Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Natürlich; die russischen Lettern wären für die große Mehrzahl der Leser stumm
gewesen, und da er französisch schrieb, akkomodirte er sich der französischen Recht¬
schreibung; aber für uns sollte er doch Ulibitscheff heißen. Diese Liste ließ sich
bis ins Unendliche fortsetzen, doch soll hier nur noch berührt werden, daß wir,
weil die Engländer und Franzosen unsern Laut es nicht haben, uns verpflichtet
glauben, wie sie: Khedive, Khorsabad u. s. w. zu schreiben, obwohl die Zusammen¬
stellung Kh für uns gar keine Bedeutung hat. Welcher Orthographie wir eigent¬
lich die Schreibung des Namens Cetewäjv verdanken, der angeblich Ketschwüjo
ausgesprochen werden muß, ist uns noch rätselhaft, eben dieser Fall gehört ohne
Zweifel zu den interessantesten.

Ziehen wir die Summe vou dem Gesagten, so sehen wir, daß der Leser
eines deutschen Buches genötigt wird, dieselben Buchstaben bald nach den Regeln
seiner, bald der französischen, der englischen, der italienischen und noch maucher
andern Sprache hören zu küssen. Das ist gewiß kein normaler Zustand, und
die Versuche, fremde Schriftzeichen in der Stille bei uus einzuschmuggeln, wie y
(auch dn, wo im Französischen das einfache o steht, wie in raos u. tgi.) erhöhen
nur die Konfusion, anstatt zu verringern. Die Lösung des Wirrsnls scheint uns
darin zu liegen, daß wir eine Anzahl Schriftzeichen schaffen für Laute, die ur¬
sprünglich die deutsche Sprache nicht kannte, die ihr heutzutage aber schon un¬
entbehrlich geworden sind. Unentbehrlich auch für den Sprachunterricht und
die Lexikographie der modernen Sprachen.

Der Deutsche kann wohl im allgemeinen Sprachtalent nicht zu seinen Vor¬
zügen rechnen. Wir haben Lust, fremde Sprachen zu erlernen, wenden viel
Fleiß daran, verstehen bald das Gedruckte in allen möglichen Idiomen, gelangen
aber schwer dazu, uns mit Freiheit in einer andern Sprache auszudrücken und
behalten fast immer eine mangelhafte Aussprache, vor allen wir Norddeutschen.
Unser Französisch erfreut sich eines Weltrufes, und leider eines uicht unver¬
dienten. Woran das liegen mag? Sehr verschiedene Erklärungen sind versucht
worden, und in der That vereinigen sich auch wohl ganz verschiedene Ursachen.
Dem Deutschen wird es schwer, Laute, die seiner Muttersprache mangeln, gut
nachzumachen; diesen Umstand muß man zugeben, doch besteht dasselbe Hindernis
wehr oder weniger stark wohl für die meisten Nationen mit Ausnahme der
slavischen. Nun pflegen zwar diese letztern mit besondrer Leichtigkeit sowohl
Grammatik als Accent sich anzueignen, wenigstens Russen und Polen, indessen
kommt bei diesen wieder in Betracht, daß für ihre gebildeten Kreise das Fran¬
zösische, um welches es sich zumeist handelt, halb Muttersprache ist. Und warum
but der Süd- und der Westdeutsche nicht so schwer zu ringen wie der nord¬
deutsche? Uns dünkt, nicht sowohl die Zunge als vielmehr das Ohr sei der
Stein des Anstoßes.

Nach unseru Beobachtungen hören die meisten Norddeutschen gnr nicht,
worin ihre Aussprache fremder Wörter sich von der richtigen unterscheidet. Per-


Grcnzbotcn III. I8L2. 70

Natürlich; die russischen Lettern wären für die große Mehrzahl der Leser stumm
gewesen, und da er französisch schrieb, akkomodirte er sich der französischen Recht¬
schreibung; aber für uns sollte er doch Ulibitscheff heißen. Diese Liste ließ sich
bis ins Unendliche fortsetzen, doch soll hier nur noch berührt werden, daß wir,
weil die Engländer und Franzosen unsern Laut es nicht haben, uns verpflichtet
glauben, wie sie: Khedive, Khorsabad u. s. w. zu schreiben, obwohl die Zusammen¬
stellung Kh für uns gar keine Bedeutung hat. Welcher Orthographie wir eigent¬
lich die Schreibung des Namens Cetewäjv verdanken, der angeblich Ketschwüjo
ausgesprochen werden muß, ist uns noch rätselhaft, eben dieser Fall gehört ohne
Zweifel zu den interessantesten.

Ziehen wir die Summe vou dem Gesagten, so sehen wir, daß der Leser
eines deutschen Buches genötigt wird, dieselben Buchstaben bald nach den Regeln
seiner, bald der französischen, der englischen, der italienischen und noch maucher
andern Sprache hören zu küssen. Das ist gewiß kein normaler Zustand, und
die Versuche, fremde Schriftzeichen in der Stille bei uus einzuschmuggeln, wie y
(auch dn, wo im Französischen das einfache o steht, wie in raos u. tgi.) erhöhen
nur die Konfusion, anstatt zu verringern. Die Lösung des Wirrsnls scheint uns
darin zu liegen, daß wir eine Anzahl Schriftzeichen schaffen für Laute, die ur¬
sprünglich die deutsche Sprache nicht kannte, die ihr heutzutage aber schon un¬
entbehrlich geworden sind. Unentbehrlich auch für den Sprachunterricht und
die Lexikographie der modernen Sprachen.

