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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Austriaca.

stitutionalismns und Parlamentarismus als völlig gleichbedeutende Begriffe be¬
handelt, sondern überhaupt nur die beiden äußersten Gegensätze, Absolutismus
und Parlamentarismus, in Betracht zieht. Man sieht daran, wie tief sich selbst
bei Personen, welche logisch zu denken verstehen und den Willen haben, von
dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen, Vorstellungen eingenistet haben, die von
den Fraktiouspolitikcrn erfunden worden sind. Der Verfasser giebt zu, daß ein
aufgeklärter Absolutismus wahrscheinlich die passendste Regierungsform für ein so
eigentümliches Staatsgebilde wie Österreich sei; nachdem aber der Absolutismus
so wenig aufgeklärt gewesen sei, seine Zeit so schlecht benutzt habe, bleibe eben
nichts andres übrig als der Parlamentarismus. Nun ist es ganz richtig, daß
die unbeschränkte Regierung sich in vieler Beziehung unfähig gezeigt hat, und
zwar keineswegs nur diejenige, welche bis 1859 bestand. Vielmehr sind Ungarn
gegenüber die Fehler, welche Bach und andre damals fast allmächtige Personen
begangen hatten, von deren Nachfolgern treulich wiederholt worden. Als die
ungarischen Konservativen in deu fünfziger Jahren dem Kaiser ihre Wünsche
vortragen wollten, wurde ihnen dies verwehrt; 1859 leitete Herr von Hübner
mit denselben Elementen Unterhandlungen ein und gelangte zu einer Verstän¬
digung, wurde aber von seinen Ministerkvllegen descivouirt, weil er angeblich in
seinen Zugeständnissen zu weit gegangen war. Kaum ein Jahr später sah man
sich genötigt viel weiter als er zu gehen; 1861 folgte der tumultuose erste
Landtag seit 1849, dessen ungebührliches Benehmen der Krone nichts andres
übrig ließ, als ihn nach Hause zu schicken und abermals eine absolutistische Re¬
gierung einzusetzen. Der Schlag wirkte ernüchternd, das Land sah ein, daß die
Mehrheit seiner Vertreter eine zwecklose Komödie aufgeführt hatte, und hätte
Schmerling, wie er anfangs verkündigen ließ, innerhalb der gesetzlichen Frist
einen neuen Landtag einberufe", so würde dieser ganz gewiß ein andres Gesicht
gezeigt haben. Es ist möglich, daß die Regierung auch mit dem nicht überein
gekommen wäre, allein man hätte wenigstens einen legalen Boden erreicht. Doch
wieder sollte Unthätigkeit die beste Politik sein, und der österreichische Rcichsrat
jubelte dein damaligen Staatsminister zu, als er seinem historisch gewordenen
"Wir können warten!" die Versicherung nachschickte, daß, wenn die Regierung
sich überhaupt in Verhandlungen mit ungarischen Politikern einlassen sollte, dies
nur die Liberalen sein könnten. Dieser Weisung folgte dann Herr von Beust,
und wir wissen, wie Österreich dabei gefahren ist. Mit der Kurzsichtigkeit des
Absolutismus hat es also seine Richtigkeit. Dieses System wurde aber that¬
sächlich beseitigt, als der Kaiser (17. Juli 1860) dem "verstärkten Reichsrate"
die Kontrolle der Finanzverwaltung zugestand, formell durch das Diplom vom
20. Oktober 1860, welches eine Verfassung verlieh, aber durchaus keine kon¬
stitutionelle nach dem herrschenden Sprachgebrauch. Ja das Wort konstitutionell
kam zum erstenmal in der Thronrede vor, mit welcher der Reichsrat 1861 er¬
öffnet wurde. Und das Patent vom 24. Februar 1861, welches die Neste Stein-


Austriaca.

