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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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(Lharlotte von Kalb und Jean Paul.

thätig und ordnend stand ich einem Hauswesen vor, wo mehr als dreißig Per¬
sonen Nahrung und Aufsicht forderten. Mir schien jede Thätigkeit im Leben
und selbst das Sterben so leicht, daß ich nichts für schwer achtete lind fürchtete
als die Geduld. Und dieser ernsten, strengen, stummen, lieblosen und tötenden
Gewalt habe ich mein Lebelang dienen müssen."

Wird mit dieser Äußerung manches in Chnrlottes hastigem, sprunghafter:
ans dem schwungvollen ins Triviale znrmlfällendem Wesen klar, so bleibt vieles
auch darnach noch unverständlich. Die eigentümliche Art von Unnatur, die
wir bei dieser Fran bis in ihren Pretiosen, geschraubten Stil hinein wahr¬
nehmen, muß ihre ganz besondern Ursachen haben. Charlotte reprnsentirt hier
eine Seite der Sturm- und Drangperiode, welche bei dein allgemeinen Rufe
nach Natur und Wirklichkeit nicht sehr zur Geltung gekommen war und welche
im Grunde erst in Jean Paris Romanen oder besser in den empfindsamen und
überschwänglichen Partieen dieser Romane ihre Rechnung sand. Sie vermochte
daher Jean Pauls Talent als ein völlig kongeniales aufzufassen; nichts spricht
mehr dafür als die Vriesreihe aus den Jahren 1798 und 1799, den eigentlich
kritischen in dem wundersamen Verhältnis. Gewisse Stellen in jenen Briefen
scheinen zu gleicher Zeit von tiefster Empfindung und von krankhafter Sucht
nach Ungewöhnlichem diktirt zu sein. "Selige Unsre! glücklicher Otto," schreibt
sie im Januar 1799. "Wenn mein Traum Wahrheit wurde und dreimal
glücklich und selig ich! Ohne Euch werde ich bald von seinenr Herzen verbannt
sein. Er tritt in eine andere Welt, die meiner nicht bedarf, die ich nicht bedarf.
Er tritt in eine Welt, die schou geschaffen ist, und nicht allbeseligt. Er kann
eine Welt schaffen, die er beseligen kann, und wir brauchen keine Götter neben
ihm. Er erkennt die Geister, die waren und sein werden. Aber ich vernehme
auch den leisesten Laut, aus welcher Tiefe der Seele er auch entschlüpft. Darum
bin ich so gern allein, weil ich ganz andere Dinge höre, wie die Getäuschten
oder die Unbescheidenen anzeigen. Nur bei Euch werde ich aufgenommen, von
Euch werde ich erkannt sein, uur von Euch wird er geliebt. -- -- Sollen die
uus fremden, die er sein nennen wird, mit Gunst und Gnade auf uus, auf
mich blicken? Soll das heiligste zum frechen Spott werden wie es scholl ist?
Denn ich höre den leisesten Laut, der aus der Tiefe der Seele kommt!!" Und
am 6. Januar: "Ich lese in meinen Briefen, ich mag schreibell was ich will,
uur die Worte: Halte meine Seele fest, dann will ich den Flug ins Unend¬
liche wagen! Ich will nichts, aber Dir will ich das Ölblatt und den Myrteu-
zweig bringen und Violen und Rosen um Dein Haupt windeii. Die Sorge
soll entfliehen und die Innigkeit soll jeden Augenblick des Lebens -- er mag
Namen haben wie er will, mit gleichem Wort fassen; und Dein Vertrauen,
Deine Erinnerungen, die Du nur giebst, sollen gleich einer Perlenschnur seliger
bereichernder Ideen in meiner Seele verwahrt sein. Und nur Du sollst mich
immer schöner dadurch geschmückt erblicken." Dann im Februar: "Nenne mich


(Lharlotte von Kalb und Jean Paul.

thätig und ordnend stand ich einem Hauswesen vor, wo mehr als dreißig Per¬
sonen Nahrung und Aufsicht forderten. Mir schien jede Thätigkeit im Leben
und selbst das Sterben so leicht, daß ich nichts für schwer achtete lind fürchtete
als die Geduld. Und dieser ernsten, strengen, stummen, lieblosen und tötenden
Gewalt habe ich mein Lebelang dienen müssen."