Der Deutsche kann wohl im allgemeinen Sprachtalent nicht zu seinen Vor¬
zügen rechnen. Wir haben Lust, fremde Sprachen zu erlernen, wenden viel
Fleiß daran, verstehen bald das Gedruckte in allen möglichen Idiomen, gelangen
aber schwer dazu, uns mit Freiheit in einer andern Sprache auszudrücken und
behalten fast immer eine mangelhafte Aussprache, vor allen wir Norddeutschen.
Unser Französisch erfreut sich eines Weltrufes, und leider eines uicht unver¬
dienten. Woran das liegen mag? Sehr verschiedene Erklärungen sind versucht
worden, und in der That vereinigen sich auch wohl ganz verschiedene Ursachen.
Dem Deutschen wird es schwer, Laute, die seiner Muttersprache mangeln, gut
nachzumachen; diesen Umstand muß man zugeben, doch besteht dasselbe Hindernis
wehr oder weniger stark wohl für die meisten Nationen mit Ausnahme der
slavischen. Nun pflegen zwar diese letztern mit besondrer Leichtigkeit sowohl
Grammatik als Accent sich anzueignen, wenigstens Russen und Polen, indessen
kommt bei diesen wieder in Betracht, daß für ihre gebildeten Kreise das Fran¬
zösische, um welches es sich zumeist handelt, halb Muttersprache ist. Und warum
but der Süd- und der Westdeutsche nicht so schwer zu ringen wie der nord¬
deutsche? Uns dünkt, nicht sowohl die Zunge als vielmehr das Ohr sei der
Stein des Anstoßes.

Nach unseru Beobachtungen hören die meisten Norddeutschen gnr nicht,
worin ihre Aussprache fremder Wörter sich von der richtigen unterscheidet. Per-


