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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Politische Briefe.

sondern nur so viel (in neuen Einnahmen zu verlangen, als er an bisherigen
Lasten erlassen wolle. Der Kanzler hat aber nur gesagt, daß nicht die Rede
sein könne von einer Aufspeicherung der Überschüsse, daß die Überschüsse ent¬
weder an die Steuerzahler zurückfließe" müßten oder nur zu Zwecken verwandt
werden könnten, welche die Vertretungen, sei es im Reiche, sei es in den Einzel¬
staaten, genehmigen würden.

Die dritte Verkehrung der Rede ist die wirksamste geworden, und in ihr
haben sich Ultramontane, Konservative und Liberale bis zur heutigen Stunde
am eifrigsten zusammengefunden. Diese drei Parteien, oder genauer, soweit von
Konservativen und Liberalen die Rede ist, diese Hauptgruppen, die in sich noch
vielfach geteilt bleiben, sind einig in der Behauptung, der Reichskanzler habe
am 2. Mai 1879 den mit den damaligen Vorlagen noch nicht herbeizuschaffenden
Bedarf aufbringen wollen durch eine höhere Besteuerung des fundirten Einkommens.
Nun höre man, wie der Reichskanzler sich über diesen Punkt geäußert hat:

"Ich halte die Klassensteuer für eine Steuer, die abgeschafft werden sollte.
Die Einkommensteuer, die mit ihr in Verbindung steht, sollte meines Erachtens
in der Weise revidirt werden, daß sie einen geringeren Ertrag giebt wie jetzt."

Diesen geringeren Ertrag herbeizuführen, hielt der Fürst für nötig, weil
er erstlich die gänzliche Freilassung des Einkommens bis zu 2000 Thalern ge¬
boten erachtete, es sei denn, daß daß Einkommen voll 1--2000 Thalern aus
fundirtem Einkommen bestehe. Ferner hielt er die Herabsetzung des Gesnmmt-
ertrages der Einkommensteuer für nötig, weil er innerhalb der Einkvmmenstufeu
von 2000 Thalern an das Einkommen aus unsichern Erwerbsquellen, also aus
aller Art von persönlicheiu Verdienst, geringer besteuern wollte als das fundirte
Einkommen. Unter fundirtem Einkommen wollte der Fürst alles aus erblich
übertragbaren Kapital gezogene Einkomme,, verstehen.

Wie ist es nun möglich, daß diese deutliche Äußerung dahin hat verkehrt
werden können, der Fürst wolle in der Besteuerung des fnndirtcn Einkommens,
die für ihn lediglich eine Anstcmdsmaßregel der Regierung, ein Anstandsopfer
der reichen Leute, ohne Belang für den Einnahmeertrag war, eine neuzueröff-
nende, die Vermehrung der Einnahmen im Reich oder Einzelstaat abschließende
Finnnzqnelle machen?

Die Parteien wollten "schwarz" hören, darum hörten sie "schwarz," ob¬
wohl ihnen mit Posaunenton zugerufen worden war: "Weiß!"

Warum begeistern die Parteien, die einander so feind sind, die wenigstens
ganz entgegengesetzte Ziele verfolgen, sich auf einmal gemeinsam für hohe oder
höhere Besteuerung des fundirten Einkommens, sei es als Kapitalrentenstener
oder in sonst einer Form?

Diese interessante Erscheinung bedarf einer Analyse, für welche dieser Brief
bereits zu lang geworden.




Politische Briefe.

sondern nur so viel (in neuen Einnahmen zu verlangen, als er an bisherigen
Lasten erlassen wolle. Der Kanzler hat aber nur gesagt, daß nicht die Rede
sein könne von einer Aufspeicherung der Überschüsse, daß die Überschüsse ent¬
weder an die Steuerzahler zurückfließe» müßten oder nur zu Zwecken verwandt
werden könnten, welche die Vertretungen, sei es im Reiche, sei es in den Einzel¬
staaten, genehmigen würden.

Die dritte Verkehrung der Rede ist die wirksamste geworden, und in ihr
haben sich Ultramontane, Konservative und Liberale bis zur heutigen Stunde
am eifrigsten zusammengefunden. Diese drei Parteien, oder genauer, soweit von
Konservativen und Liberalen die Rede ist, diese Hauptgruppen, die in sich noch
vielfach geteilt bleiben, sind einig in der Behauptung, der Reichskanzler habe
am 2. Mai 1879 den mit den damaligen Vorlagen noch nicht herbeizuschaffenden
Bedarf aufbringen wollen durch eine höhere Besteuerung des fundirten Einkommens.
Nun höre man, wie der Reichskanzler sich über diesen Punkt geäußert hat:

„Ich halte die Klassensteuer für eine Steuer, die abgeschafft werden sollte.
Die Einkommensteuer, die mit ihr in Verbindung steht, sollte meines Erachtens
in der Weise revidirt werden, daß sie einen geringeren Ertrag giebt wie jetzt."

