Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Richard lvagners parsifal.

Elemente mir gedacht werden kann, kommen ihre Leitmotive leibhaftig und trocken.
Das ist doch nnr ein Wink für ganz plumpe Naturen. Es zersplittert die Auf¬
merksamkeit und hindert die Zuhörer an der Vertiefung in der Situation, die
an dieser Stelle auch dem Komponisten gefehlt hat. Denn das ist die Schatten¬
seite des Wagnerschen Orchestersystems: es verleitet zu mechanischem, äußerlichen
Glvssiren.

Dagegen wirkt die Verarbeitung des Kundrymotivcs eindrucksvoll und
fördernd bei der nun folgenden Vision, in welcher vor Parsifals Seele das
Bild jenes Augenblickes aufsteigt, in dein Amfortas der Sünde erlegen ist. "Das
war dasselbe Weib," sagt Parsifcil, und das Orchester führt nun der Phantasie
die ganze Szene vor, wie das zauberische Weib den armen Amfortas umstrickt;
immer glühender und leidenschaftlicher wird das Werben und Minnen, immer
höher wächst daneben das Entsetzen des Parsifal, bis er sich entschlossen gegen
Kundry aufrichtet: "Vcrderberin, weiche von mir!" Die Musik läuft von dem
Auftreten Kundrys ab bis hierher ohne Absatz. Trotzdem scheint sie nicht zu
lang. So verschiedenes sie in sich begreift, sie verschmilzt es -- von einigen
schadhaften Stellen abgesehen -- zu einem einzigen Ganzen und faßt eine be¬
deutende Entwicklung in die rechte, verdeutlichende Form. Die Anlage ist etwas
neues, speziell Wagnerisches, und sie bedeutet einen Fortschritt in dem formellen
Teile der Opernkompositivn. Auch all diesem Punkte, von dem wir eben sprechen,
ist in der Musik der Szene noch kein Abschnitt. Wenn sie von hier an aber,
für unser Empfinden, im ganzen uninteressant wird, so liegt dies teilweise daran,
daß jetzt das Drama vom rechten Wege weicht. Denn Kundry beginnt ihre
fabelhafte Geschichte zu erzählen. Daß diese Knndry nun gerade mit dem Heiland
in persönliche Berührung gekommen sein muß, ist ein wirklicher fataler Einfall
des Dichters, kein genialer, wie seine Leibinterpreten sagen.

Wie dichterisch ausschweifend und gewaltsam, so ist auch die jetzt folgende
Musik mit extremen und äußerlichen Mitteln bestritten und sucht in irrer
Naserei ihre natürlichen Grenzen zu durchbrechen. Wagner strebt hier, sich mit
dem ontrirtesten Material zu helfen. Das Entsetzen auszudrücken, welches Kuudry
über ihr eignes Lachen empfinder, muß sie vom hohen u zum tiefen ol" hinabsteigen,
und ihre verzweifelte Energie äußert sich in roh pochenden Rhythmen des Ge¬
sanges. An solche realistische Behelfe gebunden, hat der Komponist sich sogar
einer der schönsten Wirkungen begeben, die ihm der Dichter vorgearbeitet hatte.
Es ist die Stelle, wo Parsifal zu Knndry sagt: "Auch dir bin ich zum Heil
gesandt." Seine musikalische Ader war hier so unglücklich unterbunden, daß er
diesen ergreifenden Moment ganz spurlos hat vorübergehen lassen. Nicht der
Komponist beherrschte hier die Leitmotive, sondern die Leitmotive den Kom¬
ponisten. Und so geht die Szene musikalisch im äußerlichen, unfruchtbaren
Ringen weiter und scheint bis zum Schlüsse, selbst da noch, wo wieder in die
Handlung eine neue Bewegung kommt, wo Kundry flucht, Klingsor schießt und


Richard lvagners parsifal.