Grcnzbotcn III. I8L2. 70
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193950"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2097" prev="#ID_2096"> Natürlich; die russischen Lettern wären für die große Mehrzahl der Leser stumm<lb/>
gewesen, und da er französisch schrieb, akkomodirte er sich der französischen Recht¬<lb/>
schreibung; aber für uns sollte er doch Ulibitscheff heißen. Diese Liste ließ sich<lb/>
bis ins Unendliche fortsetzen, doch soll hier nur noch berührt werden, daß wir,<lb/>
weil die Engländer und Franzosen unsern Laut es nicht haben, uns verpflichtet<lb/>
glauben, wie sie: Khedive, Khorsabad u. s. w. zu schreiben, obwohl die Zusammen¬<lb/>
stellung Kh für uns gar keine Bedeutung hat. Welcher Orthographie wir eigent¬<lb/>
lich die Schreibung des Namens Cetewäjv verdanken, der angeblich Ketschwüjo<lb/>
ausgesprochen werden muß, ist uns noch rätselhaft, eben dieser Fall gehört ohne<lb/>
Zweifel zu den interessantesten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2098"> Ziehen wir die Summe vou dem Gesagten, so sehen wir, daß der Leser<lb/>
eines deutschen Buches genötigt wird, dieselben Buchstaben bald nach den Regeln<lb/>
seiner, bald der französischen, der englischen, der italienischen und noch maucher<lb/>
andern Sprache hören zu küssen. Das ist gewiß kein normaler Zustand, und<lb/>
die Versuche, fremde Schriftzeichen in der Stille bei uus einzuschmuggeln, wie y<lb/>
(auch dn, wo im Französischen das einfache o steht, wie in raos u. tgi.) erhöhen<lb/>
nur die Konfusion, anstatt zu verringern. Die Lösung des Wirrsnls scheint uns<lb/>
darin zu liegen, daß wir eine Anzahl Schriftzeichen schaffen für Laute, die ur¬<lb/>
sprünglich die deutsche Sprache nicht kannte, die ihr heutzutage aber schon un¬<lb/>
entbehrlich geworden sind. Unentbehrlich auch für den Sprachunterricht und<lb/>
die Lexikographie der modernen Sprachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2099"> Der Deutsche kann wohl im allgemeinen Sprachtalent nicht zu seinen Vor¬<lb/>
zügen rechnen. Wir haben Lust, fremde Sprachen zu erlernen, wenden viel<lb/>
Fleiß daran, verstehen bald das Gedruckte in allen möglichen Idiomen, gelangen<lb/>
aber schwer dazu, uns mit Freiheit in einer andern Sprache auszudrücken und<lb/>
behalten fast immer eine mangelhafte Aussprache, vor allen wir Norddeutschen.<lb/>
Unser Französisch erfreut sich eines Weltrufes, und leider eines uicht unver¬<lb/>
dienten. Woran das liegen mag? Sehr verschiedene Erklärungen sind versucht<lb/>
worden, und in der That vereinigen sich auch wohl ganz verschiedene Ursachen.<lb/>
Dem Deutschen wird es schwer, Laute, die seiner Muttersprache mangeln, gut<lb/>
nachzumachen; diesen Umstand muß man zugeben, doch besteht dasselbe Hindernis<lb/>
wehr oder weniger stark wohl für die meisten Nationen mit Ausnahme der<lb/>
slavischen. Nun pflegen zwar diese letztern mit besondrer Leichtigkeit sowohl<lb/>
Grammatik als Accent sich anzueignen, wenigstens Russen und Polen, indessen<lb/>
kommt bei diesen wieder in Betracht, daß für ihre gebildeten Kreise das Fran¬<lb/>
zösische, um welches es sich zumeist handelt, halb Muttersprache ist. Und warum<lb/>
but der Süd- und der Westdeutsche nicht so schwer zu ringen wie der nord¬<lb/>
deutsche? Uns dünkt, nicht sowohl die Zunge als vielmehr das Ohr sei der<lb/>
Stein des Anstoßes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2100" next="#ID_2101"> Nach unseru Beobachtungen hören die meisten Norddeutschen gnr nicht,<lb/>
worin ihre Aussprache fremder Wörter sich von der richtigen unterscheidet. Per-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbotcn III. I8L2. 70</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] Natürlich; die russischen Lettern wären für die große Mehrzahl der Leser stumm gewesen, und da er französisch schrieb, akkomodirte er sich der französischen Recht¬ schreibung; aber für uns sollte er doch Ulibitscheff heißen. Diese Liste ließ sich bis ins Unendliche fortsetzen, doch soll hier nur noch berührt werden, daß wir, weil die Engländer und Franzosen unsern Laut es nicht haben, uns verpflichtet glauben, wie sie: Khedive, Khorsabad u. s. w. zu schreiben, obwohl die Zusammen¬ stellung Kh für uns gar keine Bedeutung hat. Welcher Orthographie wir eigent¬ lich die Schreibung des Namens Cetewäjv verdanken, der angeblich Ketschwüjo ausgesprochen werden muß, ist uns noch rätselhaft, eben dieser Fall gehört ohne Zweifel zu den interessantesten. Ziehen wir die Summe vou dem Gesagten, so sehen wir, daß der Leser eines deutschen Buches genötigt wird, dieselben Buchstaben bald nach den Regeln seiner, bald der französischen, der englischen, der italienischen und noch maucher andern Sprache hören zu küssen. Das ist gewiß kein normaler Zustand, und die Versuche, fremde Schriftzeichen in der Stille bei uus einzuschmuggeln, wie y (auch dn, wo im Französischen das einfache o steht, wie in raos u. tgi.) erhöhen nur die Konfusion, anstatt zu verringern. Die Lösung des Wirrsnls scheint uns darin zu liegen, daß wir eine Anzahl Schriftzeichen schaffen für Laute, die ur¬ sprünglich die deutsche Sprache nicht kannte, die ihr heutzutage aber schon un¬ entbehrlich geworden sind. Unentbehrlich auch für den Sprachunterricht und die Lexikographie der modernen Sprachen. Der Deutsche kann wohl im allgemeinen Sprachtalent nicht zu seinen Vor¬ zügen rechnen. Wir haben Lust, fremde Sprachen zu erlernen, wenden viel Fleiß daran, verstehen bald das Gedruckte in allen möglichen Idiomen, gelangen aber schwer dazu, uns mit Freiheit in einer andern Sprache auszudrücken und behalten fast immer eine mangelhafte Aussprache, vor allen wir Norddeutschen. Unser Französisch erfreut sich eines Weltrufes, und leider eines uicht unver¬ dienten. Woran das liegen mag? Sehr verschiedene Erklärungen sind versucht worden, und in der That vereinigen sich auch wohl ganz verschiedene Ursachen. Dem Deutschen wird es schwer, Laute, die seiner Muttersprache mangeln, gut nachzumachen; diesen Umstand muß man zugeben, doch besteht dasselbe Hindernis wehr oder weniger stark wohl für die meisten Nationen mit Ausnahme der slavischen. Nun pflegen zwar diese letztern mit besondrer Leichtigkeit sowohl Grammatik als Accent sich anzueignen, wenigstens Russen und Polen, indessen kommt bei diesen wieder in Betracht, daß für ihre gebildeten Kreise das Fran¬ zösische, um welches es sich zumeist handelt, halb Muttersprache ist. Und warum but der Süd- und der Westdeutsche nicht so schwer zu ringen wie der nord¬ deutsche? Uns dünkt, nicht sowohl die Zunge als vielmehr das Ohr sei der Stein des Anstoßes. Nach unseru Beobachtungen hören die meisten Norddeutschen gnr nicht, worin ihre Aussprache fremder Wörter sich von der richtigen unterscheidet. Per- Grcnzbotcn III. I8L2. 70

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/609>, abgerufen am 01.10.2024.