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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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bald zu Frankreich hinneigen und sein Heer und seine Diplomatie zur Wieder-
eroberung der Grenzen von 1 772 verwenden, und wie die Menschen und Völker
einmal sind, würde man ihm das nicht verdenken können, schon weil es für
Aus- und Einfuhr der Küste bedürfte.

Wenn wir 1.854 schrieben und der "Czas" berichtete, ein Pole habe bei
Vnvl seine Gedanken vorgetragen "ut dessen Zustimmung vernommen, so ließe
sich die Sache vielleicht selbst dann glauben, wenn der österreichische Minister die
Abtretung Galiziens und Lodomiriens in Aussicht gestellt haben sollte. Österreich
ging damals mit den Westmächten, die im Verlaufe ihres Krieges mit Rußland
an eine Wiederherstellung Polens denken konnten, und man durfte annehmen,
es werde nicht abgeneigt sein, gegen Entschädigung dazu beizutragen. "Ich
glaube sogar, erklärte Bismarck damals in einem von Poschinger mitgeteilten
Briefe, daß Osterreich die Donauländer wählen würde, wenn es zwischen diesen
und Galizien vptiren müßte. Jene sind deutscher Sprache und Regierung zu¬
gänglicher als die polnischen Provinzen,... sie sind reicherer Entwicklung fähig
und passen geographisch und kommerziell besser zu Österreich als das außerhalb
der Karpathen dem Kaiserstaate angeklebte Galizien. Letzteres ist bei seinen
offnen Grenzen der russischen Macht und etwaigen polnischen Insurrektionen
leicht zugänglich. Die Gefahren, welche die polnische Nachbarschaft für die Ruhe
von Ungarn bieten würde, finden ein Gegengewicht in der Vermehrung der den
Magyaren feindlichen Elemente, der Serben und Walachei,. Außerdem bietet
die Herstellung Polens an und für sich dem österreichische" Systeme Vorteile:
1- Preußen wird geschwächt und in Schach gehalten. 2. Die Gefahr des Pan-
slavismus hört ans, wenn zwei mächtige Slavenstaaten verschiedener Religion
und Nationalität vorhanden sind. 3. Europa erhält einen wichtigen Staat von
katholischer Konfession mehr. 4. Polen, unter Österreichs Hilfe hergestellt, wird
vor der Hand Österreichs sicherer Verbündeter. 5. Die Herstellung Polens
bietet Österreich vielleicht die einzige dauernde Garantie gegen eine Vergeltung
Vonseiten Rußlands, sobald die italienische Angelegenheit ^Streit zwischen Öster¬
reich und Frankreich herbeiführt oder ersteres sonstwie in Verlegenheit kommt."

Seitdem haben sich die Verhältnisse wesentlich anders gestaltet. Ungarn
befriedigt. Die Donauländer Serbien und Rumänien sind vergeben und
Königreiche geworden. Vor allem aber hat die alte Nebenbuhlerschaft zwischen
Österreich und Preußen aufgehört und einem engen, ans Würdigung der gegen¬
seitigen Interessen gegründeten Bündnisse beider Staaten Platz gemacht. Öster¬
lich-Ungarn kann jetzt nicht mehr an eine Wiederaufrichtung Polens denken.
überläßt dies den Verschwörern in Krakau und Lemberg, welche zum Danke
für die Begünstigung der polnischen Nationalität unter dem Veustscheu Regime
sich nöt Vorbereitungen zu neuen revolutionären Pulsader abmühen.

In Preußen wäre der Gedanke an eine Wiederherstellung Polens wenig¬
stens in den Kreisen, die politisch zu rechnen wissen, zu allen Zeiten eine Un-


bald zu Frankreich hinneigen und sein Heer und seine Diplomatie zur Wieder-
eroberung der Grenzen von 1 772 verwenden, und wie die Menschen und Völker
einmal sind, würde man ihm das nicht verdenken können, schon weil es für
Aus- und Einfuhr der Küste bedürfte.

Wenn wir 1.854 schrieben und der „Czas" berichtete, ein Pole habe bei
Vnvl seine Gedanken vorgetragen »ut dessen Zustimmung vernommen, so ließe
sich die Sache vielleicht selbst dann glauben, wenn der österreichische Minister die
Abtretung Galiziens und Lodomiriens in Aussicht gestellt haben sollte. Österreich
ging damals mit den Westmächten, die im Verlaufe ihres Krieges mit Rußland
an eine Wiederherstellung Polens denken konnten, und man durfte annehmen,
es werde nicht abgeneigt sein, gegen Entschädigung dazu beizutragen. „Ich
glaube sogar, erklärte Bismarck damals in einem von Poschinger mitgeteilten
Briefe, daß Osterreich die Donauländer wählen würde, wenn es zwischen diesen
und Galizien vptiren müßte. Jene sind deutscher Sprache und Regierung zu¬
gänglicher als die polnischen Provinzen,... sie sind reicherer Entwicklung fähig
und passen geographisch und kommerziell besser zu Österreich als das außerhalb
der Karpathen dem Kaiserstaate angeklebte Galizien. Letzteres ist bei seinen
offnen Grenzen der russischen Macht und etwaigen polnischen Insurrektionen
leicht zugänglich. Die Gefahren, welche die polnische Nachbarschaft für die Ruhe
von Ungarn bieten würde, finden ein Gegengewicht in der Vermehrung der den
Magyaren feindlichen Elemente, der Serben und Walachei,. Außerdem bietet
die Herstellung Polens an und für sich dem österreichische» Systeme Vorteile:
1- Preußen wird geschwächt und in Schach gehalten. 2. Die Gefahr des Pan-
slavismus hört ans, wenn zwei mächtige Slavenstaaten verschiedener Religion
und Nationalität vorhanden sind. 3. Europa erhält einen wichtigen Staat von
katholischer Konfession mehr. 4. Polen, unter Österreichs Hilfe hergestellt, wird
vor der Hand Österreichs sicherer Verbündeter. 5. Die Herstellung Polens
bietet Österreich vielleicht die einzige dauernde Garantie gegen eine Vergeltung
Vonseiten Rußlands, sobald die italienische Angelegenheit ^Streit zwischen Öster¬
reich und Frankreich herbeiführt oder ersteres sonstwie in Verlegenheit kommt."

