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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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über die Vorgänge in den höhern politischen Kreisen bisweilen nicht übel unter¬
richtet. Endlich kann ähnliches über kurz oder lang wieder aufgetischt werden,
und nicht bloß Feuilletonisten sind oft urteilslos, sondern anch das Publikum,
das ihre Fabrikate liest. Es wird somit nicht überflüssig sein, wenn im fol-
genden wieder einmal gezeigt wird, daß die Darlegungen des hochgestellten Polen
des "Czas," denen wir schon in andrer Gestalt und Verbindung begegnet sind,
nicht entfernt vom Reichskanzler gebilligt und verwirklicht werden könnten.

Daß ein großer Teil des russischen Volkes den Deutschen nicht wohlwill,
und daß der russische Staat uns einmal recht unbequem werden kann, find
Thatsachen, die sich nicht ableugnen küssen. Schwer zu beweisen aber wird sein,
daß die Wiederherstellung Polens mit den Grenzen des jetzigen polnischen Be¬
sitzes Rußlands die jenseits unsrer östlichen Marken liegende Gefahr beseitigen
oder auch nur vermindern würde. Wir könnten dem neuen Staat eine deutsche
Dynastie geben, sagt man, der König von Polen könnte ein preußischer Prinz
sein. Aber wird ein solcher Prinz katholisch werden wolle", und wird ein pro¬
testantischer König von deutscher Herkunft nicht von Anfang an einerseits die
einflußreiche Geistlichkeit, andrerseits die Partei, welche dem Fürsten Czartvrhski
die Krone zugedacht hat, gegen sich haben, ganz abgesehen von den Roten der
Emigration, die ihn schon als Monarchen bekämpfen würden? Und hat die
Besteigung des Thrones von Rumänien durch einen Hohenzollern etwa den
Deutschen in diesem Lande Freunde erworben? Man sagt weiter: Enropa
könnte das neue Polen für neutral erklären und ihm diese Eigenschaft feierlich
verbürgen. Wir antworten: die Feierlichkeit würde wohlfeil zu haben, das mit
der Neutralität geschaffene "Bollwerk" aber würde nicht viel besser als ein
papiernes sein. Wer glaubt ernstlich, daß bei einem großen Kriege Belgien
lediglich durch seine Neutralität geschützt sein würde? Wer erinnerte sich nicht,
daß es trotz derselben lviederholt uiid Einverleibung in Frankreich bedroht war?

Nein, ein neues Polen ans den in Rußlands Besitz befindlichen Teilen
des alten herstellen, hieße für Preußen und Deutschland für einen bedenklichen
Nachbar im Osten deren -zwei schaffen. Die Polen Haffen Rußland, aber sie
hassen Deutschland nicht weniger, ja wegen seiner größeren Assimilativnskraft
noch weit mehr. Sie würden uns Dank schulden, wenn wir ihnen einen Teil
ihres ehemaligen Reiches zurückgeben wollten, uns aber sicherlich nicht dankbar
sein, vielmehr die Gabe nur als Abschlagszahlung ansehen, etwa wie die Griechen
die Errichtung des Königreichs Hellas und dessen Ergänzung durch Thessalien-
Mit andern Worten: mit der Schöpfung eines polnischen Staates, der nur
etwas mehr als ein Drittel des einstigen Polenreichs umfaßte, würden ohne
Verzug die grvßpolnischen Ansprüche und Bestrebungen, die allen Parteien der
Polen, mögen sie sonst die verschiedensten Ziele verfolgen, als Glaubensbekenntnis)
vor Angen stehen, mit größter Stärke erwachen und einen realen Kern, einen
Anhalt und Ausgangspunkt gewinnen. Ein Polen der Art würde sicher sehr


über die Vorgänge in den höhern politischen Kreisen bisweilen nicht übel unter¬
richtet. Endlich kann ähnliches über kurz oder lang wieder aufgetischt werden,
und nicht bloß Feuilletonisten sind oft urteilslos, sondern anch das Publikum,
das ihre Fabrikate liest. Es wird somit nicht überflüssig sein, wenn im fol-
genden wieder einmal gezeigt wird, daß die Darlegungen des hochgestellten Polen
des „Czas," denen wir schon in andrer Gestalt und Verbindung begegnet sind,
nicht entfernt vom Reichskanzler gebilligt und verwirklicht werden könnten.

Daß ein großer Teil des russischen Volkes den Deutschen nicht wohlwill,
und daß der russische Staat uns einmal recht unbequem werden kann, find
Thatsachen, die sich nicht ableugnen küssen. Schwer zu beweisen aber wird sein,
daß die Wiederherstellung Polens mit den Grenzen des jetzigen polnischen Be¬
sitzes Rußlands die jenseits unsrer östlichen Marken liegende Gefahr beseitigen
oder auch nur vermindern würde. Wir könnten dem neuen Staat eine deutsche
Dynastie geben, sagt man, der König von Polen könnte ein preußischer Prinz
sein. Aber wird ein solcher Prinz katholisch werden wolle», und wird ein pro¬
testantischer König von deutscher Herkunft nicht von Anfang an einerseits die
einflußreiche Geistlichkeit, andrerseits die Partei, welche dem Fürsten Czartvrhski
die Krone zugedacht hat, gegen sich haben, ganz abgesehen von den Roten der
Emigration, die ihn schon als Monarchen bekämpfen würden? Und hat die
Besteigung des Thrones von Rumänien durch einen Hohenzollern etwa den
Deutschen in diesem Lande Freunde erworben? Man sagt weiter: Enropa
könnte das neue Polen für neutral erklären und ihm diese Eigenschaft feierlich
verbürgen. Wir antworten: die Feierlichkeit würde wohlfeil zu haben, das mit
der Neutralität geschaffene „Bollwerk" aber würde nicht viel besser als ein
papiernes sein. Wer glaubt ernstlich, daß bei einem großen Kriege Belgien
lediglich durch seine Neutralität geschützt sein würde? Wer erinnerte sich nicht,
daß es trotz derselben lviederholt uiid Einverleibung in Frankreich bedroht war?

