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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Aonferenzgerüchte und der ägyptische Krieg.

Und nun der Vorschlag einer englisch-französischen Allianz, die ihre Spitze
gegen Deutschland richtet. "Nichts ist nützlicher als das Bündnis des Menschen
mit dein Pferde," sagte Metternich 1835 zu Se. Aulaire, als sie von dem englisch¬
französischen Zusammengehen sprachen, "aber man muß der Mensch sein und
nicht das Pferd." Wer aber war im Krimkriege der Mensch und wer das
Pferd? Weiß der Verfasser des Artikels im "Temps" nicht, daß England nnr
Bündnisse zu ganz bestimmten Zwecken schließt, die mit seinen Interessen zu¬
sammenfallen, und daß eine Schwächling und Herabdrückung der Macht und des
Einflusses Dentschlands, wie sie die Franzosen wünschen, durchaus nicht im
Juteresse der Engländer liegt? "Großes Heil ist der Welt wiederfahren!" rief
ein hervorragender britischer Staatsmann, als er den Abschluß des Bündnisses
zwischen Deutschland mW Österreich-Ungarn erfahren hatte, und England sollte
sich gegen dasselbe mit Frankreich zu alliiren gewillt sein? Eine" dualistische
Spaltung Europas, welche die Westmächte als geschlossene Macht der Gruppe
der drei Ostmächte gegenüberstellte, würde das politische Gleichgewicht offenbar
mehr gefährden als erhalten; es wäre die erste, aber zugleich die bedenklichste
Untergrabung der europäische" Friedensbürgschaften, dn es nicht schwer sein würde,
als Seele der westlichen Gruppe den Nevauchegedanken zu erkennen. Wolle
man in Frankreich doch das Kapitel von der internationalen Klugheit nachlesen.
Man wird da finden, daß, während Frankreich mit Nutzen, jedenfalls ohne
Schaden alle möglichen Desensivbündnifse abschließen kann, eine Allianz zu
aggressiven Vorgehen, an die der "Temps" doch wohl denkt, immer eine sehr
bedenkliche Sache für das Land sein würde. Frankreich ist stark und sicher, so
lauge Europa und vor allem Deutschland an seine Liebe zum Frieden glauben
kann. Jede Erschütterung dieses Glaubens wurde die vielen Schwächen, mit
denen die junge Republik jenseits des Wasgenwaldes noch behaftet ist, sehr bald
hervortreten lasten.

Verständige französische Blätter erkennen das anch an. So sagt im Gegen¬
satz zum "Temps" und zum "Journal des Dubats," das ähnliches Gerede wie
dieser vorbringt, der "National": "Die Chimäre, daß wir unser Ansehen in der
Welt durch diplomatische Allianzen wiedergewinnen könnten, halten wir für den
gefährlichsten Irrtum, den wir zu begehen vermöchten. Fürwahr, wenn wir
auf irgend ein Land zählen dürfen, weil Gewalt der Interessen, Mißgunst und
Haß es gegen Deutschland treiben, so ist eS Rußland. Aber heute wie gestern
weisen wir eine unmittelbare Verstüudiguug init dieser Macht entschieden zrirück; wir
haben dem ehrlich gemeinten Entgegenkommen des Generals Skobeleff so wenig
Gehör schenken wollen als den zweideutigen Versprechungen des Fürsten Gor-
tschakoff. . . Warum uns die Hände binden? Seitdem die alten monarchischen
Traditionen verloren gegangen sind, giebt es besondere Annäherungen zwischen
den Völkern nur für bestimmte Fülle und Zwecke... Was Hütten wir hier von
England und welche Gegenleistung hätten wir England zu bieten? Wir sehen wohl,


Die Aonferenzgerüchte und der ägyptische Krieg.

Und nun der Vorschlag einer englisch-französischen Allianz, die ihre Spitze
gegen Deutschland richtet. „Nichts ist nützlicher als das Bündnis des Menschen
mit dein Pferde," sagte Metternich 1835 zu Se. Aulaire, als sie von dem englisch¬
französischen Zusammengehen sprachen, „aber man muß der Mensch sein und
nicht das Pferd." Wer aber war im Krimkriege der Mensch und wer das
Pferd? Weiß der Verfasser des Artikels im „Temps" nicht, daß England nnr
Bündnisse zu ganz bestimmten Zwecken schließt, die mit seinen Interessen zu¬
sammenfallen, und daß eine Schwächling und Herabdrückung der Macht und des
Einflusses Dentschlands, wie sie die Franzosen wünschen, durchaus nicht im
Juteresse der Engländer liegt? „Großes Heil ist der Welt wiederfahren!" rief
ein hervorragender britischer Staatsmann, als er den Abschluß des Bündnisses
zwischen Deutschland mW Österreich-Ungarn erfahren hatte, und England sollte
sich gegen dasselbe mit Frankreich zu alliiren gewillt sein? Eine" dualistische
Spaltung Europas, welche die Westmächte als geschlossene Macht der Gruppe
der drei Ostmächte gegenüberstellte, würde das politische Gleichgewicht offenbar
mehr gefährden als erhalten; es wäre die erste, aber zugleich die bedenklichste
Untergrabung der europäische» Friedensbürgschaften, dn es nicht schwer sein würde,
als Seele der westlichen Gruppe den Nevauchegedanken zu erkennen. Wolle
man in Frankreich doch das Kapitel von der internationalen Klugheit nachlesen.
Man wird da finden, daß, während Frankreich mit Nutzen, jedenfalls ohne
Schaden alle möglichen Desensivbündnifse abschließen kann, eine Allianz zu
aggressiven Vorgehen, an die der „Temps" doch wohl denkt, immer eine sehr
bedenkliche Sache für das Land sein würde. Frankreich ist stark und sicher, so
lauge Europa und vor allem Deutschland an seine Liebe zum Frieden glauben
kann. Jede Erschütterung dieses Glaubens wurde die vielen Schwächen, mit
denen die junge Republik jenseits des Wasgenwaldes noch behaftet ist, sehr bald
hervortreten lasten.

