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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Anstriacci,

tionalitäten sprechen, da die deutschen Klerikalen zur Rechten zählen. Der
Streitpunkt wird vom Verfasser prcieisirt, daß alle Mitglieder der Linken "darin
einig seien, an den konstitutionellen Errungenschaften nicht rütteln zu lassen."
Hier enthüllt auch er sich als Doktrinär. Er sieht, daß das Deutschtum der
schwersten Schädigung ausgesetzt ist, er erkennt dies als verhängnisvoll für den
ganzen Staat, da -- und auch darin muß ihm beigestimmt werden -- die
deutsche Bevölkerung die eigentliche Rcichspartei bilde, welche ohne Hinterge¬
danken Österreich erhalten haben will. Und trotzdem darf an den einmal ge-
gebenen Gesetzen nicht gerüttelt werden! Es wird aber an ihnen gerüttelt, sie
werden abgeändert werden, darüber kann sich niemand täuschen. Unwiderleglich
predigt die letzte Vergangenheit, daß die Dinge nicht so weit gediehen wären,
hätte die Verfassungspartei selbst die Initiative zur Reform ergriffen; aber ans
Konsequenz, aus Gesinnungstüchtigkeit will sie kein Titelchen opfern, wenn anch
das Ganze darüber zu Grunde geht. .Heute ist sie freilich in schwieriger Lage,
sie befindet sich in der Minderheit, ein Zentrum ist, zur Hälfte durch sie selbst,
zur Hälfte durch die Regierung, unmöglich gemacht worden, und ob die Ent¬
stehung der "Volkspartei" und die Erweiterung des Wahlrechtes die Dinge zum
Bessern kehren werden, ist doch ans alle Fülle sehr zweifelhaft.

Das vierte Kapitel "Juden in Österreich" konstatirt das rapide Wachsen
der jüdischen Bevölkerung in ähnlicher Weise, wie es im vorletzten Hefte der
Grenzboten geschehen ist. Falls aber die Zeitungsnachricht, welche als Ver¬
sasser des Buches einen Juden nennt, auf Wahrheit beruht, darf eben dieses
Kapitel besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Es kann wohl leine Frage sein,
daß zur Verbreitung und Verstärkung der antisemitischen Bewegung diejenigen
Juden viel beigetragen haben, welche nationalisirt sind, die Haß erregenden
Eigenschaften ihres Stammes abgestreift haben, aber gleich bei Beginn der Dis¬
kussion diese als unberechtigt, als unwürdig, als Ausfluß eines intoleranten
Geistes u. s. w. bezeichneten. Die Bewegung, soweit ernste Männer sich um
derselben beteiligten, richtete sich nur gegen das gefährliche Übergewicht von
Elementen, welche der abendländischen, zumal der germanischen Denkart und Sitte
fremd geblieben sind und bleiben wollen. Man hat den Deutschen jüdischer
Abstammung so wenig angefeindet, wie den Abkömmling französischer oder pol¬
nischer Einwanderer, und das Glaubensbekenntnis blieb unberührt, wenn anch
konfessionelle Vorschriften, welche dem Juden die Assimilirung erschweren, be¬
sprochen werden mußten. Aber daß gerade diejenigen, welche nicht gemeint
waren, sofort mit so viel Leidenschaftlichkeit in den Kampf eintraten und.sich
blind zeigten gegen dessen wahre Ursachen, lieferte jenen Gegnern Waffen, welche
behaupten, der Jude könne garnicht aufhören, nationaler Jude zu sein, auch
wenn er es wolle. Den Gegenbeweis liefert unser Autor. Während die jüdische
und die judenfrenndliche Presse nichts weiter weiß als zu schimpfen, zu weh¬
klagen und nach der Polizei zu schreien, leugnet er nicht das Vorhandensein


Anstriacci,

tionalitäten sprechen, da die deutschen Klerikalen zur Rechten zählen. Der
Streitpunkt wird vom Verfasser prcieisirt, daß alle Mitglieder der Linken „darin
einig seien, an den konstitutionellen Errungenschaften nicht rütteln zu lassen."
Hier enthüllt auch er sich als Doktrinär. Er sieht, daß das Deutschtum der
schwersten Schädigung ausgesetzt ist, er erkennt dies als verhängnisvoll für den
ganzen Staat, da — und auch darin muß ihm beigestimmt werden — die
deutsche Bevölkerung die eigentliche Rcichspartei bilde, welche ohne Hinterge¬
danken Österreich erhalten haben will. Und trotzdem darf an den einmal ge-
gebenen Gesetzen nicht gerüttelt werden! Es wird aber an ihnen gerüttelt, sie
werden abgeändert werden, darüber kann sich niemand täuschen. Unwiderleglich
predigt die letzte Vergangenheit, daß die Dinge nicht so weit gediehen wären,
hätte die Verfassungspartei selbst die Initiative zur Reform ergriffen; aber ans
Konsequenz, aus Gesinnungstüchtigkeit will sie kein Titelchen opfern, wenn anch
das Ganze darüber zu Grunde geht. .Heute ist sie freilich in schwieriger Lage,
sie befindet sich in der Minderheit, ein Zentrum ist, zur Hälfte durch sie selbst,
zur Hälfte durch die Regierung, unmöglich gemacht worden, und ob die Ent¬
stehung der „Volkspartei" und die Erweiterung des Wahlrechtes die Dinge zum
Bessern kehren werden, ist doch ans alle Fülle sehr zweifelhaft.

