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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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bei jeder nennenswerten Kurserniedrigung Deckung für den "Verlust" gefordert,
und da der Darleiher berechtigt ist, bei Verzögerung des Einganges dieser
Deckung das Depot auf Kosten und Gefahr des "Schuldners" zu verkaufe"
-- wobei er als "Selbstkäufer" auftreten kauu --, so ist der Klient oft sein
Vermögen los, noch ehe er die Möglichkeit eines solchen Vorganges begriffen
hat. Es kaun sogar vorkommen, daß beim Verkauf der Verlust größer wird
als das zum Ankauf des Depots verwandte Kapital; selbstverständlich wird
der Bankier wegen des Restes sich an das übrige Vermögen seines Kommittenten
halten, und stets wird der letztere vom Gericht verurteilt werden, den Ausfall
zu decken.

Dies wird aber noch bei weitem ärger dann, wenn das betreffende "Depot"
ausdrücklich zum Zweck der Spekulation gekauft wird, und wenn daraufhin
das Spiel mit Kauf und Verkauf, Differenzgewinn und Differenzdeckung in
Gang kommt. In solchem Falle schiebt der Klient meist sein Geld direkt in
die Tasche seines Kommissionärs. Denn dieser kauft in den meisten Fällen gar
nicht, was er kaufen soll; er verwendet vielmehr die Zahlung des Klienten zu
seinen eignen Zwecken und führt den Posten lediglich im Buch, schreibt zu, wenn
Kursgewinn, schreibt ub, wenn Kursverlust eintritt, und ducht lediglich die
Ordres, die ihm dazwischen zugehen, während er sich in seiner Korrespondenz zur
Ausführung dieser Ordres "bekennt." strafrechtlich gedeckt ist der Bankier nach
dieser Richtung hin ebenfalls durch die Klausel, daß er jederzeit als Selbst¬
käufer auftreten kann und durch die an der Börse vorhandene Möglichkeit, sich
jederzeit "Stücke" zu verschaffe". Eine Revision der "Depots" aber findet
natürlich nicht statt.

Es liegt auf der Hand, wie leicht das Publikum, das uur die Hälfte oder
uoch weniger vom angeblichen Speknlations-"Kapital" eingezahlt hat, bei solchem
"Geschäft" sein Eigentum vollständig verlieren kann. Da der Kommittent nicht
selbst an der Börse verkehrt, so kann er natürlich auch uicht deu Schwankungen
der Kurse unmittelbar folgen. Das Publikum erfährt zwar durch deu Kurs¬
zettel, wie der Kurs der letzten oder vorletzten Börse war, aber der Gang der
augenblicklichen Börse ist ihm dunkel; und Dispositionen, die infolge des gestrigen
Geschäftsganges gegeben wurden, können heute völlig veraltet und iuteressewidrig
geworden sei". In den wiederkehrenden Epochen, wo die Spekulation "realisirt,"
die "schwachen Hände" abschüttelt, die "Börse" säubert, verschwinden jene Depots
massenhaft.

Jede der größeren sogenannten "Realisationen" der Spekulation drückt
notwendig auf die Kurse und kann eine "Deroute," welche bei Überspannung
der Spekulation einen Krach uach sich ziehen muß, zur Folge haben; wie d.cum
nicht ohne Grund behauptet wird, die "Realisation" Lebaudys habe den nächsten
Anstoß zum letzten Pariser Krach gegeben. Denn unter "Realisation" versteht
man deu effektiven Verkauf derjenigen Titelkategorien, in denen die Spekulation


bei jeder nennenswerten Kurserniedrigung Deckung für den „Verlust" gefordert,
und da der Darleiher berechtigt ist, bei Verzögerung des Einganges dieser
Deckung das Depot auf Kosten und Gefahr des „Schuldners" zu verkaufe»
— wobei er als „Selbstkäufer" auftreten kauu —, so ist der Klient oft sein
Vermögen los, noch ehe er die Möglichkeit eines solchen Vorganges begriffen
hat. Es kaun sogar vorkommen, daß beim Verkauf der Verlust größer wird
als das zum Ankauf des Depots verwandte Kapital; selbstverständlich wird
der Bankier wegen des Restes sich an das übrige Vermögen seines Kommittenten
halten, und stets wird der letztere vom Gericht verurteilt werden, den Ausfall
zu decken.

Dies wird aber noch bei weitem ärger dann, wenn das betreffende „Depot"
ausdrücklich zum Zweck der Spekulation gekauft wird, und wenn daraufhin
das Spiel mit Kauf und Verkauf, Differenzgewinn und Differenzdeckung in
Gang kommt. In solchem Falle schiebt der Klient meist sein Geld direkt in
die Tasche seines Kommissionärs. Denn dieser kauft in den meisten Fällen gar
nicht, was er kaufen soll; er verwendet vielmehr die Zahlung des Klienten zu
seinen eignen Zwecken und führt den Posten lediglich im Buch, schreibt zu, wenn
Kursgewinn, schreibt ub, wenn Kursverlust eintritt, und ducht lediglich die
Ordres, die ihm dazwischen zugehen, während er sich in seiner Korrespondenz zur
Ausführung dieser Ordres „bekennt." strafrechtlich gedeckt ist der Bankier nach
dieser Richtung hin ebenfalls durch die Klausel, daß er jederzeit als Selbst¬
käufer auftreten kann und durch die an der Börse vorhandene Möglichkeit, sich
jederzeit „Stücke" zu verschaffe». Eine Revision der „Depots" aber findet
natürlich nicht statt.