Seitdem haben sich die Verhältnisse wesentlich anders gestaltet. Ungarn
befriedigt. Die Donauländer Serbien und Rumänien sind vergeben und
Königreiche geworden. Vor allem aber hat die alte Nebenbuhlerschaft zwischen
Österreich und Preußen aufgehört und einem engen, ans Würdigung der gegen¬
seitigen Interessen gegründeten Bündnisse beider Staaten Platz gemacht. Öster¬
lich-Ungarn kann jetzt nicht mehr an eine Wiederaufrichtung Polens denken.
überläßt dies den Verschwörern in Krakau und Lemberg, welche zum Danke
für die Begünstigung der polnischen Nationalität unter dem Veustscheu Regime
sich nöt Vorbereitungen zu neuen revolutionären Pulsader abmühen.

In Preußen wäre der Gedanke an eine Wiederherstellung Polens wenig¬
stens in den Kreisen, die politisch zu rechnen wissen, zu allen Zeiten eine Un-


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[0587] bald zu Frankreich hinneigen und sein Heer und seine Diplomatie zur Wieder- eroberung der Grenzen von 1 772 verwenden, und wie die Menschen und Völker einmal sind, würde man ihm das nicht verdenken können, schon weil es für Aus- und Einfuhr der Küste bedürfte. Wenn wir 1.854 schrieben und der „Czas" berichtete, ein Pole habe bei Vnvl seine Gedanken vorgetragen »ut dessen Zustimmung vernommen, so ließe sich die Sache vielleicht selbst dann glauben, wenn der österreichische Minister die Abtretung Galiziens und Lodomiriens in Aussicht gestellt haben sollte. Österreich ging damals mit den Westmächten, die im Verlaufe ihres Krieges mit Rußland an eine Wiederherstellung Polens denken konnten, und man durfte annehmen, es werde nicht abgeneigt sein, gegen Entschädigung dazu beizutragen. „Ich glaube sogar, erklärte Bismarck damals in einem von Poschinger mitgeteilten Briefe, daß Osterreich die Donauländer wählen würde, wenn es zwischen diesen und Galizien vptiren müßte. Jene sind deutscher Sprache und Regierung zu¬ gänglicher als die polnischen Provinzen,... sie sind reicherer Entwicklung fähig und passen geographisch und kommerziell besser zu Österreich als das außerhalb der Karpathen dem Kaiserstaate angeklebte Galizien. Letzteres ist bei seinen offnen Grenzen der russischen Macht und etwaigen polnischen Insurrektionen leicht zugänglich. Die Gefahren, welche die polnische Nachbarschaft für die Ruhe von Ungarn bieten würde, finden ein Gegengewicht in der Vermehrung der den Magyaren feindlichen Elemente, der Serben und Walachei,. Außerdem bietet die Herstellung Polens an und für sich dem österreichische» Systeme Vorteile: 1- Preußen wird geschwächt und in Schach gehalten. 2. Die Gefahr des Pan- slavismus hört ans, wenn zwei mächtige Slavenstaaten verschiedener Religion und Nationalität vorhanden sind. 3. Europa erhält einen wichtigen Staat von katholischer Konfession mehr. 4. Polen, unter Österreichs Hilfe hergestellt, wird vor der Hand Österreichs sicherer Verbündeter. 5. Die Herstellung Polens bietet Österreich vielleicht die einzige dauernde Garantie gegen eine Vergeltung Vonseiten Rußlands, sobald die italienische Angelegenheit ^Streit zwischen Öster¬ reich und Frankreich herbeiführt oder ersteres sonstwie in Verlegenheit kommt." Seitdem haben sich die Verhältnisse wesentlich anders gestaltet. Ungarn befriedigt. Die Donauländer Serbien und Rumänien sind vergeben und Königreiche geworden. Vor allem aber hat die alte Nebenbuhlerschaft zwischen Österreich und Preußen aufgehört und einem engen, ans Würdigung der gegen¬ seitigen Interessen gegründeten Bündnisse beider Staaten Platz gemacht. Öster¬ lich-Ungarn kann jetzt nicht mehr an eine Wiederaufrichtung Polens denken. überläßt dies den Verschwörern in Krakau und Lemberg, welche zum Danke für die Begünstigung der polnischen Nationalität unter dem Veustscheu Regime sich nöt Vorbereitungen zu neuen revolutionären Pulsader abmühen. In Preußen wäre der Gedanke an eine Wiederherstellung Polens wenig¬ stens in den Kreisen, die politisch zu rechnen wissen, zu allen Zeiten eine Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/587>, abgerufen am 02.10.2024.