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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Richard N)agners parsifal.

init der das alles gemacht ist, die entzückende Reichhaltigkeit, der Wechsel der
Form, die Lebendigkeit, mit der das vorübergeht, läßt sich nicht beschreiben.
Zum Schwelgen schön wird das Bild da, wo sich die Mädchen mit Blnmen-
hüten schmücken. Da beginnt das holdeste Kosen und Wiegen, der Chor
schwebt in langen Melodien daher, darüber flattern Solostimmen in zierlichen
Triolcn, andre halten süße Tone hoch ans. Es ist diese Szene ein wahrer
Nachtigallenhain, und sie hat, wie es scheint, bei der Ausführung den stärksten
sinnlichen Eindruck hinterlassen. Sie gelang ganz vollendet, was den beteiligten
Damen -- gegen dreißig an Zahl und darunter Primadonnen deutscher Hof-
theater -- und dem Herrn Heinrich Porges, der sie einstudirt hat, zu großer
Ehre gereicht. Denn leicht ist dieser Emsemblestil mit dem ewigen Einsetzen und
Aufhören nicht, und es will etwas heißen, wenn die Stimmen mit ihren kurzen
und in sich noch schweren Phrasen so ineinandergreifen, als sänge nur eine
einzige.

Die Blumenmädchen werden durch eine Stimme Vertrieben, die ans dem
Haine heraus "Parsifal" ruft. Es ist die Kundrys, welche jetzt jung und schön
auf einem Ruhebette liegend, in die Szene hercingleitet. Die Verführnngsstnndc
hat geschlagen. Die erste größere Hälfte dieser Verführungsszcne ist von be¬
deutender musikalischer Schönheit und gehaltvoll. Unter die hervortretendsten
Züge rechnen wir das kurze Jnstrumentalsätzchen, mit welchem sie beginnt. Es
schildert sehr sinnreich und fein Parsifals Verworrenheit, in dem es Themen
der Vlumengesänge mit solchen aus der LiebeSmcchlsszene kunstvoll tvmbinirt.
Ferner gehört darunter Knndrys Erzählung von Parsifals Mutter. Das Glück,
das ihr der Anblick des flotten, muntern Buben bereitet, wie sie mit ihm spielt,
ihr Schmerz, als er fort ist -- das ist in den Instrumenten nicht bloß verständ¬
lich, sondern auch schön und fesselnd ausgedrückt. Auch die Klage Parsifals,
der den Verlust der Mutter jetzt frisch empfindet, ist rührend und natürlich.
Nur eine geschraubte Stelle begegnet uns hier: wo Knndry trösten will mit
den Worten: "Die Not nun büße im Trost, den Liebe dir beut." Wo die
Begriffe fehle", dn stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein -- sagt Goethe,
und dieses Wort ist hier "büßen."

Wieder sehr gut und schlagend ist der Kampf dargestellt, den Parsifal
Zwischen Sinnenlust und Mitleid durchsieht, nachdem er den Kuß empfange,, und
des Amfvrtas gedacht hat. Das sind Stellen, an denen man den Wert des
Wagnerschen Systems empfindet. So die innere, psychologische Entwicklung des
Dramas von Schritt zu Schritt zu begleiten, ist mit den geschlossenen Formen
der alten Oper unmöglich. Da hat Wagner etwas geniales gethan, indem er
die Instrumentalmusik zu Hilfe zog.

Parsifal beginnt, nachdem er sich der Gefahr, in der er sich befindet, bewußt
geworden, zu beten. Daß in dieses Gebet sich uun immer Motive der Kundry
und der Zauberei einmischen, scheint allsdringlich und äußerlich. Sobald an diese


Richard N)agners parsifal.

init der das alles gemacht ist, die entzückende Reichhaltigkeit, der Wechsel der
Form, die Lebendigkeit, mit der das vorübergeht, läßt sich nicht beschreiben.
Zum Schwelgen schön wird das Bild da, wo sich die Mädchen mit Blnmen-
hüten schmücken. Da beginnt das holdeste Kosen und Wiegen, der Chor
schwebt in langen Melodien daher, darüber flattern Solostimmen in zierlichen
Triolcn, andre halten süße Tone hoch ans. Es ist diese Szene ein wahrer
Nachtigallenhain, und sie hat, wie es scheint, bei der Ausführung den stärksten
sinnlichen Eindruck hinterlassen. Sie gelang ganz vollendet, was den beteiligten
Damen — gegen dreißig an Zahl und darunter Primadonnen deutscher Hof-
theater — und dem Herrn Heinrich Porges, der sie einstudirt hat, zu großer
Ehre gereicht. Denn leicht ist dieser Emsemblestil mit dem ewigen Einsetzen und
Aufhören nicht, und es will etwas heißen, wenn die Stimmen mit ihren kurzen
und in sich noch schweren Phrasen so ineinandergreifen, als sänge nur eine
einzige.