Elemente mir gedacht werden kann, kommen ihre Leitmotive leibhaftig und trocken.
Das ist doch nnr ein Wink für ganz plumpe Naturen. Es zersplittert die Auf¬
merksamkeit und hindert die Zuhörer an der Vertiefung in der Situation, die
an dieser Stelle auch dem Komponisten gefehlt hat. Denn das ist die Schatten¬
seite des Wagnerschen Orchestersystems: es verleitet zu mechanischem, äußerlichen
Glvssiren.

Dagegen wirkt die Verarbeitung des Kundrymotivcs eindrucksvoll und
fördernd bei der nun folgenden Vision, in welcher vor Parsifals Seele das
Bild jenes Augenblickes aufsteigt, in dein Amfortas der Sünde erlegen ist. „Das
war dasselbe Weib," sagt Parsifcil, und das Orchester führt nun der Phantasie
die ganze Szene vor, wie das zauberische Weib den armen Amfortas umstrickt;
immer glühender und leidenschaftlicher wird das Werben und Minnen, immer
höher wächst daneben das Entsetzen des Parsifal, bis er sich entschlossen gegen
Kundry aufrichtet: „Vcrderberin, weiche von mir!" Die Musik läuft von dem
Auftreten Kundrys ab bis hierher ohne Absatz. Trotzdem scheint sie nicht zu
lang. So verschiedenes sie in sich begreift, sie verschmilzt es — von einigen
schadhaften Stellen abgesehen — zu einem einzigen Ganzen und faßt eine be¬
deutende Entwicklung in die rechte, verdeutlichende Form. Die Anlage ist etwas
neues, speziell Wagnerisches, und sie bedeutet einen Fortschritt in dem formellen
Teile der Opernkompositivn. Auch all diesem Punkte, von dem wir eben sprechen,
ist in der Musik der Szene noch kein Abschnitt. Wenn sie von hier an aber,
für unser Empfinden, im ganzen uninteressant wird, so liegt dies teilweise daran,
daß jetzt das Drama vom rechten Wege weicht. Denn Kundry beginnt ihre
fabelhafte Geschichte zu erzählen. Daß diese Knndry nun gerade mit dem Heiland
in persönliche Berührung gekommen sein muß, ist ein wirklicher fataler Einfall
des Dichters, kein genialer, wie seine Leibinterpreten sagen.