Verständige französische Blätter erkennen das anch an. So sagt im Gegen¬
satz zum „Temps" und zum „Journal des Dubats," das ähnliches Gerede wie
dieser vorbringt, der „National": „Die Chimäre, daß wir unser Ansehen in der
Welt durch diplomatische Allianzen wiedergewinnen könnten, halten wir für den
gefährlichsten Irrtum, den wir zu begehen vermöchten. Fürwahr, wenn wir
auf irgend ein Land zählen dürfen, weil Gewalt der Interessen, Mißgunst und
Haß es gegen Deutschland treiben, so ist eS Rußland. Aber heute wie gestern
weisen wir eine unmittelbare Verstüudiguug init dieser Macht entschieden zrirück; wir
haben dem ehrlich gemeinten Entgegenkommen des Generals Skobeleff so wenig
Gehör schenken wollen als den zweideutigen Versprechungen des Fürsten Gor-
tschakoff. . . Warum uns die Hände binden? Seitdem die alten monarchischen
Traditionen verloren gegangen sind, giebt es besondere Annäherungen zwischen
den Völkern nur für bestimmte Fülle und Zwecke... Was Hütten wir hier von
England und welche Gegenleistung hätten wir England zu bieten? Wir sehen wohl,


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[0540] Die Aonferenzgerüchte und der ägyptische Krieg. Und nun der Vorschlag einer englisch-französischen Allianz, die ihre Spitze gegen Deutschland richtet. „Nichts ist nützlicher als das Bündnis des Menschen mit dein Pferde," sagte Metternich 1835 zu Se. Aulaire, als sie von dem englisch¬ französischen Zusammengehen sprachen, „aber man muß der Mensch sein und nicht das Pferd." Wer aber war im Krimkriege der Mensch und wer das Pferd? Weiß der Verfasser des Artikels im „Temps" nicht, daß England nnr Bündnisse zu ganz bestimmten Zwecken schließt, die mit seinen Interessen zu¬ sammenfallen, und daß eine Schwächling und Herabdrückung der Macht und des Einflusses Dentschlands, wie sie die Franzosen wünschen, durchaus nicht im Juteresse der Engländer liegt? „Großes Heil ist der Welt wiederfahren!" rief ein hervorragender britischer Staatsmann, als er den Abschluß des Bündnisses zwischen Deutschland mW Österreich-Ungarn erfahren hatte, und England sollte sich gegen dasselbe mit Frankreich zu alliiren gewillt sein? Eine" dualistische Spaltung Europas, welche die Westmächte als geschlossene Macht der Gruppe der drei Ostmächte gegenüberstellte, würde das politische Gleichgewicht offenbar mehr gefährden als erhalten; es wäre die erste, aber zugleich die bedenklichste Untergrabung der europäische» Friedensbürgschaften, dn es nicht schwer sein würde, als Seele der westlichen Gruppe den Nevauchegedanken zu erkennen. Wolle man in Frankreich doch das Kapitel von der internationalen Klugheit nachlesen. Man wird da finden, daß, während Frankreich mit Nutzen, jedenfalls ohne Schaden alle möglichen Desensivbündnifse abschließen kann, eine Allianz zu aggressiven Vorgehen, an die der „Temps" doch wohl denkt, immer eine sehr bedenkliche Sache für das Land sein würde. Frankreich ist stark und sicher, so lauge Europa und vor allem Deutschland an seine Liebe zum Frieden glauben kann. Jede Erschütterung dieses Glaubens wurde die vielen Schwächen, mit denen die junge Republik jenseits des Wasgenwaldes noch behaftet ist, sehr bald hervortreten lasten. Verständige französische Blätter erkennen das anch an. So sagt im Gegen¬ satz zum „Temps" und zum „Journal des Dubats," das ähnliches Gerede wie dieser vorbringt, der „National": „Die Chimäre, daß wir unser Ansehen in der Welt durch diplomatische Allianzen wiedergewinnen könnten, halten wir für den gefährlichsten Irrtum, den wir zu begehen vermöchten. Fürwahr, wenn wir auf irgend ein Land zählen dürfen, weil Gewalt der Interessen, Mißgunst und Haß es gegen Deutschland treiben, so ist eS Rußland. Aber heute wie gestern weisen wir eine unmittelbare Verstüudiguug init dieser Macht entschieden zrirück; wir haben dem ehrlich gemeinten Entgegenkommen des Generals Skobeleff so wenig Gehör schenken wollen als den zweideutigen Versprechungen des Fürsten Gor- tschakoff. . . Warum uns die Hände binden? Seitdem die alten monarchischen Traditionen verloren gegangen sind, giebt es besondere Annäherungen zwischen den Völkern nur für bestimmte Fülle und Zwecke... Was Hütten wir hier von England und welche Gegenleistung hätten wir England zu bieten? Wir sehen wohl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/540>, abgerufen am 22.07.2024.