Nein, ein neues Polen ans den in Rußlands Besitz befindlichen Teilen
des alten herstellen, hieße für Preußen und Deutschland für einen bedenklichen
Nachbar im Osten deren -zwei schaffen. Die Polen Haffen Rußland, aber sie
hassen Deutschland nicht weniger, ja wegen seiner größeren Assimilativnskraft
noch weit mehr. Sie würden uns Dank schulden, wenn wir ihnen einen Teil
ihres ehemaligen Reiches zurückgeben wollten, uns aber sicherlich nicht dankbar
sein, vielmehr die Gabe nur als Abschlagszahlung ansehen, etwa wie die Griechen
die Errichtung des Königreichs Hellas und dessen Ergänzung durch Thessalien-
Mit andern Worten: mit der Schöpfung eines polnischen Staates, der nur
etwas mehr als ein Drittel des einstigen Polenreichs umfaßte, würden ohne
Verzug die grvßpolnischen Ansprüche und Bestrebungen, die allen Parteien der
Polen, mögen sie sonst die verschiedensten Ziele verfolgen, als Glaubensbekenntnis)
vor Angen stehen, mit größter Stärke erwachen und einen realen Kern, einen
Anhalt und Ausgangspunkt gewinnen. Ein Polen der Art würde sicher sehr


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[0586] über die Vorgänge in den höhern politischen Kreisen bisweilen nicht übel unter¬ richtet. Endlich kann ähnliches über kurz oder lang wieder aufgetischt werden, und nicht bloß Feuilletonisten sind oft urteilslos, sondern anch das Publikum, das ihre Fabrikate liest. Es wird somit nicht überflüssig sein, wenn im fol- genden wieder einmal gezeigt wird, daß die Darlegungen des hochgestellten Polen des „Czas," denen wir schon in andrer Gestalt und Verbindung begegnet sind, nicht entfernt vom Reichskanzler gebilligt und verwirklicht werden könnten. Daß ein großer Teil des russischen Volkes den Deutschen nicht wohlwill, und daß der russische Staat uns einmal recht unbequem werden kann, find Thatsachen, die sich nicht ableugnen küssen. Schwer zu beweisen aber wird sein, daß die Wiederherstellung Polens mit den Grenzen des jetzigen polnischen Be¬ sitzes Rußlands die jenseits unsrer östlichen Marken liegende Gefahr beseitigen oder auch nur vermindern würde. Wir könnten dem neuen Staat eine deutsche Dynastie geben, sagt man, der König von Polen könnte ein preußischer Prinz sein. Aber wird ein solcher Prinz katholisch werden wolle», und wird ein pro¬ testantischer König von deutscher Herkunft nicht von Anfang an einerseits die einflußreiche Geistlichkeit, andrerseits die Partei, welche dem Fürsten Czartvrhski die Krone zugedacht hat, gegen sich haben, ganz abgesehen von den Roten der Emigration, die ihn schon als Monarchen bekämpfen würden? Und hat die Besteigung des Thrones von Rumänien durch einen Hohenzollern etwa den Deutschen in diesem Lande Freunde erworben? Man sagt weiter: Enropa könnte das neue Polen für neutral erklären und ihm diese Eigenschaft feierlich verbürgen. Wir antworten: die Feierlichkeit würde wohlfeil zu haben, das mit der Neutralität geschaffene „Bollwerk" aber würde nicht viel besser als ein papiernes sein. Wer glaubt ernstlich, daß bei einem großen Kriege Belgien lediglich durch seine Neutralität geschützt sein würde? Wer erinnerte sich nicht, daß es trotz derselben lviederholt uiid Einverleibung in Frankreich bedroht war? Nein, ein neues Polen ans den in Rußlands Besitz befindlichen Teilen des alten herstellen, hieße für Preußen und Deutschland für einen bedenklichen Nachbar im Osten deren -zwei schaffen. Die Polen Haffen Rußland, aber sie hassen Deutschland nicht weniger, ja wegen seiner größeren Assimilativnskraft noch weit mehr. Sie würden uns Dank schulden, wenn wir ihnen einen Teil ihres ehemaligen Reiches zurückgeben wollten, uns aber sicherlich nicht dankbar sein, vielmehr die Gabe nur als Abschlagszahlung ansehen, etwa wie die Griechen die Errichtung des Königreichs Hellas und dessen Ergänzung durch Thessalien- Mit andern Worten: mit der Schöpfung eines polnischen Staates, der nur etwas mehr als ein Drittel des einstigen Polenreichs umfaßte, würden ohne Verzug die grvßpolnischen Ansprüche und Bestrebungen, die allen Parteien der Polen, mögen sie sonst die verschiedensten Ziele verfolgen, als Glaubensbekenntnis) vor Angen stehen, mit größter Stärke erwachen und einen realen Kern, einen Anhalt und Ausgangspunkt gewinnen. Ein Polen der Art würde sicher sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/586>, abgerufen am 24.08.2024.