Die Blumenmädchen werden durch eine Stimme Vertrieben, die ans dem
Haine heraus „Parsifal" ruft. Es ist die Kundrys, welche jetzt jung und schön
auf einem Ruhebette liegend, in die Szene hercingleitet. Die Verführnngsstnndc
hat geschlagen. Die erste größere Hälfte dieser Verführungsszcne ist von be¬
deutender musikalischer Schönheit und gehaltvoll. Unter die hervortretendsten
Züge rechnen wir das kurze Jnstrumentalsätzchen, mit welchem sie beginnt. Es
schildert sehr sinnreich und fein Parsifals Verworrenheit, in dem es Themen
der Vlumengesänge mit solchen aus der LiebeSmcchlsszene kunstvoll tvmbinirt.
Ferner gehört darunter Knndrys Erzählung von Parsifals Mutter. Das Glück,
das ihr der Anblick des flotten, muntern Buben bereitet, wie sie mit ihm spielt,
ihr Schmerz, als er fort ist — das ist in den Instrumenten nicht bloß verständ¬
lich, sondern auch schön und fesselnd ausgedrückt. Auch die Klage Parsifals,
der den Verlust der Mutter jetzt frisch empfindet, ist rührend und natürlich.
Nur eine geschraubte Stelle begegnet uns hier: wo Knndry trösten will mit
den Worten: „Die Not nun büße im Trost, den Liebe dir beut." Wo die
Begriffe fehle», dn stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein — sagt Goethe,
und dieses Wort ist hier „büßen."

Wieder sehr gut und schlagend ist der Kampf dargestellt, den Parsifal
Zwischen Sinnenlust und Mitleid durchsieht, nachdem er den Kuß empfange,, und
des Amfvrtas gedacht hat. Das sind Stellen, an denen man den Wert des
Wagnerschen Systems empfindet. So die innere, psychologische Entwicklung des
Dramas von Schritt zu Schritt zu begleiten, ist mit den geschlossenen Formen
der alten Oper unmöglich. Da hat Wagner etwas geniales gethan, indem er
die Instrumentalmusik zu Hilfe zog.

Parsifal beginnt, nachdem er sich der Gefahr, in der er sich befindet, bewußt
geworden, zu beten. Daß in dieses Gebet sich uun immer Motive der Kundry
und der Zauberei einmischen, scheint allsdringlich und äußerlich. Sobald an diese


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[0509] Richard N)agners parsifal. init der das alles gemacht ist, die entzückende Reichhaltigkeit, der Wechsel der Form, die Lebendigkeit, mit der das vorübergeht, läßt sich nicht beschreiben. Zum Schwelgen schön wird das Bild da, wo sich die Mädchen mit Blnmen- hüten schmücken. Da beginnt das holdeste Kosen und Wiegen, der Chor schwebt in langen Melodien daher, darüber flattern Solostimmen in zierlichen Triolcn, andre halten süße Tone hoch ans. Es ist diese Szene ein wahrer Nachtigallenhain, und sie hat, wie es scheint, bei der Ausführung den stärksten sinnlichen Eindruck hinterlassen. Sie gelang ganz vollendet, was den beteiligten Damen — gegen dreißig an Zahl und darunter Primadonnen deutscher Hof- theater — und dem Herrn Heinrich Porges, der sie einstudirt hat, zu großer Ehre gereicht. Denn leicht ist dieser Emsemblestil mit dem ewigen Einsetzen und Aufhören nicht, und es will etwas heißen, wenn die Stimmen mit ihren kurzen und in sich noch schweren Phrasen so ineinandergreifen, als sänge nur eine einzige. Die Blumenmädchen werden durch eine Stimme Vertrieben, die ans dem Haine heraus „Parsifal" ruft. Es ist die Kundrys, welche jetzt jung und schön auf einem Ruhebette liegend, in die Szene hercingleitet. Die Verführnngsstnndc hat geschlagen. Die erste größere Hälfte dieser Verführungsszcne ist von be¬ deutender musikalischer Schönheit und gehaltvoll. Unter die hervortretendsten Züge rechnen wir das kurze Jnstrumentalsätzchen, mit welchem sie beginnt. Es schildert sehr sinnreich und fein Parsifals Verworrenheit, in dem es Themen der Vlumengesänge mit solchen aus der LiebeSmcchlsszene kunstvoll tvmbinirt. Ferner gehört darunter Knndrys Erzählung von Parsifals Mutter. Das Glück, das ihr der Anblick des flotten, muntern Buben bereitet, wie sie mit ihm spielt, ihr Schmerz, als er fort ist — das ist in den Instrumenten nicht bloß verständ¬ lich, sondern auch schön und fesselnd ausgedrückt. Auch die Klage Parsifals, der den Verlust der Mutter jetzt frisch empfindet, ist rührend und natürlich. Nur eine geschraubte Stelle begegnet uns hier: wo Knndry trösten will mit den Worten: „Die Not nun büße im Trost, den Liebe dir beut." Wo die Begriffe fehle», dn stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein — sagt Goethe, und dieses Wort ist hier „büßen." Wieder sehr gut und schlagend ist der Kampf dargestellt, den Parsifal Zwischen Sinnenlust und Mitleid durchsieht, nachdem er den Kuß empfange,, und des Amfvrtas gedacht hat. Das sind Stellen, an denen man den Wert des Wagnerschen Systems empfindet. So die innere, psychologische Entwicklung des Dramas von Schritt zu Schritt zu begleiten, ist mit den geschlossenen Formen der alten Oper unmöglich. Da hat Wagner etwas geniales gethan, indem er die Instrumentalmusik zu Hilfe zog. Parsifal beginnt, nachdem er sich der Gefahr, in der er sich befindet, bewußt geworden, zu beten. Daß in dieses Gebet sich uun immer Motive der Kundry und der Zauberei einmischen, scheint allsdringlich und äußerlich. Sobald an diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/509>, abgerufen am 23.07.2024.