Wird mit dieser Äußerung manches in Chnrlottes hastigem, sprunghafter:
ans dem schwungvollen ins Triviale znrmlfällendem Wesen klar, so bleibt vieles
auch darnach noch unverständlich. Die eigentümliche Art von Unnatur, die
wir bei dieser Fran bis in ihren Pretiosen, geschraubten Stil hinein wahr¬
nehmen, muß ihre ganz besondern Ursachen haben. Charlotte reprnsentirt hier
eine Seite der Sturm- und Drangperiode, welche bei dein allgemeinen Rufe
nach Natur und Wirklichkeit nicht sehr zur Geltung gekommen war und welche
im Grunde erst in Jean Paris Romanen oder besser in den empfindsamen und
überschwänglichen Partieen dieser Romane ihre Rechnung sand. Sie vermochte
daher Jean Pauls Talent als ein völlig kongeniales aufzufassen; nichts spricht
mehr dafür als die Vriesreihe aus den Jahren 1798 und 1799, den eigentlich
kritischen in dem wundersamen Verhältnis. Gewisse Stellen in jenen Briefen
scheinen zu gleicher Zeit von tiefster Empfindung und von krankhafter Sucht
nach Ungewöhnlichem diktirt zu sein. „Selige Unsre! glücklicher Otto," schreibt
sie im Januar 1799. „Wenn mein Traum Wahrheit wurde und dreimal
glücklich und selig ich! Ohne Euch werde ich bald von seinenr Herzen verbannt
sein. Er tritt in eine andere Welt, die meiner nicht bedarf, die ich nicht bedarf.
Er tritt in eine Welt, die schou geschaffen ist, und nicht allbeseligt. Er kann
eine Welt schaffen, die er beseligen kann, und wir brauchen keine Götter neben
ihm. Er erkennt die Geister, die waren und sein werden. Aber ich vernehme
auch den leisesten Laut, aus welcher Tiefe der Seele er auch entschlüpft. Darum
bin ich so gern allein, weil ich ganz andere Dinge höre, wie die Getäuschten
oder die Unbescheidenen anzeigen. Nur bei Euch werde ich aufgenommen, von
Euch werde ich erkannt sein, uur von Euch wird er geliebt. — — Sollen die
uus fremden, die er sein nennen wird, mit Gunst und Gnade auf uus, auf
mich blicken? Soll das heiligste zum frechen Spott werden wie es scholl ist?
Denn ich höre den leisesten Laut, der aus der Tiefe der Seele kommt!!" Und
am 6. Januar: „Ich lese in meinen Briefen, ich mag schreibell was ich will,
uur die Worte: Halte meine Seele fest, dann will ich den Flug ins Unend¬
liche wagen! Ich will nichts, aber Dir will ich das Ölblatt und den Myrteu-
zweig bringen und Violen und Rosen um Dein Haupt windeii. Die Sorge
soll entfliehen und die Innigkeit soll jeden Augenblick des Lebens — er mag
Namen haben wie er will, mit gleichem Wort fassen; und Dein Vertrauen,
Deine Erinnerungen, die Du nur giebst, sollen gleich einer Perlenschnur seliger
bereichernder Ideen in meiner Seele verwahrt sein. Und nur Du sollst mich
immer schöner dadurch geschmückt erblicken." Dann im Februar: „Nenne mich


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[0520] (Lharlotte von Kalb und Jean Paul. thätig und ordnend stand ich einem Hauswesen vor, wo mehr als dreißig Per¬ sonen Nahrung und Aufsicht forderten. Mir schien jede Thätigkeit im Leben und selbst das Sterben so leicht, daß ich nichts für schwer achtete lind fürchtete als die Geduld. Und dieser ernsten, strengen, stummen, lieblosen und tötenden Gewalt habe ich mein Lebelang dienen müssen." Wird mit dieser Äußerung manches in Chnrlottes hastigem, sprunghafter: ans dem schwungvollen ins Triviale znrmlfällendem Wesen klar, so bleibt vieles auch darnach noch unverständlich. Die eigentümliche Art von Unnatur, die wir bei dieser Fran bis in ihren Pretiosen, geschraubten Stil hinein wahr¬ nehmen, muß ihre ganz besondern Ursachen haben. Charlotte reprnsentirt hier eine Seite der Sturm- und Drangperiode, welche bei dein allgemeinen Rufe nach Natur und Wirklichkeit nicht sehr zur Geltung gekommen war und welche im Grunde erst in Jean Paris Romanen oder besser in den empfindsamen und überschwänglichen Partieen dieser Romane ihre Rechnung sand. Sie vermochte daher Jean Pauls Talent als ein völlig kongeniales aufzufassen; nichts spricht mehr dafür als die Vriesreihe aus den Jahren 1798 und 1799, den eigentlich kritischen in dem wundersamen Verhältnis. Gewisse Stellen in jenen Briefen scheinen zu gleicher Zeit von tiefster Empfindung und von krankhafter Sucht nach Ungewöhnlichem diktirt zu sein. „Selige Unsre! glücklicher Otto," schreibt sie im Januar 1799. „Wenn mein Traum Wahrheit wurde und dreimal glücklich und selig ich! Ohne Euch werde ich bald von seinenr Herzen verbannt sein. Er tritt in eine andere Welt, die meiner nicht bedarf, die ich nicht bedarf. Er tritt in eine Welt, die schou geschaffen ist, und nicht allbeseligt. Er kann eine Welt schaffen, die er beseligen kann, und wir brauchen keine Götter neben ihm. Er erkennt die Geister, die waren und sein werden. Aber ich vernehme auch den leisesten Laut, aus welcher Tiefe der Seele er auch entschlüpft. Darum bin ich so gern allein, weil ich ganz andere Dinge höre, wie die Getäuschten oder die Unbescheidenen anzeigen. Nur bei Euch werde ich aufgenommen, von Euch werde ich erkannt sein, uur von Euch wird er geliebt. — — Sollen die uus fremden, die er sein nennen wird, mit Gunst und Gnade auf uus, auf mich blicken? Soll das heiligste zum frechen Spott werden wie es scholl ist? Denn ich höre den leisesten Laut, der aus der Tiefe der Seele kommt!!" Und am 6. Januar: „Ich lese in meinen Briefen, ich mag schreibell was ich will, uur die Worte: Halte meine Seele fest, dann will ich den Flug ins Unend¬ liche wagen! Ich will nichts, aber Dir will ich das Ölblatt und den Myrteu- zweig bringen und Violen und Rosen um Dein Haupt windeii. Die Sorge soll entfliehen und die Innigkeit soll jeden Augenblick des Lebens — er mag Namen haben wie er will, mit gleichem Wort fassen; und Dein Vertrauen, Deine Erinnerungen, die Du nur giebst, sollen gleich einer Perlenschnur seliger bereichernder Ideen in meiner Seele verwahrt sein. Und nur Du sollst mich immer schöner dadurch geschmückt erblicken." Dann im Februar: „Nenne mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/520>, abgerufen am 23.07.2024.