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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Kommen Sie, mein Freund, und fahren Sie rasch in Ihre Kleider und Ihre
sonstige Montur; denn Fran Anderson liegt im Sterben oder thut, als ob Sie
sterben wollte, und Sie sollen ihr eine Tasse Ginsengthee oder ein Maisschwitz-
t>ud oder ein anderes Gebrün der Heilkunst bereiten. Kommen Sie, ich habe
zwei Pferde mitgebracht, damit Sie keine Zeit damit verlieren sollen, daß Sie das
Ihrige satteln, obschon ich nicht daran zweifle, daß die Alte wieder gesund werden
würde, wenn Sie ihr anch niemals das Licht Ihres freundlichen Gesichts zu¬
wendeten. Sie würde zum Trotze wieder gesund werden und dann einen Kn-
lvmeldoktor annehmen, rein um Sie vor Ärger toll zu machen. Ich möchte
ebensogewiß und noch ein bischen gewisser annehmen, daß eine weibliche Wespe
am Herzschläge sterben könnte als die.

Der Kopf Doktor Ketchups war etwa in der Mitte dieser Rede aus dem
Fenster verschwunden, nud der Nest derselben ergoß sich rein durch die Kraft
innern Druckes wie der Strom eiues artesische" Brunnens.

Doktor Ketchup kam mit gesträubter Würde heraus, sorgfältig gekleidet. Seine
untadelige Kleidung und sein feierliches Gesicht waren die beiden Hälften des
Kapitals, mit dem er arbeitete. Unter den Kleidern lag Ketchup, der Grob-
schmied, begraben, und unter dem weise dreinblickendeu Gesichte verbarg sich
Ketchup, der Nichtswisser. Er war ein Nichtswisser, aber kein Dummkopf. Als
er mit Jonas zurückritt, holte er deu letzteren mit Fragen aus. Konnte er
von Jonas die Umstände des Krankheitsfalles erfahren, so wollte er thun, als
hätte er sie aus deu Symptomen erraten, und so den Glauben an sich ver¬
stärken.

Was veranlaßte diesen Aufall, Jonas?

Glaube, sie selber veranlaßte ihn. Geschieht in der Regel so, mein Freund,
erwiederte Jonas.

War etwas vorgekommen, was sie aufregte?

Na ja, glaube, sie haben sie aufgeregt. Bedeutend, wenn nicht noch
mehr.'

Was wars denn?

Na, sehen Sie, sie war in Hankinsen seinen Predigten gewesen. Nun glcinbe
ich, mein ärztlicher Freund, daß das jüngste Gericht keine angenehme Aussicht
für jemanden ist, der deu einen Vrnder beiseite gestoßen hat, um deu andern
zu freien, und der dann den beiseite gestoßenen um seine" Anteil am Erbgnte
des vielbeklagteu Vaters belämmert hat. Denken Sie uicht auch so, mein ge¬
lehrter Freund?

Aber Doktor Ketchup war nicht sicher, ob Jonas uicht seinen Schabernack
mit ihm trieb, und so sprach er vou etwas anderen."

nettes Pferd, dieser Braune, versetzte der "Doktor.

Nun ja, sagte Jonas. Glaube nicht, daß isle jemals einem bessern Gaule
Schuhe angepaßt haben die ganze Zeit über, wo Sie Hufschmied waren. Oder
war es anders, "nein medizuiischer Freund?

Nein, ich denke uicht, erwiederte Ketchup verdrießlich und schwieg fortan.

(Forschung folgt.)




Fitr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Carl Marqunrt in Reuduitz-Leipzig.
Der jüngste Tag.

Kommen Sie, mein Freund, und fahren Sie rasch in Ihre Kleider und Ihre
sonstige Montur; denn Fran Anderson liegt im Sterben oder thut, als ob Sie
sterben wollte, und Sie sollen ihr eine Tasse Ginsengthee oder ein Maisschwitz-
t>ud oder ein anderes Gebrün der Heilkunst bereiten. Kommen Sie, ich habe
zwei Pferde mitgebracht, damit Sie keine Zeit damit verlieren sollen, daß Sie das
Ihrige satteln, obschon ich nicht daran zweifle, daß die Alte wieder gesund werden
würde, wenn Sie ihr anch niemals das Licht Ihres freundlichen Gesichts zu¬
wendeten. Sie würde zum Trotze wieder gesund werden und dann einen Kn-
lvmeldoktor annehmen, rein um Sie vor Ärger toll zu machen. Ich möchte
ebensogewiß und noch ein bischen gewisser annehmen, daß eine weibliche Wespe
am Herzschläge sterben könnte als die.

Der Kopf Doktor Ketchups war etwa in der Mitte dieser Rede aus dem
Fenster verschwunden, nud der Nest derselben ergoß sich rein durch die Kraft
innern Druckes wie der Strom eiues artesische« Brunnens.

Doktor Ketchup kam mit gesträubter Würde heraus, sorgfältig gekleidet. Seine
untadelige Kleidung und sein feierliches Gesicht waren die beiden Hälften des
Kapitals, mit dem er arbeitete. Unter den Kleidern lag Ketchup, der Grob-
schmied, begraben, und unter dem weise dreinblickendeu Gesichte verbarg sich
Ketchup, der Nichtswisser. Er war ein Nichtswisser, aber kein Dummkopf. Als
er mit Jonas zurückritt, holte er deu letzteren mit Fragen aus. Konnte er
von Jonas die Umstände des Krankheitsfalles erfahren, so wollte er thun, als
hätte er sie aus deu Symptomen erraten, und so den Glauben an sich ver¬
stärken.

