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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ser jüngste Tag.

Samuel, willst du dulden, daß man mich in dieser Weise beleidigt? Willst
du diesen Einbrecher aus dem Hause entfernen?

Das "Haupt des Hauses" versuchte, aus diese Art zur Hilfe gerufen, wichtig
auszusehen, er versuchte, größer zu erscheinen und mutiger aufzutreten, als er
war. Aber August anzurühren, wagte er nicht.

Herr Anderson, sagte August, jetzt bitte ich Sie um Verzeihung. Ich hatte
kein Recht, so hereinzukommen, wie ich gekommen bin. Hätte ich nicht gewußt,
daß dieser feige Laffe -- ich weiß nicht, was er sonst noch ist -- mir dnrch
seine Lügen schadet, so würde ich nicht hergekommen sein. Wenn es ein Ver¬
brechen ist, eine junge Dame zu lieben, so habe ich ein Verbrechen begangen.
Sie haben nur Ihr Ansehen als Herr dieses Hauses zu gebrauchen und mich
aufzufordern, zu gehen.

Dazu fordere ich Sie wirklich nun ans, Herr Weste.

Es war das erstemal, daß Samuel Anderson ihn Herr Weste genannt
hatte. Es war ein unfreiwilliger Tribut an das würdige Benehmen des jungen
Mannes, der sich hier zu verantworten hatte.

Herr Weste, in der That! sagte Fran Anderson.

August hatte gehofft, Julia würde ein Wort zu seinen Gunsten sagen. Aber
die grimmige Leidenschaft ihrer Mutter hatte sie zu sehr eingeschüchtert. So
ging August Weste wie ein ins Gefängnis gehender Verbrecher, wie ein Mann,
der zu seinem eignen Begräbnis geht, den Gang entlang ans die Treppe zu,
welche hinter ihm war. Hnmphreys retirirte instinktmäßig auf sein Zimmer.
Fran Anderson warf dem jungen Manne, als er an ihr vorüberging, einen wut¬
funkelnden Blick zu, aber er wandte den Kopf selbst dann nicht, als er Julien
Pnssirte. Seine Hoffnung und sein Mut waren ganz dahin, in seiner Demü¬
tigung und Niederlage schien ihm als Stütze nichts geblieben als sein ungebrochner
Stolz. Er war zwei oder drei Stufen hinabgestiegen, als Julia plötzlich hinter
den andern vorschlüpfte und mit bebender Stimme sagte: Du wirst doch nicht
gehen, ohne mir Lebewohl zu sagen, August?

Julie Anderson, was meinst du damit? schrie ihre Mutter. Aber der Gang
war dicht bei der Treppe, und Jonas, der dicht neben Cynthy Ann stand, richtete
es offenbar ganz unabsichtlich so ein, daß er Fran Abigail den Weg-vertrat,
sonst würde sie gewaltthätig Hand an ihre Tochter gelegt haben.

Als August seine Augen erhob und ihr Gesicht voll Zärtlichkeit sah, und
sie ihm über das Geländer die Hand reichte, schien er plötzlich ans der Ver¬
dammnis zur Seligkeit entrückt zu sein. Die Thränen liefen ihm unaufhaltsam
über die Wangen, er griff hinauf nach ihrer Hand.

Lebe wohl, Julie! Gott segne dich! sagte er mit halberstickter Stimme, und
dann ging er hinaus in die Nacht, trotz alledem glücklich.




Ser jüngste Tag.

Samuel, willst du dulden, daß man mich in dieser Weise beleidigt? Willst
du diesen Einbrecher aus dem Hause entfernen?

Das „Haupt des Hauses" versuchte, aus diese Art zur Hilfe gerufen, wichtig
auszusehen, er versuchte, größer zu erscheinen und mutiger aufzutreten, als er
war. Aber August anzurühren, wagte er nicht.

Herr Anderson, sagte August, jetzt bitte ich Sie um Verzeihung. Ich hatte
kein Recht, so hereinzukommen, wie ich gekommen bin. Hätte ich nicht gewußt,
daß dieser feige Laffe — ich weiß nicht, was er sonst noch ist — mir dnrch
seine Lügen schadet, so würde ich nicht hergekommen sein. Wenn es ein Ver¬
brechen ist, eine junge Dame zu lieben, so habe ich ein Verbrechen begangen.
Sie haben nur Ihr Ansehen als Herr dieses Hauses zu gebrauchen und mich
aufzufordern, zu gehen.

Dazu fordere ich Sie wirklich nun ans, Herr Weste.

Es war das erstemal, daß Samuel Anderson ihn Herr Weste genannt
hatte. Es war ein unfreiwilliger Tribut an das würdige Benehmen des jungen
Mannes, der sich hier zu verantworten hatte.

Herr Weste, in der That! sagte Fran Anderson.

