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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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und dem Unterricht, der wissenschaftlichen Arbeit, und holen sich stets fernge¬
halten ebenso von politischer Agitation wie von konfessioneller Versetzung. In
den deutschen Kronländern haben sie sich immer zur deutschen Partei gerechnet
und sich anch nicht irre machen lassen durch häusigen Undank. Aber der Liberale
von reinem Wasser wußte den Wert einer national gesinnten Geistlichkeit nicht
zu schätzen, und noch viel weniger kennt er Rücksicht auf religiöse Gefühle und
Überzeugungen. Entweder doktrinär, ein Mensch, der vor lauter Paragraphen
die Welt nicht sieht, oder, weil er nichts glaubt, jeden Gläubigen als Heuchler
oder Dummkopf betrachtend, oder zu jener Sorte politischer Parvenus gehörig,
welche sich zwar gern mit Würden begruben und mit Bändern behängen lassen,
aber dem Kitzel nicht widerstehen können, bei guter Gelegenheit die Mächtigen
der Erde an einer empfindlichen Stelle zu treffen, oder endlich von angeborener
Feindschaft gegen das Christentum erfüllt, würde er am liebsten alle Religions¬
pflege verbieten. Denn "Glaubensfreiheit" heißt in seinem Munde eigentlich:
Herrschaft des Unglaubens. Unsre Liberalen wollten nicht sehen oder legten
kein Gewicht darauf, daß ihre konfessionellen Gesetze Härten enthalten, welche
ihnen ganze Volksschichten entfremden, ohne irgendwelchen Nutzen zu bringen,
daß vor allem ihr Schulgesetz in den meisten Gegenden absolut unausführbar
und nur geeignet ist, die Bevölkerung zu verstimmen; sie kaprizirten sich förmlich
anf verrückte Einfälle, wie z. B. den eines bekannten Führers, aus den städtischen
Schulen Wiens sollten die Christusbilder entfernt werden, weil der Anblick
Andersgläubige verletzen könne. Und die klerikale Partei machte sich solche Un-
klugheit wohl zunutze, jede Neuwahl brachte ihr Zuwachs aus den Gebirgs-
ländern. Die Mitglieder derselben sammt und sonders in ihrer Gesinnung un-
deutsch zu nennen, hat man kein Recht; sie müssen eben mit jener Partei gehen,
welche politisch genug ist, sich mit ihnen aus das Verhältnis von Dienst und
Gegendienst zu stellen, während sie von ihren Stammesgenossen nnr Hohn und
Unduldsamkeit zu erwarten haben.

Wenn der Verfasser der "Austriaca" auseinandersetzt, daß die Polen, feu-
dalen und demokratische" Tschechen und Klerikalen nnr dnrch den Haß gegen die
deutschen Liberalen zusammengehalten werden und anßer Stande sein würden,
aus ihrer Mitte eine Regierung zu bilden, die andre Aufgaben hätte, als jene
Opposition zu bekämpfen, so muß mau ihn: gewiß Recht geben, aber er sagt
damit zweifelsohne auch der Rechtem nichts neues. Jede Fraktion erreicht durch
das Bündnis nach und nach, was sie haben will, und der Trost, daß sie nach
dem Siege über einander herfallen würden, ist so gut wie der jenes Juden,
der die Wette gewonnen, aber dabei einen Finger verloren hatte. Die beiden
großen Gruppen im Parlament mit den abgenützten Schlagwörtern konservativ
und liberal zu bezeichnen. ist, wie der Verfasser richtig ausführt, ein Unding,
denn rechts sitzen auch ausgediente Revolutionäre, Radikale und Hussiten, links
auch konservative Deutsche. Ebensowenig kann man von Gruppirung nach Na-


Grenzboten Ill, 1882, "
Austrmcci.

und dem Unterricht, der wissenschaftlichen Arbeit, und holen sich stets fernge¬
halten ebenso von politischer Agitation wie von konfessioneller Versetzung. In
den deutschen Kronländern haben sie sich immer zur deutschen Partei gerechnet
und sich anch nicht irre machen lassen durch häusigen Undank. Aber der Liberale
von reinem Wasser wußte den Wert einer national gesinnten Geistlichkeit nicht
zu schätzen, und noch viel weniger kennt er Rücksicht auf religiöse Gefühle und
Überzeugungen. Entweder doktrinär, ein Mensch, der vor lauter Paragraphen
die Welt nicht sieht, oder, weil er nichts glaubt, jeden Gläubigen als Heuchler
oder Dummkopf betrachtend, oder zu jener Sorte politischer Parvenus gehörig,
welche sich zwar gern mit Würden begruben und mit Bändern behängen lassen,
aber dem Kitzel nicht widerstehen können, bei guter Gelegenheit die Mächtigen
der Erde an einer empfindlichen Stelle zu treffen, oder endlich von angeborener
Feindschaft gegen das Christentum erfüllt, würde er am liebsten alle Religions¬
pflege verbieten. Denn „Glaubensfreiheit" heißt in seinem Munde eigentlich:
Herrschaft des Unglaubens. Unsre Liberalen wollten nicht sehen oder legten
kein Gewicht darauf, daß ihre konfessionellen Gesetze Härten enthalten, welche
ihnen ganze Volksschichten entfremden, ohne irgendwelchen Nutzen zu bringen,
daß vor allem ihr Schulgesetz in den meisten Gegenden absolut unausführbar
und nur geeignet ist, die Bevölkerung zu verstimmen; sie kaprizirten sich förmlich
anf verrückte Einfälle, wie z. B. den eines bekannten Führers, aus den städtischen
Schulen Wiens sollten die Christusbilder entfernt werden, weil der Anblick
Andersgläubige verletzen könne. Und die klerikale Partei machte sich solche Un-
klugheit wohl zunutze, jede Neuwahl brachte ihr Zuwachs aus den Gebirgs-
ländern. Die Mitglieder derselben sammt und sonders in ihrer Gesinnung un-
deutsch zu nennen, hat man kein Recht; sie müssen eben mit jener Partei gehen,
welche politisch genug ist, sich mit ihnen aus das Verhältnis von Dienst und
Gegendienst zu stellen, während sie von ihren Stammesgenossen nnr Hohn und
Unduldsamkeit zu erwarten haben.