Was veranlaßte diesen Aufall, Jonas?

Glaube, sie selber veranlaßte ihn. Geschieht in der Regel so, mein Freund,
erwiederte Jonas.

War etwas vorgekommen, was sie aufregte?

Na ja, glaube, sie haben sie aufgeregt. Bedeutend, wenn nicht noch
mehr.'

Was wars denn?

Na, sehen Sie, sie war in Hankinsen seinen Predigten gewesen. Nun glcinbe
ich, mein ärztlicher Freund, daß das jüngste Gericht keine angenehme Aussicht
für jemanden ist, der deu einen Vrnder beiseite gestoßen hat, um deu andern
zu freien, und der dann den beiseite gestoßenen um seine» Anteil am Erbgnte
des vielbeklagteu Vaters belämmert hat. Denken Sie uicht auch so, mein ge¬
lehrter Freund?

Aber Doktor Ketchup war nicht sicher, ob Jonas uicht seinen Schabernack
mit ihm trieb, und so sprach er vou etwas anderen."

nettes Pferd, dieser Braune, versetzte der „Doktor.

Nun ja, sagte Jonas. Glaube nicht, daß isle jemals einem bessern Gaule
Schuhe angepaßt haben die ganze Zeit über, wo Sie Hufschmied waren. Oder
war es anders, »nein medizuiischer Freund?

Nein, ich denke uicht, erwiederte Ketchup verdrießlich und schwieg fortan.

(Forschung folgt.)




Fitr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Carl Marqunrt in Reuduitz-Leipzig.
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[0536] Der jüngste Tag. Kommen Sie, mein Freund, und fahren Sie rasch in Ihre Kleider und Ihre sonstige Montur; denn Fran Anderson liegt im Sterben oder thut, als ob Sie sterben wollte, und Sie sollen ihr eine Tasse Ginsengthee oder ein Maisschwitz- t>ud oder ein anderes Gebrün der Heilkunst bereiten. Kommen Sie, ich habe zwei Pferde mitgebracht, damit Sie keine Zeit damit verlieren sollen, daß Sie das Ihrige satteln, obschon ich nicht daran zweifle, daß die Alte wieder gesund werden würde, wenn Sie ihr anch niemals das Licht Ihres freundlichen Gesichts zu¬ wendeten. Sie würde zum Trotze wieder gesund werden und dann einen Kn- lvmeldoktor annehmen, rein um Sie vor Ärger toll zu machen. Ich möchte ebensogewiß und noch ein bischen gewisser annehmen, daß eine weibliche Wespe am Herzschläge sterben könnte als die. Der Kopf Doktor Ketchups war etwa in der Mitte dieser Rede aus dem Fenster verschwunden, nud der Nest derselben ergoß sich rein durch die Kraft innern Druckes wie der Strom eiues artesische« Brunnens. Doktor Ketchup kam mit gesträubter Würde heraus, sorgfältig gekleidet. Seine untadelige Kleidung und sein feierliches Gesicht waren die beiden Hälften des Kapitals, mit dem er arbeitete. Unter den Kleidern lag Ketchup, der Grob- schmied, begraben, und unter dem weise dreinblickendeu Gesichte verbarg sich Ketchup, der Nichtswisser. Er war ein Nichtswisser, aber kein Dummkopf. Als er mit Jonas zurückritt, holte er deu letzteren mit Fragen aus. Konnte er von Jonas die Umstände des Krankheitsfalles erfahren, so wollte er thun, als hätte er sie aus deu Symptomen erraten, und so den Glauben an sich ver¬ stärken. Was veranlaßte diesen Aufall, Jonas? Glaube, sie selber veranlaßte ihn. Geschieht in der Regel so, mein Freund, erwiederte Jonas. War etwas vorgekommen, was sie aufregte? Na ja, glaube, sie haben sie aufgeregt. Bedeutend, wenn nicht noch mehr.' Was wars denn? Na, sehen Sie, sie war in Hankinsen seinen Predigten gewesen. Nun glcinbe ich, mein ärztlicher Freund, daß das jüngste Gericht keine angenehme Aussicht für jemanden ist, der deu einen Vrnder beiseite gestoßen hat, um deu andern zu freien, und der dann den beiseite gestoßenen um seine» Anteil am Erbgnte des vielbeklagteu Vaters belämmert hat. Denken Sie uicht auch so, mein ge¬ lehrter Freund? Aber Doktor Ketchup war nicht sicher, ob Jonas uicht seinen Schabernack mit ihm trieb, und so sprach er vou etwas anderen." nettes Pferd, dieser Braune, versetzte der „Doktor. Nun ja, sagte Jonas. Glaube nicht, daß isle jemals einem bessern Gaule Schuhe angepaßt haben die ganze Zeit über, wo Sie Hufschmied waren. Oder war es anders, »nein medizuiischer Freund? Nein, ich denke uicht, erwiederte Ketchup verdrießlich und schwieg fortan. (Forschung folgt.) Fitr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Carl Marqunrt in Reuduitz-Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/536>, abgerufen am 01.07.2024.