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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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vom Reisen.

Als Herr vou Quist von seinen Reisen
Nach Hause kam, erzählte Herr von Quist:
I" Frankfurt ist
Im Roten Hanse gut zu speisen.*)

Von mehr als dem Küchenzettel weiß oft auch der moderne Reisende nicht zu
berichten, und dabei bleibt noch fraglich, ob er mit solchem Verständnis urteilt
wie Herr v. Quist, denn in der Regel verlangt er, daß die ganze Welt kochen,
backen und brauen solle, wie er gewohnt ist, und verachtet die Barbaren, welche
sich ihrem Klima, ihrer Vegetation und ihrer Beschäftigung entsprechend nähren.

Um zu erfahren, daß es Menschen giebt, welche nicht den allermindesten
Beruf zum Reisen haben, braucht man sich selbst gar nicht von seinem Wohnorte
zu entfernen; sie begegnen einem überall, langweilen und ärgern sich überall,
und machen jedem Menschen und jeder Sache Vorwürfe, als ob sie heimtückischer
Weise von zu Hause weggelockt worden wären, um für ihr schönes Geld schlecht
zu fahren, schlecht zu wohnen, schlecht zu speisen, Städte und Landschaften zu
sehen, die sie gar nicht interessiren, eine unverständliche Sprache oder einen un¬
gebildeten Dialekt zu hören n. s. w. Zur Erhöhung des Übels ist diese Sorte
unverbesserlich. Mau sollte glauben, daß jedes Mitglied einmal und nie wieder
sich über das Weichbild der Geburtsstadt hinauswagen würde: aber nein, sie
scheinen die Aufregung alljährlich zu brauchen wie eine Frühlingskur, und es
bleibt daher nichts andres übrig, als sich vor ihnen zu flüchten, so weit die
Füße trage".

Eine andre Spezies hat eine gewisse beschränkte Empfänglichkeit und Ge¬
nußfähigkeit und begeht nur den Fehler, sich nicht innerhalb dieser Grenzen zu
halten. Es ist ja niemand ein Vorwurf daraus zu machen, wenn er nur für
Naturschönheit Sinn hat, oder auch nur für solche in einem bestimmten, ihn
anheimelnden Charakter oder einer bestimmten Kategorie, Gebirge, Ebene, Meer
u. s. w.; oder wenn er überall uur deu Menschen sucht und sieht, sich in fremde
Art nicht zu finden weiß, oder umgekehrt ihm nichts absonderlich genng vor¬
kommen will. Aber hierüber sollte doch jeder bald mit sich ins Reine kommen
und darnach als Reisender seine Schritte lenken. Allein anch diese Art von
Menschen zwingt sich so gern zu Genüssen, die von andern gepriesen werden,
und plagt damit überflüssigerweise sich selbst und die Mitreisenden. Da werden
unzulässige Vergleiche angestellt zwischen den Alpe" und dein Meeresufer, zwischen



Die Beobachtung deS Herrn von Quist war ohne Zweifel richtig. Goethe schreibt
1797, d. 26. April, an Schiller: "Mit dem Frieden "on Regensburg^I hat es seine Richtig¬
keit. Eben als die Franzosen wieder in Frankfurt einrückten und noch mit den Österreicher"
un Handgemenge waren, kam ein Kurier, der die FriedenSnnchricht brachte; die Feindselig-
keiten wurden sofort eingestellt und die beiderseitigen Generale speisten mit dem Bürger¬
meister im Noten Hanse. Die Frankfurter habe" also doch für ihr Geld und ihr Leiden
einen Theatereonp erlebt, dergleichen wohl nicht viel in der Geschichte vorkommen."
Grenzl,oder IN. 1882. 71
vom Reisen.

Als Herr vou Quist von seinen Reisen
Nach Hause kam, erzählte Herr von Quist:
I» Frankfurt ist
Im Roten Hanse gut zu speisen.*)

Von mehr als dem Küchenzettel weiß oft auch der moderne Reisende nicht zu
berichten, und dabei bleibt noch fraglich, ob er mit solchem Verständnis urteilt
wie Herr v. Quist, denn in der Regel verlangt er, daß die ganze Welt kochen,
backen und brauen solle, wie er gewohnt ist, und verachtet die Barbaren, welche
sich ihrem Klima, ihrer Vegetation und ihrer Beschäftigung entsprechend nähren.

Um zu erfahren, daß es Menschen giebt, welche nicht den allermindesten
Beruf zum Reisen haben, braucht man sich selbst gar nicht von seinem Wohnorte
zu entfernen; sie begegnen einem überall, langweilen und ärgern sich überall,
und machen jedem Menschen und jeder Sache Vorwürfe, als ob sie heimtückischer
Weise von zu Hause weggelockt worden wären, um für ihr schönes Geld schlecht
zu fahren, schlecht zu wohnen, schlecht zu speisen, Städte und Landschaften zu
sehen, die sie gar nicht interessiren, eine unverständliche Sprache oder einen un¬
gebildeten Dialekt zu hören n. s. w. Zur Erhöhung des Übels ist diese Sorte
unverbesserlich. Mau sollte glauben, daß jedes Mitglied einmal und nie wieder
sich über das Weichbild der Geburtsstadt hinauswagen würde: aber nein, sie
scheinen die Aufregung alljährlich zu brauchen wie eine Frühlingskur, und es
bleibt daher nichts andres übrig, als sich vor ihnen zu flüchten, so weit die
Füße trage».

Eine andre Spezies hat eine gewisse beschränkte Empfänglichkeit und Ge¬
nußfähigkeit und begeht nur den Fehler, sich nicht innerhalb dieser Grenzen zu
halten. Es ist ja niemand ein Vorwurf daraus zu machen, wenn er nur für
Naturschönheit Sinn hat, oder auch nur für solche in einem bestimmten, ihn
anheimelnden Charakter oder einer bestimmten Kategorie, Gebirge, Ebene, Meer
u. s. w.; oder wenn er überall uur deu Menschen sucht und sieht, sich in fremde
Art nicht zu finden weiß, oder umgekehrt ihm nichts absonderlich genng vor¬
kommen will. Aber hierüber sollte doch jeder bald mit sich ins Reine kommen
und darnach als Reisender seine Schritte lenken. Allein anch diese Art von
Menschen zwingt sich so gern zu Genüssen, die von andern gepriesen werden,
und plagt damit überflüssigerweise sich selbst und die Mitreisenden. Da werden
unzulässige Vergleiche angestellt zwischen den Alpe» und dein Meeresufer, zwischen



Die Beobachtung deS Herrn von Quist war ohne Zweifel richtig. Goethe schreibt
1797, d. 26. April, an Schiller: „Mit dem Frieden »on Regensburg^I hat es seine Richtig¬
keit. Eben als die Franzosen wieder in Frankfurt einrückten und noch mit den Österreicher»
un Handgemenge waren, kam ein Kurier, der die FriedenSnnchricht brachte; die Feindselig-
keiten wurden sofort eingestellt und die beiderseitigen Generale speisten mit dem Bürger¬
meister im Noten Hanse. Die Frankfurter habe» also doch für ihr Geld und ihr Leiden
einen Theatereonp erlebt, dergleichen wohl nicht viel in der Geschichte vorkommen."
Grenzl,oder IN. 1882. 71
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/569>, abgerufen am 26.08.2024.