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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträgor.

den rechten Weg fand wie er? Oder war das Denken, mit dem er seinen Kopf
zerbrach, mich nur ein Teil dieses inneren Triebes und seinem Zwecke nach un¬
bekannt wie aller Handlungen Zweck und Ziel? War die Reihenfolge der Ideen,
die den Menschen von Kindheit um bis zum Alter in entwickelter Stufenfolge
begleiten, etwa nur eine Art von Kerbholz, um die Thorheiten darauf anzu¬
merken, die durch Nichtbefolgung der logischen Folgerungen entstanden? Ein
Kerbholz, dessen Nutzen erst offenbar wurde, wenn der Teil des Menschen ver¬
schwunden war, der sich in Handlungen zeigt, nämlich der Körper?

Ephraim war in solche Gedanken hinein verirrt, indem er sich klar machte,
daß Flörchen vielleicht, doch die Frau Rätin niemals den Grundsätzen der Essäer
zugänglich sein würde. Und selbst Flörchen würde schwerlich dauernd der Meinung
bleiben, daß ihr Liebesverhältnis auf der Höhe bleiben müsse, um beiden Teilen
dienlich sein zu können. Er fühlte, daß bei aller Toleranz hinsichtlich des ge¬
sellschaftlichen Umgangs und trotz der erfreulichen Freiheit von manchen Fesseln
und Fallstricken der Berliner Konvcnienz, doch in den Familien Schaible und
Gmelin die Meinung unumstößlich feststehe, heiraten sei für die Töchter des
Hauses nicht nur jeder Art von freiem Liebesbünde vorzuziehen, sondern sogar
ihre eigentliche und wahre Bestimmung. Und indem er fest entschlossen war,
Flörchen niemals zu heiraten, konnte er doch nnr mit Beängstigung an eine
Trennung von ihr denken und fühlte, daß er, dein Strome der Begebenheiten
folgend, unrettbar den? Riff einer förmlichen Verlobung zutreibe.

Er ging schweigsam seines Weges dahin unter dem Sternenhimmel, und
Flörchen hing mit fröhlichem Geplauder an seinein Arme. Es war nicht der
geringste Teil der Annehmlichkeit ihres Umgangs, daß sie seinem Schweigen
keine verletzende Seite abgewann, sondern just so gesprächig blieb, als wenn sie
immer Antworten auf ihre Bemerkungen erhalten hätte, und nur zuweilen
scherzend seinen Mund mit Küssen zu entsiegeln suchte. So hatte sie auch heute
gethan, als sie ihn in tiefem Sinnen vor einer Sonnenblume fand. Er blickte
Flörchen mit seinen schwernnitigen Augen träumend um, als sie ihn küßte und
damit die Betrachtung der regelmäßigen Zeichnung der Blume unterbrach.

Die alten Griechen waren der Meinung, sagte er, daß die Gottheit nur
Geometrie treibe. Was denkst du davon?

Flörchen lachte und schüttelte ihr glänzendes Haar. Er aber dachte weiter
über die Beschäftigung der Gottheit nach, und das Bild des Sternenhimmels
unterstützte seine Gedanken.

So hatten sie eine Wegstrecke am Saume schön bewaldeter Hügel zurück¬
gelegt und gelangten auf eine Höhe, von welcher sie in das Thal hinabsteigen
wollten, als ein zauberischer Klang durch die weiche, klare Luft zu ihnen drang
und ihre Schritte fesselte. Es war ein wunderbares Tönen, das keine Ähn¬
lichkeit zu haben schien mit der Musik, die sonst von Menschen hervorgebracht
wird, und von dein man glauben konnte, es donc vom Himmel herab aus den


Bakchen und Thyrsosträgor.

den rechten Weg fand wie er? Oder war das Denken, mit dem er seinen Kopf
zerbrach, mich nur ein Teil dieses inneren Triebes und seinem Zwecke nach un¬
bekannt wie aller Handlungen Zweck und Ziel? War die Reihenfolge der Ideen,
die den Menschen von Kindheit um bis zum Alter in entwickelter Stufenfolge
begleiten, etwa nur eine Art von Kerbholz, um die Thorheiten darauf anzu¬
merken, die durch Nichtbefolgung der logischen Folgerungen entstanden? Ein
Kerbholz, dessen Nutzen erst offenbar wurde, wenn der Teil des Menschen ver¬
schwunden war, der sich in Handlungen zeigt, nämlich der Körper?

Ephraim war in solche Gedanken hinein verirrt, indem er sich klar machte,
daß Flörchen vielleicht, doch die Frau Rätin niemals den Grundsätzen der Essäer
zugänglich sein würde. Und selbst Flörchen würde schwerlich dauernd der Meinung
bleiben, daß ihr Liebesverhältnis auf der Höhe bleiben müsse, um beiden Teilen
dienlich sein zu können. Er fühlte, daß bei aller Toleranz hinsichtlich des ge¬
sellschaftlichen Umgangs und trotz der erfreulichen Freiheit von manchen Fesseln
und Fallstricken der Berliner Konvcnienz, doch in den Familien Schaible und
Gmelin die Meinung unumstößlich feststehe, heiraten sei für die Töchter des
Hauses nicht nur jeder Art von freiem Liebesbünde vorzuziehen, sondern sogar
ihre eigentliche und wahre Bestimmung. Und indem er fest entschlossen war,
Flörchen niemals zu heiraten, konnte er doch nnr mit Beängstigung an eine
Trennung von ihr denken und fühlte, daß er, dein Strome der Begebenheiten
folgend, unrettbar den? Riff einer förmlichen Verlobung zutreibe.

Er ging schweigsam seines Weges dahin unter dem Sternenhimmel, und
Flörchen hing mit fröhlichem Geplauder an seinein Arme. Es war nicht der
geringste Teil der Annehmlichkeit ihres Umgangs, daß sie seinem Schweigen
keine verletzende Seite abgewann, sondern just so gesprächig blieb, als wenn sie
immer Antworten auf ihre Bemerkungen erhalten hätte, und nur zuweilen
scherzend seinen Mund mit Küssen zu entsiegeln suchte. So hatte sie auch heute
gethan, als sie ihn in tiefem Sinnen vor einer Sonnenblume fand. Er blickte
Flörchen mit seinen schwernnitigen Augen träumend um, als sie ihn küßte und
damit die Betrachtung der regelmäßigen Zeichnung der Blume unterbrach.

Die alten Griechen waren der Meinung, sagte er, daß die Gottheit nur
Geometrie treibe. Was denkst du davon?

Flörchen lachte und schüttelte ihr glänzendes Haar. Er aber dachte weiter
über die Beschäftigung der Gottheit nach, und das Bild des Sternenhimmels
unterstützte seine Gedanken.

So hatten sie eine Wegstrecke am Saume schön bewaldeter Hügel zurück¬
gelegt und gelangten auf eine Höhe, von welcher sie in das Thal hinabsteigen
wollten, als ein zauberischer Klang durch die weiche, klare Luft zu ihnen drang
und ihre Schritte fesselte. Es war ein wunderbares Tönen, das keine Ähn¬
lichkeit zu haben schien mit der Musik, die sonst von Menschen hervorgebracht
wird, und von dein man glauben konnte, es donc vom Himmel herab aus den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/53>, abgerufen am 03.07.2024.