Es liegt auf der Hand, wie leicht das Publikum, das uur die Hälfte oder
uoch weniger vom angeblichen Speknlations-„Kapital" eingezahlt hat, bei solchem
„Geschäft" sein Eigentum vollständig verlieren kann. Da der Kommittent nicht
selbst an der Börse verkehrt, so kann er natürlich auch uicht deu Schwankungen
der Kurse unmittelbar folgen. Das Publikum erfährt zwar durch deu Kurs¬
zettel, wie der Kurs der letzten oder vorletzten Börse war, aber der Gang der
augenblicklichen Börse ist ihm dunkel; und Dispositionen, die infolge des gestrigen
Geschäftsganges gegeben wurden, können heute völlig veraltet und iuteressewidrig
geworden sei». In den wiederkehrenden Epochen, wo die Spekulation „realisirt,"
die „schwachen Hände" abschüttelt, die „Börse" säubert, verschwinden jene Depots
massenhaft.

Jede der größeren sogenannten „Realisationen" der Spekulation drückt
notwendig auf die Kurse und kann eine „Deroute," welche bei Überspannung
der Spekulation einen Krach uach sich ziehen muß, zur Folge haben; wie d.cum
nicht ohne Grund behauptet wird, die „Realisation" Lebaudys habe den nächsten
Anstoß zum letzten Pariser Krach gegeben. Denn unter „Realisation" versteht
man deu effektiven Verkauf derjenigen Titelkategorien, in denen die Spekulation


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[0592] bei jeder nennenswerten Kurserniedrigung Deckung für den „Verlust" gefordert, und da der Darleiher berechtigt ist, bei Verzögerung des Einganges dieser Deckung das Depot auf Kosten und Gefahr des „Schuldners" zu verkaufe» — wobei er als „Selbstkäufer" auftreten kauu —, so ist der Klient oft sein Vermögen los, noch ehe er die Möglichkeit eines solchen Vorganges begriffen hat. Es kaun sogar vorkommen, daß beim Verkauf der Verlust größer wird als das zum Ankauf des Depots verwandte Kapital; selbstverständlich wird der Bankier wegen des Restes sich an das übrige Vermögen seines Kommittenten halten, und stets wird der letztere vom Gericht verurteilt werden, den Ausfall zu decken. Dies wird aber noch bei weitem ärger dann, wenn das betreffende „Depot" ausdrücklich zum Zweck der Spekulation gekauft wird, und wenn daraufhin das Spiel mit Kauf und Verkauf, Differenzgewinn und Differenzdeckung in Gang kommt. In solchem Falle schiebt der Klient meist sein Geld direkt in die Tasche seines Kommissionärs. Denn dieser kauft in den meisten Fällen gar nicht, was er kaufen soll; er verwendet vielmehr die Zahlung des Klienten zu seinen eignen Zwecken und führt den Posten lediglich im Buch, schreibt zu, wenn Kursgewinn, schreibt ub, wenn Kursverlust eintritt, und ducht lediglich die Ordres, die ihm dazwischen zugehen, während er sich in seiner Korrespondenz zur Ausführung dieser Ordres „bekennt." strafrechtlich gedeckt ist der Bankier nach dieser Richtung hin ebenfalls durch die Klausel, daß er jederzeit als Selbst¬ käufer auftreten kann und durch die an der Börse vorhandene Möglichkeit, sich jederzeit „Stücke" zu verschaffe». Eine Revision der „Depots" aber findet natürlich nicht statt. Es liegt auf der Hand, wie leicht das Publikum, das uur die Hälfte oder uoch weniger vom angeblichen Speknlations-„Kapital" eingezahlt hat, bei solchem „Geschäft" sein Eigentum vollständig verlieren kann. Da der Kommittent nicht selbst an der Börse verkehrt, so kann er natürlich auch uicht deu Schwankungen der Kurse unmittelbar folgen. Das Publikum erfährt zwar durch deu Kurs¬ zettel, wie der Kurs der letzten oder vorletzten Börse war, aber der Gang der augenblicklichen Börse ist ihm dunkel; und Dispositionen, die infolge des gestrigen Geschäftsganges gegeben wurden, können heute völlig veraltet und iuteressewidrig geworden sei». In den wiederkehrenden Epochen, wo die Spekulation „realisirt," die „schwachen Hände" abschüttelt, die „Börse" säubert, verschwinden jene Depots massenhaft. Jede der größeren sogenannten „Realisationen" der Spekulation drückt notwendig auf die Kurse und kann eine „Deroute," welche bei Überspannung der Spekulation einen Krach uach sich ziehen muß, zur Folge haben; wie d.cum nicht ohne Grund behauptet wird, die „Realisation" Lebaudys habe den nächsten Anstoß zum letzten Pariser Krach gegeben. Denn unter „Realisation" versteht man deu effektiven Verkauf derjenigen Titelkategorien, in denen die Spekulation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/592>, abgerufen am 24.08.2024.