stitutionalismns und Parlamentarismus als völlig gleichbedeutende Begriffe be¬
handelt, sondern überhaupt nur die beiden äußersten Gegensätze, Absolutismus
und Parlamentarismus, in Betracht zieht. Man sieht daran, wie tief sich selbst
bei Personen, welche logisch zu denken verstehen und den Willen haben, von
dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen, Vorstellungen eingenistet haben, die von
den Fraktiouspolitikcrn erfunden worden sind. Der Verfasser giebt zu, daß ein
aufgeklärter Absolutismus wahrscheinlich die passendste Regierungsform für ein so
eigentümliches Staatsgebilde wie Österreich sei; nachdem aber der Absolutismus
so wenig aufgeklärt gewesen sei, seine Zeit so schlecht benutzt habe, bleibe eben
nichts andres übrig als der Parlamentarismus. Nun ist es ganz richtig, daß
die unbeschränkte Regierung sich in vieler Beziehung unfähig gezeigt hat, und
zwar keineswegs nur diejenige, welche bis 1859 bestand. Vielmehr sind Ungarn
gegenüber die Fehler, welche Bach und andre damals fast allmächtige Personen
begangen hatten, von deren Nachfolgern treulich wiederholt worden. Als die
ungarischen Konservativen in deu fünfziger Jahren dem Kaiser ihre Wünsche
vortragen wollten, wurde ihnen dies verwehrt; 1859 leitete Herr von Hübner
mit denselben Elementen Unterhandlungen ein und gelangte zu einer Verstän¬
digung, wurde aber von seinen Ministerkvllegen descivouirt, weil er angeblich in
seinen Zugeständnissen zu weit gegangen war. Kaum ein Jahr später sah man
sich genötigt viel weiter als er zu gehen; 1861 folgte der tumultuose erste
Landtag seit 1849, dessen ungebührliches Benehmen der Krone nichts andres
übrig ließ, als ihn nach Hause zu schicken und abermals eine absolutistische Re¬
gierung einzusetzen. Der Schlag wirkte ernüchternd, das Land sah ein, daß die
Mehrheit seiner Vertreter eine zwecklose Komödie aufgeführt hatte, und hätte
Schmerling, wie er anfangs verkündigen ließ, innerhalb der gesetzlichen Frist
einen neuen Landtag einberufe», so würde dieser ganz gewiß ein andres Gesicht
gezeigt haben. Es ist möglich, daß die Regierung auch mit dem nicht überein
gekommen wäre, allein man hätte wenigstens einen legalen Boden erreicht. Doch
wieder sollte Unthätigkeit die beste Politik sein, und der österreichische Rcichsrat
jubelte dein damaligen Staatsminister zu, als er seinem historisch gewordenen
„Wir können warten!" die Versicherung nachschickte, daß, wenn die Regierung
sich überhaupt in Verhandlungen mit ungarischen Politikern einlassen sollte, dies
nur die Liberalen sein könnten. Dieser Weisung folgte dann Herr von Beust,
und wir wissen, wie Österreich dabei gefahren ist. Mit der Kurzsichtigkeit des
Absolutismus hat es also seine Richtigkeit. Dieses System wurde aber that¬
sächlich beseitigt, als der Kaiser (17. Juli 1860) dem „verstärkten Reichsrate"
die Kontrolle der Finanzverwaltung zugestand, formell durch das Diplom vom
20. Oktober 1860, welches eine Verfassung verlieh, aber durchaus keine kon¬
stitutionelle nach dem herrschenden Sprachgebrauch. Ja das Wort konstitutionell
kam zum erstenmal in der Thronrede vor, mit welcher der Reichsrat 1861 er¬
öffnet wurde. Und das Patent vom 24. Februar 1861, welches die Neste Stein-


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[0070] Austriaca. stitutionalismns und Parlamentarismus als völlig gleichbedeutende Begriffe be¬ handelt, sondern überhaupt nur die beiden äußersten Gegensätze, Absolutismus und Parlamentarismus, in Betracht zieht. Man sieht daran, wie tief sich selbst bei Personen, welche logisch zu denken verstehen und den Willen haben, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen, Vorstellungen eingenistet haben, die von den Fraktiouspolitikcrn erfunden worden sind. Der Verfasser giebt zu, daß ein aufgeklärter Absolutismus wahrscheinlich die passendste Regierungsform für ein so eigentümliches Staatsgebilde wie Österreich sei; nachdem aber der Absolutismus so wenig aufgeklärt gewesen sei, seine Zeit so schlecht benutzt habe, bleibe eben nichts andres übrig als der Parlamentarismus. Nun ist es ganz richtig, daß die unbeschränkte Regierung sich in vieler Beziehung unfähig gezeigt hat, und zwar keineswegs nur diejenige, welche bis 1859 bestand. Vielmehr sind Ungarn gegenüber die Fehler, welche Bach und andre damals fast allmächtige Personen begangen hatten, von deren Nachfolgern treulich wiederholt worden. Als die ungarischen Konservativen in deu fünfziger Jahren dem Kaiser ihre Wünsche vortragen wollten, wurde ihnen dies verwehrt; 1859 leitete Herr von Hübner mit denselben Elementen Unterhandlungen ein und gelangte zu einer Verstän¬ digung, wurde aber von seinen Ministerkvllegen descivouirt, weil er angeblich in seinen Zugeständnissen zu weit gegangen war. Kaum ein Jahr später sah man sich genötigt viel weiter als er zu gehen; 1861 folgte der tumultuose erste Landtag seit 1849, dessen ungebührliches Benehmen der Krone nichts andres übrig ließ, als ihn nach Hause zu schicken und abermals eine absolutistische Re¬ gierung einzusetzen. Der Schlag wirkte ernüchternd, das Land sah ein, daß die Mehrheit seiner Vertreter eine zwecklose Komödie aufgeführt hatte, und hätte Schmerling, wie er anfangs verkündigen ließ, innerhalb der gesetzlichen Frist einen neuen Landtag einberufe», so würde dieser ganz gewiß ein andres Gesicht gezeigt haben. Es ist möglich, daß die Regierung auch mit dem nicht überein gekommen wäre, allein man hätte wenigstens einen legalen Boden erreicht. Doch wieder sollte Unthätigkeit die beste Politik sein, und der österreichische Rcichsrat jubelte dein damaligen Staatsminister zu, als er seinem historisch gewordenen „Wir können warten!" die Versicherung nachschickte, daß, wenn die Regierung sich überhaupt in Verhandlungen mit ungarischen Politikern einlassen sollte, dies nur die Liberalen sein könnten. Dieser Weisung folgte dann Herr von Beust, und wir wissen, wie Österreich dabei gefahren ist. Mit der Kurzsichtigkeit des Absolutismus hat es also seine Richtigkeit. Dieses System wurde aber that¬ sächlich beseitigt, als der Kaiser (17. Juli 1860) dem „verstärkten Reichsrate" die Kontrolle der Finanzverwaltung zugestand, formell durch das Diplom vom 20. Oktober 1860, welches eine Verfassung verlieh, aber durchaus keine kon¬ stitutionelle nach dem herrschenden Sprachgebrauch. Ja das Wort konstitutionell kam zum erstenmal in der Thronrede vor, mit welcher der Reichsrat 1861 er¬ öffnet wurde. Und das Patent vom 24. Februar 1861, welches die Neste Stein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/70>, abgerufen am 24.07.2024.