August hatte gehofft, Julia würde ein Wort zu seinen Gunsten sagen. Aber
die grimmige Leidenschaft ihrer Mutter hatte sie zu sehr eingeschüchtert. So
ging August Weste wie ein ins Gefängnis gehender Verbrecher, wie ein Mann,
der zu seinem eignen Begräbnis geht, den Gang entlang ans die Treppe zu,
welche hinter ihm war. Hnmphreys retirirte instinktmäßig auf sein Zimmer.
Fran Anderson warf dem jungen Manne, als er an ihr vorüberging, einen wut¬
funkelnden Blick zu, aber er wandte den Kopf selbst dann nicht, als er Julien
Pnssirte. Seine Hoffnung und sein Mut waren ganz dahin, in seiner Demü¬
tigung und Niederlage schien ihm als Stütze nichts geblieben als sein ungebrochner
Stolz. Er war zwei oder drei Stufen hinabgestiegen, als Julia plötzlich hinter
den andern vorschlüpfte und mit bebender Stimme sagte: Du wirst doch nicht
gehen, ohne mir Lebewohl zu sagen, August?

Julie Anderson, was meinst du damit? schrie ihre Mutter. Aber der Gang
war dicht bei der Treppe, und Jonas, der dicht neben Cynthy Ann stand, richtete
es offenbar ganz unabsichtlich so ein, daß er Fran Abigail den Weg-vertrat,
sonst würde sie gewaltthätig Hand an ihre Tochter gelegt haben.

Als August seine Augen erhob und ihr Gesicht voll Zärtlichkeit sah, und
sie ihm über das Geländer die Hand reichte, schien er plötzlich ans der Ver¬
dammnis zur Seligkeit entrückt zu sein. Die Thränen liefen ihm unaufhaltsam
über die Wangen, er griff hinauf nach ihrer Hand.

Lebe wohl, Julie! Gott segne dich! sagte er mit halberstickter Stimme, und
dann ging er hinaus in die Nacht, trotz alledem glücklich.




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[0531] Ser jüngste Tag. Samuel, willst du dulden, daß man mich in dieser Weise beleidigt? Willst du diesen Einbrecher aus dem Hause entfernen? Das „Haupt des Hauses" versuchte, aus diese Art zur Hilfe gerufen, wichtig auszusehen, er versuchte, größer zu erscheinen und mutiger aufzutreten, als er war. Aber August anzurühren, wagte er nicht. Herr Anderson, sagte August, jetzt bitte ich Sie um Verzeihung. Ich hatte kein Recht, so hereinzukommen, wie ich gekommen bin. Hätte ich nicht gewußt, daß dieser feige Laffe — ich weiß nicht, was er sonst noch ist — mir dnrch seine Lügen schadet, so würde ich nicht hergekommen sein. Wenn es ein Ver¬ brechen ist, eine junge Dame zu lieben, so habe ich ein Verbrechen begangen. Sie haben nur Ihr Ansehen als Herr dieses Hauses zu gebrauchen und mich aufzufordern, zu gehen. Dazu fordere ich Sie wirklich nun ans, Herr Weste. Es war das erstemal, daß Samuel Anderson ihn Herr Weste genannt hatte. Es war ein unfreiwilliger Tribut an das würdige Benehmen des jungen Mannes, der sich hier zu verantworten hatte. Herr Weste, in der That! sagte Fran Anderson. August hatte gehofft, Julia würde ein Wort zu seinen Gunsten sagen. Aber die grimmige Leidenschaft ihrer Mutter hatte sie zu sehr eingeschüchtert. So ging August Weste wie ein ins Gefängnis gehender Verbrecher, wie ein Mann, der zu seinem eignen Begräbnis geht, den Gang entlang ans die Treppe zu, welche hinter ihm war. Hnmphreys retirirte instinktmäßig auf sein Zimmer. Fran Anderson warf dem jungen Manne, als er an ihr vorüberging, einen wut¬ funkelnden Blick zu, aber er wandte den Kopf selbst dann nicht, als er Julien Pnssirte. Seine Hoffnung und sein Mut waren ganz dahin, in seiner Demü¬ tigung und Niederlage schien ihm als Stütze nichts geblieben als sein ungebrochner Stolz. Er war zwei oder drei Stufen hinabgestiegen, als Julia plötzlich hinter den andern vorschlüpfte und mit bebender Stimme sagte: Du wirst doch nicht gehen, ohne mir Lebewohl zu sagen, August? Julie Anderson, was meinst du damit? schrie ihre Mutter. Aber der Gang war dicht bei der Treppe, und Jonas, der dicht neben Cynthy Ann stand, richtete es offenbar ganz unabsichtlich so ein, daß er Fran Abigail den Weg-vertrat, sonst würde sie gewaltthätig Hand an ihre Tochter gelegt haben. Als August seine Augen erhob und ihr Gesicht voll Zärtlichkeit sah, und sie ihm über das Geländer die Hand reichte, schien er plötzlich ans der Ver¬ dammnis zur Seligkeit entrückt zu sein. Die Thränen liefen ihm unaufhaltsam über die Wangen, er griff hinauf nach ihrer Hand. Lebe wohl, Julie! Gott segne dich! sagte er mit halberstickter Stimme, und dann ging er hinaus in die Nacht, trotz alledem glücklich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/531>, abgerufen am 22.07.2024.