Das vierte Kapitel „Juden in Österreich" konstatirt das rapide Wachsen
der jüdischen Bevölkerung in ähnlicher Weise, wie es im vorletzten Hefte der
Grenzboten geschehen ist. Falls aber die Zeitungsnachricht, welche als Ver¬
sasser des Buches einen Juden nennt, auf Wahrheit beruht, darf eben dieses
Kapitel besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Es kann wohl leine Frage sein,
daß zur Verbreitung und Verstärkung der antisemitischen Bewegung diejenigen
Juden viel beigetragen haben, welche nationalisirt sind, die Haß erregenden
Eigenschaften ihres Stammes abgestreift haben, aber gleich bei Beginn der Dis¬
kussion diese als unberechtigt, als unwürdig, als Ausfluß eines intoleranten
Geistes u. s. w. bezeichneten. Die Bewegung, soweit ernste Männer sich um
derselben beteiligten, richtete sich nur gegen das gefährliche Übergewicht von
Elementen, welche der abendländischen, zumal der germanischen Denkart und Sitte
fremd geblieben sind und bleiben wollen. Man hat den Deutschen jüdischer
Abstammung so wenig angefeindet, wie den Abkömmling französischer oder pol¬
nischer Einwanderer, und das Glaubensbekenntnis blieb unberührt, wenn anch
konfessionelle Vorschriften, welche dem Juden die Assimilirung erschweren, be¬
sprochen werden mußten. Aber daß gerade diejenigen, welche nicht gemeint
waren, sofort mit so viel Leidenschaftlichkeit in den Kampf eintraten und.sich
blind zeigten gegen dessen wahre Ursachen, lieferte jenen Gegnern Waffen, welche
behaupten, der Jude könne garnicht aufhören, nationaler Jude zu sein, auch
wenn er es wolle. Den Gegenbeweis liefert unser Autor. Während die jüdische
und die judenfrenndliche Presse nichts weiter weiß als zu schimpfen, zu weh¬
klagen und nach der Polizei zu schreien, leugnet er nicht das Vorhandensein


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[0074] Anstriacci, tionalitäten sprechen, da die deutschen Klerikalen zur Rechten zählen. Der Streitpunkt wird vom Verfasser prcieisirt, daß alle Mitglieder der Linken „darin einig seien, an den konstitutionellen Errungenschaften nicht rütteln zu lassen." Hier enthüllt auch er sich als Doktrinär. Er sieht, daß das Deutschtum der schwersten Schädigung ausgesetzt ist, er erkennt dies als verhängnisvoll für den ganzen Staat, da — und auch darin muß ihm beigestimmt werden — die deutsche Bevölkerung die eigentliche Rcichspartei bilde, welche ohne Hinterge¬ danken Österreich erhalten haben will. Und trotzdem darf an den einmal ge- gebenen Gesetzen nicht gerüttelt werden! Es wird aber an ihnen gerüttelt, sie werden abgeändert werden, darüber kann sich niemand täuschen. Unwiderleglich predigt die letzte Vergangenheit, daß die Dinge nicht so weit gediehen wären, hätte die Verfassungspartei selbst die Initiative zur Reform ergriffen; aber ans Konsequenz, aus Gesinnungstüchtigkeit will sie kein Titelchen opfern, wenn anch das Ganze darüber zu Grunde geht. .Heute ist sie freilich in schwieriger Lage, sie befindet sich in der Minderheit, ein Zentrum ist, zur Hälfte durch sie selbst, zur Hälfte durch die Regierung, unmöglich gemacht worden, und ob die Ent¬ stehung der „Volkspartei" und die Erweiterung des Wahlrechtes die Dinge zum Bessern kehren werden, ist doch ans alle Fülle sehr zweifelhaft. Das vierte Kapitel „Juden in Österreich" konstatirt das rapide Wachsen der jüdischen Bevölkerung in ähnlicher Weise, wie es im vorletzten Hefte der Grenzboten geschehen ist. Falls aber die Zeitungsnachricht, welche als Ver¬ sasser des Buches einen Juden nennt, auf Wahrheit beruht, darf eben dieses Kapitel besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Es kann wohl leine Frage sein, daß zur Verbreitung und Verstärkung der antisemitischen Bewegung diejenigen Juden viel beigetragen haben, welche nationalisirt sind, die Haß erregenden Eigenschaften ihres Stammes abgestreift haben, aber gleich bei Beginn der Dis¬ kussion diese als unberechtigt, als unwürdig, als Ausfluß eines intoleranten Geistes u. s. w. bezeichneten. Die Bewegung, soweit ernste Männer sich um derselben beteiligten, richtete sich nur gegen das gefährliche Übergewicht von Elementen, welche der abendländischen, zumal der germanischen Denkart und Sitte fremd geblieben sind und bleiben wollen. Man hat den Deutschen jüdischer Abstammung so wenig angefeindet, wie den Abkömmling französischer oder pol¬ nischer Einwanderer, und das Glaubensbekenntnis blieb unberührt, wenn anch konfessionelle Vorschriften, welche dem Juden die Assimilirung erschweren, be¬ sprochen werden mußten. Aber daß gerade diejenigen, welche nicht gemeint waren, sofort mit so viel Leidenschaftlichkeit in den Kampf eintraten und.sich blind zeigten gegen dessen wahre Ursachen, lieferte jenen Gegnern Waffen, welche behaupten, der Jude könne garnicht aufhören, nationaler Jude zu sein, auch wenn er es wolle. Den Gegenbeweis liefert unser Autor. Während die jüdische und die judenfrenndliche Presse nichts weiter weiß als zu schimpfen, zu weh¬ klagen und nach der Polizei zu schreien, leugnet er nicht das Vorhandensein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/74>, abgerufen am 24.07.2024.