Wie dichterisch ausschweifend und gewaltsam, so ist auch die jetzt folgende
Musik mit extremen und äußerlichen Mitteln bestritten und sucht in irrer
Naserei ihre natürlichen Grenzen zu durchbrechen. Wagner strebt hier, sich mit
dem ontrirtesten Material zu helfen. Das Entsetzen auszudrücken, welches Kuudry
über ihr eignes Lachen empfinder, muß sie vom hohen u zum tiefen ol« hinabsteigen,
und ihre verzweifelte Energie äußert sich in roh pochenden Rhythmen des Ge¬
sanges. An solche realistische Behelfe gebunden, hat der Komponist sich sogar
einer der schönsten Wirkungen begeben, die ihm der Dichter vorgearbeitet hatte.
Es ist die Stelle, wo Parsifal zu Knndry sagt: „Auch dir bin ich zum Heil
gesandt." Seine musikalische Ader war hier so unglücklich unterbunden, daß er
diesen ergreifenden Moment ganz spurlos hat vorübergehen lassen. Nicht der
Komponist beherrschte hier die Leitmotive, sondern die Leitmotive den Kom¬
ponisten. Und so geht die Szene musikalisch im äußerlichen, unfruchtbaren
Ringen weiter und scheint bis zum Schlüsse, selbst da noch, wo wieder in die
Handlung eine neue Bewegung kommt, wo Kundry flucht, Klingsor schießt und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193851"/>
          <fw type="header" place="top"> Richard lvagners parsifal.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1734" prev="#ID_1733"> Elemente mir gedacht werden kann, kommen ihre Leitmotive leibhaftig und trocken.<lb/>
Das ist doch nnr ein Wink für ganz plumpe Naturen. Es zersplittert die Auf¬<lb/>
merksamkeit und hindert die Zuhörer an der Vertiefung in der Situation, die<lb/>
an dieser Stelle auch dem Komponisten gefehlt hat. Denn das ist die Schatten¬<lb/>
seite des Wagnerschen Orchestersystems: es verleitet zu mechanischem, äußerlichen<lb/>
Glvssiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1735"> Dagegen wirkt die Verarbeitung des Kundrymotivcs eindrucksvoll und<lb/>
fördernd bei der nun folgenden Vision, in welcher vor Parsifals Seele das<lb/>
Bild jenes Augenblickes aufsteigt, in dein Amfortas der Sünde erlegen ist. &#x201E;Das<lb/>
war dasselbe Weib," sagt Parsifcil, und das Orchester führt nun der Phantasie<lb/>
die ganze Szene vor, wie das zauberische Weib den armen Amfortas umstrickt;<lb/>
immer glühender und leidenschaftlicher wird das Werben und Minnen, immer<lb/>
höher wächst daneben das Entsetzen des Parsifal, bis er sich entschlossen gegen<lb/>
Kundry aufrichtet: &#x201E;Vcrderberin, weiche von mir!" Die Musik läuft von dem<lb/>
Auftreten Kundrys ab bis hierher ohne Absatz. Trotzdem scheint sie nicht zu<lb/>
lang. So verschiedenes sie in sich begreift, sie verschmilzt es &#x2014; von einigen<lb/>
schadhaften Stellen abgesehen &#x2014; zu einem einzigen Ganzen und faßt eine be¬<lb/>
deutende Entwicklung in die rechte, verdeutlichende Form. Die Anlage ist etwas<lb/>
neues, speziell Wagnerisches, und sie bedeutet einen Fortschritt in dem formellen<lb/>
Teile der Opernkompositivn. Auch all diesem Punkte, von dem wir eben sprechen,<lb/>
ist in der Musik der Szene noch kein Abschnitt. Wenn sie von hier an aber,<lb/>
für unser Empfinden, im ganzen uninteressant wird, so liegt dies teilweise daran,<lb/>
daß jetzt das Drama vom rechten Wege weicht. Denn Kundry beginnt ihre<lb/>
fabelhafte Geschichte zu erzählen. Daß diese Knndry nun gerade mit dem Heiland<lb/>
in persönliche Berührung gekommen sein muß, ist ein wirklicher fataler Einfall<lb/>
des Dichters, kein genialer, wie seine Leibinterpreten sagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1736" next="#ID_1737"> Wie dichterisch ausschweifend und gewaltsam, so ist auch die jetzt folgende<lb/>
Musik mit extremen und äußerlichen Mitteln bestritten und sucht in irrer<lb/>
Naserei ihre natürlichen Grenzen zu durchbrechen. Wagner strebt hier, sich mit<lb/>
dem ontrirtesten Material zu helfen. Das Entsetzen auszudrücken, welches Kuudry<lb/>
über ihr eignes Lachen empfinder, muß sie vom hohen u zum tiefen ol« hinabsteigen,<lb/>
