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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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sondern die Musik init zu Rate zieht, hat der Dichterkomponist hier erreicht, was
er wollte. Auch Parsifal, der Held deS Dramas, giebt zu Nusstelluugen Au¬
las;. "Deal -- sagt mau -- was thut er denn eigentlich? Er läßt sich nicht
verführen," Wir halten eS für eine wvhlberechtigte dramatische Pointe, daß Wagner
seinen Parsifal in einem einzigen Augenblick zum Helden herauswachsen laßt.
Die Erleuchtung tourne mit einem Ruck über ihn, wie über Saulus, der bei
Damaskus zum Paulus wurde. Die eine große Idee des Mitleids erwacht in
ihm und macht ihn stark und thatkräftig. Im übrigen aber muß man den
Einwand gelten lasse", daß ans der Handlung keine Notwendigkeit ersichtlich
sei, weshalb Parsifal Grnlskönig wird.

Alles in allem ist "Parsifal" -- den Vorbehalt für Knndry ausgenommen -.....
ein wirksames lind mit tiefen, menschlich ergreifenden Zügen ausgestattetes
Biihnenstnck. Um auf den angeregten Vergleich zwischen Wolfram und Wagner
zurückzukommen, so erscheint uns der Unterschied zwischen beiden mehr für ihre
Zeit charakteristisch als für die Dichter selbst. Wolfram benutzte im erzählnngs-
lnstigen Mittelalter die Parzivalsage zu einem Epos, Wagner extensirte daraus
für das der Kürze und der Pointe zugethane neunzehnte Jahrhundert ein Drama.
Beide legten ihren Dichtungen eine große Idee unter: Wolfram giebt die Cha-
rakterentwicklung eines kräftigen Menschen, Wagner schildert die Macht des Mit¬
leids. Uber den Wert dieser beiden Ideen zu streiten, scheint uus unbillig.
Die Idee, die Moral giebt uicht den Ausschlag für die Güte einer Dichtung,
sonst müßte mau in Gellerts Fabeln die größten poetischen Kunstwerke erblicken.

Wenn an dem Drama von den Wagnerianern besonders der christliche
Charakter hervorgehoben worden ist, so wollen wir über diesen Punkt uns keine
Entscheidung anmaßen. Der christliche Charakter, welcher wohl anch den un¬
gewöhnlichen Titel des Stückes "Bühnenweihsestspiel" veranlaßt hat, war durch
die Einführung des Grals gegeben und kommt in zwei Momenten zu einem
besondern Ausdruck: in der Liebesmahlsfeier der Gralsritter, welche im ersten
und im dritten Akte stattfindet, nud in der Klage um den Speer, in der Schil-
derung der heiligen Reliquien, welche fast sämmtliche Szenen des Werkes in
der einen oder andern Tonart durchzieht.

Christliche Dramen sind an und für sich nichts neues. Im Mittelalter ist
die Passionsgeschichte oft genug auf die Bühne gebracht worden, wie man noch heute
ans den Spielen in Oberannncrgan sehen kann. Daß das heilige Silhet in der
modernen Oper zu Grnnde gelegt worden sei, ist meines Wissens nicht nach¬
weisbar. Märtyrergeschichteu kommen vor als Gegenstand des musikalischen
Dramas; "och Gounot hat in seinem I'olvem":!"' eine solche benutzt. Der Be¬
hauptung, daß Wagner mit der Hereinziehung des Liebesmahls und-der Passions-
geschichte nur etwas neues, nur einen ungewohnten Theatereoup habe bringen
wollen, muß im Interesse der Gerechtigkeit entgegengetreten werden. Dein Manne,
welcher seit Jahrzehnten des Glaubens lebt, die deutsche Kultur lasse sich vom


sondern die Musik init zu Rate zieht, hat der Dichterkomponist hier erreicht, was
er wollte. Auch Parsifal, der Held deS Dramas, giebt zu Nusstelluugen Au¬
las;. „Deal — sagt mau — was thut er denn eigentlich? Er läßt sich nicht
verführen," Wir halten eS für eine wvhlberechtigte dramatische Pointe, daß Wagner
seinen Parsifal in einem einzigen Augenblick zum Helden herauswachsen laßt.
Die Erleuchtung tourne mit einem Ruck über ihn, wie über Saulus, der bei
Damaskus zum Paulus wurde. Die eine große Idee des Mitleids erwacht in
ihm und macht ihn stark und thatkräftig. Im übrigen aber muß man den
Einwand gelten lasse», daß ans der Handlung keine Notwendigkeit ersichtlich
sei, weshalb Parsifal Grnlskönig wird.

Alles in allem ist „Parsifal" — den Vorbehalt für Knndry ausgenommen -.....
ein wirksames lind mit tiefen, menschlich ergreifenden Zügen ausgestattetes
Biihnenstnck. Um auf den angeregten Vergleich zwischen Wolfram und Wagner
zurückzukommen, so erscheint uns der Unterschied zwischen beiden mehr für ihre
Zeit charakteristisch als für die Dichter selbst. Wolfram benutzte im erzählnngs-
lnstigen Mittelalter die Parzivalsage zu einem Epos, Wagner extensirte daraus
für das der Kürze und der Pointe zugethane neunzehnte Jahrhundert ein Drama.
Beide legten ihren Dichtungen eine große Idee unter: Wolfram giebt die Cha-
rakterentwicklung eines kräftigen Menschen, Wagner schildert die Macht des Mit¬
leids. Uber den Wert dieser beiden Ideen zu streiten, scheint uus unbillig.
Die Idee, die Moral giebt uicht den Ausschlag für die Güte einer Dichtung,
sonst müßte mau in Gellerts Fabeln die größten poetischen Kunstwerke erblicken.

Wenn an dem Drama von den Wagnerianern besonders der christliche
Charakter hervorgehoben worden ist, so wollen wir über diesen Punkt uns keine
Entscheidung anmaßen. Der christliche Charakter, welcher wohl anch den un¬
gewöhnlichen Titel des Stückes „Bühnenweihsestspiel" veranlaßt hat, war durch
die Einführung des Grals gegeben und kommt in zwei Momenten zu einem
besondern Ausdruck: in der Liebesmahlsfeier der Gralsritter, welche im ersten
und im dritten Akte stattfindet, nud in der Klage um den Speer, in der Schil-
derung der heiligen Reliquien, welche fast sämmtliche Szenen des Werkes in
der einen oder andern Tonart durchzieht.

Christliche Dramen sind an und für sich nichts neues. Im Mittelalter ist
die Passionsgeschichte oft genug auf die Bühne gebracht worden, wie man noch heute
ans den Spielen in Oberannncrgan sehen kann. Daß das heilige Silhet in der
modernen Oper zu Grnnde gelegt worden sei, ist meines Wissens nicht nach¬
weisbar. Märtyrergeschichteu kommen vor als Gegenstand des musikalischen
Dramas; »och Gounot hat in seinem I'olvem«:!«' eine solche benutzt. Der Be¬
hauptung, daß Wagner mit der Hereinziehung des Liebesmahls und-der Passions-
geschichte nur etwas neues, nur einen ungewohnten Theatereoup habe bringen
wollen, muß im Interesse der Gerechtigkeit entgegengetreten werden. Dein Manne,
welcher seit Jahrzehnten des Glaubens lebt, die deutsche Kultur lasse sich vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/502>, abgerufen am 22.07.2024.