuche scheiterten." Beide Sätze sind gleich unrichtig.
Man versuchte es fast immer nnr mit der Macht, und daß.die Versuche trotz¬
dem nicht mißlangen, muß der Verfasser wissen, wenn seine österreichischen Er¬
innerungen über das Jahr 1860 zurückreichen. Hat bis dahin ein Reisender je den
Eindruck empfangen, daß Prag und Pest nicht wesentlich deutsche Städte seien?
Und wer wußte etwas von "Slovenien," ehe der Tierarzt Bleiweiß und der
Lehrer Costa, der sich auf seinen Büchern stolz "Mitglied des Gelehrten-Aus¬
schusses des Germanischen Museums" nannte, entdeckten, daß uuter den Blinden
der Einäugige König sein könne? Sehr in Hitze gerät der Korrespondent über die
Bezeichnung der Deutschen als eigentliche Reichs- oder Staatspartei. Nun, sollen
vielleicht jene Tschechen die guten Österreicher sein, welche sich einmal bei Nußland
und das andremal bei Napoleon III. anbetteln wollten? Oder die Polen?
Welchen Ausgang der Ruthenen-Prozeß in Lemberg anch nehmen möge, ein Doku¬
ment zur Beurteilung polnischer Freiheit und polnischen Gerechtigkeitssinnes wird
er bleiben. Der Korrespondent bezeichnet die Beschwerden über Zurückdrängen des
Deutschtums als politischen Hokuspokus, unterläßt aber leider jede Beweisführung
gegenüber der Anklage, daß nun seit Jahr und Tag den Parteien der Wille
geschieht, welche unverhohlen die Schwächung des Deutschtums als ihr Ziel be¬
kunden. Und Hokuspokns gefährlichster Sorte ist es sicherlich, wenn zur Ver¬
teidigung des Ministeriums dem Versasser der "Austriaca" grade jene Fehler
der Verfnssnngspartei vorgehalten werden, welche er selbst strenge rügt. Er
hatte, wie man sieht, guten Grund, nach Aufzählung der Sünden der Oppositions¬
presse sich gegen den Irrtum zu verwahren, daß er "die zeitweilig von der Re-
gierung gewonnenen Blätter" höher stelle. "Die einseitige Regierungspresse,"
sagt er, "ist naturgemäß das Gegenstück der einseitigen Parteipresse, und grade
der rasche Wechsel der Anschauungen, die UnVerzagtheit, mit der eine Schwenkung
vollzogen ward, ebenso wie die unerklärbare Hartnäckigkeit in der Verteidigung
von Dingen, die absolut nicht zu verteidigen waren, haben den Glauben an die
Integrität der Journalistik erschüttert." In Summa: auch er und sein Buch
entgehen dem Schicksal aller Gemäßigten nicht!




Austriaca.

schließlich nationalen machen und daß eine solche Entwicklung allerdings für
das Reich höchst gefährlich werden könne. „Ein Jahrhundert hindurch ver¬
suchte man es mit allen Mitteln der Macht und der Kultur diesen Staat zu
germanistren. Die Versuche scheiterten." Beide Sätze sind gleich unrichtig.
Man versuchte es fast immer nnr mit der Macht, und daß.die Versuche trotz¬
dem nicht mißlangen, muß der Verfasser wissen, wenn seine österreichischen Er¬
innerungen über das Jahr 1860 zurückreichen. Hat bis dahin ein Reisender je den
Eindruck empfangen, daß Prag und Pest nicht wesentlich deutsche Städte seien?
Und wer wußte etwas von „Slovenien," ehe der Tierarzt Bleiweiß und der
Lehrer Costa, der sich auf seinen Büchern stolz „Mitglied des Gelehrten-Aus¬
schusses des Germanischen Museums" nannte, entdeckten, daß uuter den Blinden
der Einäugige König sein könne? Sehr in Hitze gerät der Korrespondent über die
Bezeichnung der Deutschen als eigentliche Reichs- oder Staatspartei. Nun, sollen
vielleicht jene Tschechen die guten Österreicher sein, welche sich einmal bei Nußland
und das andremal bei Napoleon III. anbetteln wollten? Oder die Polen?
Welchen Ausgang der Ruthenen-Prozeß in Lemberg anch nehmen möge, ein Doku¬
ment zur Beurteilung polnischer Freiheit und polnischen Gerechtigkeitssinnes wird
er bleiben. Der Korrespondent bezeichnet die Beschwerden über Zurückdrängen des
Deutschtums als politischen Hokuspokus, unterläßt aber leider jede Beweisführung
gegenüber der Anklage, daß nun seit Jahr und Tag den Parteien der Wille
geschieht, welche unverhohlen die Schwächung des Deutschtums als ihr Ziel be¬
kunden. Und Hokuspokns gefährlichster Sorte ist es sicherlich, wenn zur Ver¬
teidigung des Ministeriums dem Versasser der „Austriaca" grade jene Fehler
der Verfnssnngspartei vorgehalten werden, welche er selbst strenge rügt. Er
hatte, wie man sieht, guten Grund, nach Aufzählung der Sünden der Oppositions¬
presse sich gegen den Irrtum zu verwahren, daß er „die zeitweilig von der Re-
gierung gewonnenen Blätter" höher stelle. „Die einseitige Regierungspresse,"
sagt er, „ist naturgemäß das Gegenstück der einseitigen Parteipresse, und grade
der rasche Wechsel der Anschauungen, die UnVerzagtheit, mit der eine Schwenkung
vollzogen ward, ebenso wie die unerklärbare Hartnäckigkeit in der Verteidigung
von Dingen, die absolut nicht zu verteidigen waren, haben den Glauben an die
Integrität der Journalistik erschüttert." In Summa: auch er und sein Buch
entgehen dem Schicksal aller Gemäßigten nicht!