und ihre verzweifelte Energie äußert sich in roh pochenden Rhythmen des Ge¬<lb/>
sanges. An solche realistische Behelfe gebunden, hat der Komponist sich sogar<lb/>
einer der schönsten Wirkungen begeben, die ihm der Dichter vorgearbeitet hatte.<lb/>
Es ist die Stelle, wo Parsifal zu Knndry sagt: &#x201E;Auch dir bin ich zum Heil<lb/>
gesandt." Seine musikalische Ader war hier so unglücklich unterbunden, daß er<lb/>
diesen ergreifenden Moment ganz spurlos hat vorübergehen lassen. Nicht der<lb/>
Komponist beherrschte hier die Leitmotive, sondern die Leitmotive den Kom¬<lb/>
ponisten. Und so geht die Szene musikalisch im äußerlichen, unfruchtbaren<lb/>
Ringen weiter und scheint bis zum Schlüsse, selbst da noch, wo wieder in die<lb/>
Handlung eine neue Bewegung kommt, wo Kundry flucht, Klingsor schießt und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Richard lvagners parsifal. Elemente mir gedacht werden kann, kommen ihre Leitmotive leibhaftig und trocken. Das ist doch nnr ein Wink für ganz plumpe Naturen. Es zersplittert die Auf¬ merksamkeit und hindert die Zuhörer an der Vertiefung in der Situation, die an dieser Stelle auch dem Komponisten gefehlt hat. Denn das ist die Schatten¬ seite des Wagnerschen Orchestersystems: es verleitet zu mechanischem, äußerlichen Glvssiren. Dagegen wirkt die Verarbeitung des Kundrymotivcs eindrucksvoll und fördernd bei der nun folgenden Vision, in welcher vor Parsifals Seele das Bild jenes Augenblickes aufsteigt, in dein Amfortas der Sünde erlegen ist. „Das war dasselbe Weib," sagt Parsifcil, und das Orchester führt nun der Phantasie die ganze Szene vor, wie das zauberische Weib den armen Amfortas umstrickt; immer glühender und leidenschaftlicher wird das Werben und Minnen, immer höher wächst daneben das Entsetzen des Parsifal, bis er sich entschlossen gegen Kundry aufrichtet: „Vcrderberin, weiche von mir!" Die Musik läuft von dem Auftreten Kundrys ab bis hierher ohne Absatz. Trotzdem scheint sie nicht zu lang. So verschiedenes sie in sich begreift, sie verschmilzt es — von einigen schadhaften Stellen abgesehen — zu einem einzigen Ganzen und faßt eine be¬ deutende Entwicklung in die rechte, verdeutlichende Form. Die Anlage ist etwas neues, speziell Wagnerisches, und sie bedeutet einen Fortschritt in dem formellen Teile der Opernkompositivn. Auch all diesem Punkte, von dem wir eben sprechen, ist in der Musik der Szene noch kein Abschnitt. Wenn sie von hier an aber, für unser Empfinden, im ganzen uninteressant wird, so liegt dies teilweise daran, daß jetzt das Drama vom rechten Wege weicht. Denn Kundry beginnt ihre fabelhafte Geschichte zu erzählen. Daß diese Knndry nun gerade mit dem Heiland in persönliche Berührung gekommen sein muß, ist ein wirklicher fataler Einfall des Dichters, kein genialer, wie seine Leibinterpreten sagen. Wie dichterisch ausschweifend und gewaltsam, so ist auch die jetzt folgende Musik mit extremen und äußerlichen Mitteln bestritten und sucht in irrer Naserei ihre natürlichen Grenzen zu durchbrechen. Wagner strebt hier, sich mit dem ontrirtesten Material zu helfen. Das Entsetzen auszudrücken, welches Kuudry über ihr eignes Lachen empfinder, muß sie vom hohen u zum tiefen ol« hinabsteigen, und ihre verzweifelte Energie äußert sich in roh pochenden Rhythmen des Ge¬ sanges. An solche realistische Behelfe gebunden, hat der Komponist sich sogar einer der schönsten Wirkungen begeben, die ihm der Dichter vorgearbeitet hatte. Es ist die Stelle, wo Parsifal zu Knndry sagt: „Auch dir bin ich zum Heil gesandt." Seine musikalische Ader war hier so unglücklich unterbunden, daß er diesen ergreifenden Moment ganz spurlos hat vorübergehen lassen. Nicht der Komponist beherrschte hier die Leitmotive, sondern die Leitmotive den Kom¬ ponisten. Und so geht die Szene musikalisch im äußerlichen, unfruchtbaren Ringen weiter und scheint bis zum Schlüsse, selbst da noch, wo wieder in die Handlung eine neue Bewegung kommt, wo Kundry flucht, Klingsor schießt und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/510>, abgerufen am 23.07.2024.