Wenn der Verfasser der „Austriaca" auseinandersetzt, daß die Polen, feu-
dalen und demokratische» Tschechen und Klerikalen nnr dnrch den Haß gegen die
deutschen Liberalen zusammengehalten werden und anßer Stande sein würden,
aus ihrer Mitte eine Regierung zu bilden, die andre Aufgaben hätte, als jene
Opposition zu bekämpfen, so muß mau ihn: gewiß Recht geben, aber er sagt
damit zweifelsohne auch der Rechtem nichts neues. Jede Fraktion erreicht durch
das Bündnis nach und nach, was sie haben will, und der Trost, daß sie nach
dem Siege über einander herfallen würden, ist so gut wie der jenes Juden,
der die Wette gewonnen, aber dabei einen Finger verloren hatte. Die beiden
großen Gruppen im Parlament mit den abgenützten Schlagwörtern konservativ
und liberal zu bezeichnen. ist, wie der Verfasser richtig ausführt, ein Unding,
denn rechts sitzen auch ausgediente Revolutionäre, Radikale und Hussiten, links
auch konservative Deutsche. Ebensowenig kann man von Gruppirung nach Na-


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[0073] Austrmcci. und dem Unterricht, der wissenschaftlichen Arbeit, und holen sich stets fernge¬ halten ebenso von politischer Agitation wie von konfessioneller Versetzung. In den deutschen Kronländern haben sie sich immer zur deutschen Partei gerechnet und sich anch nicht irre machen lassen durch häusigen Undank. Aber der Liberale von reinem Wasser wußte den Wert einer national gesinnten Geistlichkeit nicht zu schätzen, und noch viel weniger kennt er Rücksicht auf religiöse Gefühle und Überzeugungen. Entweder doktrinär, ein Mensch, der vor lauter Paragraphen die Welt nicht sieht, oder, weil er nichts glaubt, jeden Gläubigen als Heuchler oder Dummkopf betrachtend, oder zu jener Sorte politischer Parvenus gehörig, welche sich zwar gern mit Würden begruben und mit Bändern behängen lassen, aber dem Kitzel nicht widerstehen können, bei guter Gelegenheit die Mächtigen der Erde an einer empfindlichen Stelle zu treffen, oder endlich von angeborener Feindschaft gegen das Christentum erfüllt, würde er am liebsten alle Religions¬ pflege verbieten. Denn „Glaubensfreiheit" heißt in seinem Munde eigentlich: Herrschaft des Unglaubens. Unsre Liberalen wollten nicht sehen oder legten kein Gewicht darauf, daß ihre konfessionellen Gesetze Härten enthalten, welche ihnen ganze Volksschichten entfremden, ohne irgendwelchen Nutzen zu bringen, daß vor allem ihr Schulgesetz in den meisten Gegenden absolut unausführbar und nur geeignet ist, die Bevölkerung zu verstimmen; sie kaprizirten sich förmlich anf verrückte Einfälle, wie z. B. den eines bekannten Führers, aus den städtischen Schulen Wiens sollten die Christusbilder entfernt werden, weil der Anblick Andersgläubige verletzen könne. Und die klerikale Partei machte sich solche Un- klugheit wohl zunutze, jede Neuwahl brachte ihr Zuwachs aus den Gebirgs- ländern. Die Mitglieder derselben sammt und sonders in ihrer Gesinnung un- deutsch zu nennen, hat man kein Recht; sie müssen eben mit jener Partei gehen, welche politisch genug ist, sich mit ihnen aus das Verhältnis von Dienst und Gegendienst zu stellen, während sie von ihren Stammesgenossen nnr Hohn und Unduldsamkeit zu erwarten haben. Wenn der Verfasser der „Austriaca" auseinandersetzt, daß die Polen, feu- dalen und demokratische» Tschechen und Klerikalen nnr dnrch den Haß gegen die deutschen Liberalen zusammengehalten werden und anßer Stande sein würden, aus ihrer Mitte eine Regierung zu bilden, die andre Aufgaben hätte, als jene Opposition zu bekämpfen, so muß mau ihn: gewiß Recht geben, aber er sagt damit zweifelsohne auch der Rechtem nichts neues. Jede Fraktion erreicht durch das Bündnis nach und nach, was sie haben will, und der Trost, daß sie nach dem Siege über einander herfallen würden, ist so gut wie der jenes Juden, der die Wette gewonnen, aber dabei einen Finger verloren hatte. Die beiden großen Gruppen im Parlament mit den abgenützten Schlagwörtern konservativ und liberal zu bezeichnen. ist, wie der Verfasser richtig ausführt, ein Unding, denn rechts sitzen auch ausgediente Revolutionäre, Radikale und Hussiten, links auch konservative Deutsche. Ebensowenig kann man von Gruppirung nach Na- Grenzboten Ill, 1882, "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/73>, abgerufen am 24.07.2024.