Diesen geringeren Ertrag herbeizuführen, hielt der Fürst für nötig, weil
er erstlich die gänzliche Freilassung des Einkommens bis zu 2000 Thalern ge¬
boten erachtete, es sei denn, daß daß Einkommen voll 1—2000 Thalern aus
fundirtem Einkommen bestehe. Ferner hielt er die Herabsetzung des Gesnmmt-
ertrages der Einkommensteuer für nötig, weil er innerhalb der Einkvmmenstufeu
von 2000 Thalern an das Einkommen aus unsichern Erwerbsquellen, also aus
aller Art von persönlicheiu Verdienst, geringer besteuern wollte als das fundirte
Einkommen. Unter fundirtem Einkommen wollte der Fürst alles aus erblich
übertragbaren Kapital gezogene Einkomme,, verstehen.

Wie ist es nun möglich, daß diese deutliche Äußerung dahin hat verkehrt
werden können, der Fürst wolle in der Besteuerung des fnndirtcn Einkommens,
die für ihn lediglich eine Anstcmdsmaßregel der Regierung, ein Anstandsopfer
der reichen Leute, ohne Belang für den Einnahmeertrag war, eine neuzueröff-
nende, die Vermehrung der Einnahmen im Reich oder Einzelstaat abschließende
Finnnzqnelle machen?

Die Parteien wollten „schwarz" hören, darum hörten sie „schwarz," ob¬
wohl ihnen mit Posaunenton zugerufen worden war: „Weiß!"

Warum begeistern die Parteien, die einander so feind sind, die wenigstens
ganz entgegengesetzte Ziele verfolgen, sich auf einmal gemeinsam für hohe oder
höhere Besteuerung des fundirten Einkommens, sei es als Kapitalrentenstener
oder in sonst einer Form?

Diese interessante Erscheinung bedarf einer Analyse, für welche dieser Brief
bereits zu lang geworden.




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[0627] Politische Briefe. sondern nur so viel (in neuen Einnahmen zu verlangen, als er an bisherigen Lasten erlassen wolle. Der Kanzler hat aber nur gesagt, daß nicht die Rede sein könne von einer Aufspeicherung der Überschüsse, daß die Überschüsse ent¬ weder an die Steuerzahler zurückfließe» müßten oder nur zu Zwecken verwandt werden könnten, welche die Vertretungen, sei es im Reiche, sei es in den Einzel¬ staaten, genehmigen würden. Die dritte Verkehrung der Rede ist die wirksamste geworden, und in ihr haben sich Ultramontane, Konservative und Liberale bis zur heutigen Stunde am eifrigsten zusammengefunden. Diese drei Parteien, oder genauer, soweit von Konservativen und Liberalen die Rede ist, diese Hauptgruppen, die in sich noch vielfach geteilt bleiben, sind einig in der Behauptung, der Reichskanzler habe am 2. Mai 1879 den mit den damaligen Vorlagen noch nicht herbeizuschaffenden Bedarf aufbringen wollen durch eine höhere Besteuerung des fundirten Einkommens. Nun höre man, wie der Reichskanzler sich über diesen Punkt geäußert hat: „Ich halte die Klassensteuer für eine Steuer, die abgeschafft werden sollte. Die Einkommensteuer, die mit ihr in Verbindung steht, sollte meines Erachtens in der Weise revidirt werden, daß sie einen geringeren Ertrag giebt wie jetzt." Diesen geringeren Ertrag herbeizuführen, hielt der Fürst für nötig, weil er erstlich die gänzliche Freilassung des Einkommens bis zu 2000 Thalern ge¬ boten erachtete, es sei denn, daß daß Einkommen voll 1—2000 Thalern aus fundirtem Einkommen bestehe. Ferner hielt er die Herabsetzung des Gesnmmt- ertrages der Einkommensteuer für nötig, weil er innerhalb der Einkvmmenstufeu von 2000 Thalern an das Einkommen aus unsichern Erwerbsquellen, also aus aller Art von persönlicheiu Verdienst, geringer besteuern wollte als das fundirte Einkommen. Unter fundirtem Einkommen wollte der Fürst alles aus erblich übertragbaren Kapital gezogene Einkomme,, verstehen. Wie ist es nun möglich, daß diese deutliche Äußerung dahin hat verkehrt werden können, der Fürst wolle in der Besteuerung des fnndirtcn Einkommens, die für ihn lediglich eine Anstcmdsmaßregel der Regierung, ein Anstandsopfer der reichen Leute, ohne Belang für den Einnahmeertrag war, eine neuzueröff- nende, die Vermehrung der Einnahmen im Reich oder Einzelstaat abschließende Finnnzqnelle machen? Die Parteien wollten „schwarz" hören, darum hörten sie „schwarz," ob¬ wohl ihnen mit Posaunenton zugerufen worden war: „Weiß!" Warum begeistern die Parteien, die einander so feind sind, die wenigstens ganz entgegengesetzte Ziele verfolgen, sich auf einmal gemeinsam für hohe oder höhere Besteuerung des fundirten Einkommens, sei es als Kapitalrentenstener oder in sonst einer Form? Diese interessante Erscheinung bedarf einer Analyse, für welche dieser Brief bereits zu lang geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/627>, abgerufen am 25.08.2024.