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[0077] Austriaca. schließlich nationalen machen und daß eine solche Entwicklung allerdings für das Reich höchst gefährlich werden könne. „Ein Jahrhundert hindurch ver¬ suchte man es mit allen Mitteln der Macht und der Kultur diesen Staat zu germanistren. Die Versuche scheiterten." Beide Sätze sind gleich unrichtig. Man versuchte es fast immer nnr mit der Macht, und daß.die Versuche trotz¬ dem nicht mißlangen, muß der Verfasser wissen, wenn seine österreichischen Er¬ innerungen über das Jahr 1860 zurückreichen. Hat bis dahin ein Reisender je den Eindruck empfangen, daß Prag und Pest nicht wesentlich deutsche Städte seien? Und wer wußte etwas von „Slovenien," ehe der Tierarzt Bleiweiß und der Lehrer Costa, der sich auf seinen Büchern stolz „Mitglied des Gelehrten-Aus¬ schusses des Germanischen Museums" nannte, entdeckten, daß uuter den Blinden der Einäugige König sein könne? Sehr in Hitze gerät der Korrespondent über die Bezeichnung der Deutschen als eigentliche Reichs- oder Staatspartei. Nun, sollen vielleicht jene Tschechen die guten Österreicher sein, welche sich einmal bei Nußland und das andremal bei Napoleon III. anbetteln wollten? Oder die Polen? Welchen Ausgang der Ruthenen-Prozeß in Lemberg anch nehmen möge, ein Doku¬ ment zur Beurteilung polnischer Freiheit und polnischen Gerechtigkeitssinnes wird er bleiben. Der Korrespondent bezeichnet die Beschwerden über Zurückdrängen des Deutschtums als politischen Hokuspokus, unterläßt aber leider jede Beweisführung gegenüber der Anklage, daß nun seit Jahr und Tag den Parteien der Wille geschieht, welche unverhohlen die Schwächung des Deutschtums als ihr Ziel be¬ kunden. Und Hokuspokns gefährlichster Sorte ist es sicherlich, wenn zur Ver¬ teidigung des Ministeriums dem Versasser der „Austriaca" grade jene Fehler der Verfnssnngspartei vorgehalten werden, welche er selbst strenge rügt. Er hatte, wie man sieht, guten Grund, nach Aufzählung der Sünden der Oppositions¬ presse sich gegen den Irrtum zu verwahren, daß er „die zeitweilig von der Re- gierung gewonnenen Blätter" höher stelle. „Die einseitige Regierungspresse," sagt er, „ist naturgemäß das Gegenstück der einseitigen Parteipresse, und grade der rasche Wechsel der Anschauungen, die UnVerzagtheit, mit der eine Schwenkung vollzogen ward, ebenso wie die unerklärbare Hartnäckigkeit in der Verteidigung von Dingen, die absolut nicht zu verteidigen waren, haben den Glauben an die Integrität der Journalistik erschüttert." In Summa: auch er und sein Buch entgehen dem Schicksal aller Gemäßigten nicht!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/77>, abgerufen am 01.07.2024.