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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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eine dichterische Leistung voll höchster Kraft der Phantasie und des Gedankens
erblickt werden müsse. Käme diese Kuudry in einer rein phantastischen Umgebung
vor, ungefähr wie die Helena im zweiten Teile des "Faust," so wäre sie nicht zu
beanstanden. Aber im "Parsifal," welcher in seine", ersten und dritteis Akte sich
in Verhältnissen bewegt, die so gilt wie historisch erscheinen, wird diese Kuudry
immer ein Stein des Anstoßes bleiben.

Im Epos ist die Knndry die treue Botin des Grills und weiter nichts.
Sie ist vom Dichter als sehr häßlich geschildert, hat Ohren wie ein Bär, ein
rcnches Antlitz, ihre Hände haben Affenhand, und ihre Fingernagel gleichen den
Klanen des Löwen. Im übrigen ist sie treu und gut, nud Wolfram verweilt
bei ihr mit humoristischem Behagen. Diese Knndry, ein halbwildes Weib, eine
Art weiblichen Kaspar Hanser, hat Wagner für seinen ersten Akt herüberge¬
nommen. Im zweiten aber hat er sie mit der Orgelnse Wolframs, einer von
Klinschors Znnberfraueu, zusammengeschmolzen. So ist denn Knndry, die Botin
des Grals, bei Wagner zugleich auch el" Werkzeug des Klingsor. Diesen einen
Zwiespalt zu erklären, brauchte es eines besondern Dramas "Knndry." Wagner
findet sich nebenbei mit ihm ab, indem er die Knndry im zweiten Akte ihre Ge¬
schichte dem Parsifal erzählen läßt. Darnach ist ihr Loos ein ähnliches wie
das des ewigen Juden, wie das des fliegenden Holländers. Sie hat am Heilande
selbst gefrevelt; sie hat ihn verlacht, als er anf denn Wege nach Golgatha an
ihr vorüberschritt. Zur Strafe dafür kann sie nicht sterben und muß von Zeit
zu Zeit der Teufelei verfallen und dem Klingsor ehrbare Helden verführen helfen.
Wenn ihr einer widersteht, wird sie erlöst. Wahnsinn ergreift sie mitten in der
Höllenaktivu: sie hält die Opfer von Klingsors Zaubermechanik für den Heiland
selbst; "da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder: ein Sünder sinkt in meine
Arme" schließt sie die mysteriöse Autobiographie.

Wir wollen uns ans eine Erklärung der Beinamen, welche Wagner dieser
Kuudry noch giebt, nicht einlassen: er nennt sie "Herodias, Gundryggia" "ud
trägt damit vielleicht nach seiner Meinung zur Vertiefung dieses an sich schon
schwer ergründlichcn Wesens bei. > Berechnet man das Alter dieses Weibes,
welches im zweiten Alte vor uns in allen Reizen der Jngend und Schönheit
Prange, so ergeben sich, schlecht gemessen, nul,c;or proptvr 800 Jahre.

Die endgiltige Meinung wird wohl eines Tages dahin gehen, daß diese
Knndry eine jeuer dichterische" Leistungen sei, in welchen die sterbende HyPer-
romcmtik ihre letzten Zuckungen gethan hat, bevor sie vollständig aus der Li¬
teratur und der Kunst überhaupt verschwand. Heil uns!

An den übrigen Charaktere" des Dramas ist vieles bemängelt worden.
Amfvrtas sei zu schwankend, um Interesse erregen zu können; hente wolle er
den Gral enthüllen, morgen wieder nicht. Diese Unbeständigkeit des Charakters
soll und kann aber dazu dienen, den Zustand seiner Krankheit, die Größe seines
Leidens zu illustriren, und wenn man nicht bloß nach dem Textbuche kritisirt,


eine dichterische Leistung voll höchster Kraft der Phantasie und des Gedankens
erblickt werden müsse. Käme diese Kuudry in einer rein phantastischen Umgebung
vor, ungefähr wie die Helena im zweiten Teile des „Faust," so wäre sie nicht zu
beanstanden. Aber im „Parsifal," welcher in seine», ersten und dritteis Akte sich
in Verhältnissen bewegt, die so gilt wie historisch erscheinen, wird diese Kuudry
immer ein Stein des Anstoßes bleiben.

Im Epos ist die Knndry die treue Botin des Grills und weiter nichts.
Sie ist vom Dichter als sehr häßlich geschildert, hat Ohren wie ein Bär, ein
rcnches Antlitz, ihre Hände haben Affenhand, und ihre Fingernagel gleichen den
Klanen des Löwen. Im übrigen ist sie treu und gut, nud Wolfram verweilt
bei ihr mit humoristischem Behagen. Diese Knndry, ein halbwildes Weib, eine
Art weiblichen Kaspar Hanser, hat Wagner für seinen ersten Akt herüberge¬
nommen. Im zweiten aber hat er sie mit der Orgelnse Wolframs, einer von
Klinschors Znnberfraueu, zusammengeschmolzen. So ist denn Knndry, die Botin
des Grals, bei Wagner zugleich auch el» Werkzeug des Klingsor. Diesen einen
Zwiespalt zu erklären, brauchte es eines besondern Dramas „Knndry." Wagner
findet sich nebenbei mit ihm ab, indem er die Knndry im zweiten Akte ihre Ge¬
schichte dem Parsifal erzählen läßt. Darnach ist ihr Loos ein ähnliches wie
das des ewigen Juden, wie das des fliegenden Holländers. Sie hat am Heilande
selbst gefrevelt; sie hat ihn verlacht, als er anf denn Wege nach Golgatha an
ihr vorüberschritt. Zur Strafe dafür kann sie nicht sterben und muß von Zeit
zu Zeit der Teufelei verfallen und dem Klingsor ehrbare Helden verführen helfen.
Wenn ihr einer widersteht, wird sie erlöst. Wahnsinn ergreift sie mitten in der
Höllenaktivu: sie hält die Opfer von Klingsors Zaubermechanik für den Heiland
selbst; „da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder: ein Sünder sinkt in meine
Arme" schließt sie die mysteriöse Autobiographie.

Wir wollen uns ans eine Erklärung der Beinamen, welche Wagner dieser
Kuudry noch giebt, nicht einlassen: er nennt sie „Herodias, Gundryggia" »ud
trägt damit vielleicht nach seiner Meinung zur Vertiefung dieses an sich schon
schwer ergründlichcn Wesens bei. > Berechnet man das Alter dieses Weibes,
welches im zweiten Alte vor uns in allen Reizen der Jngend und Schönheit
Prange, so ergeben sich, schlecht gemessen, nul,c;or proptvr 800 Jahre.

Die endgiltige Meinung wird wohl eines Tages dahin gehen, daß diese
Knndry eine jeuer dichterische» Leistungen sei, in welchen die sterbende HyPer-
romcmtik ihre letzten Zuckungen gethan hat, bevor sie vollständig aus der Li¬
teratur und der Kunst überhaupt verschwand. Heil uns!

An den übrigen Charaktere» des Dramas ist vieles bemängelt worden.
Amfvrtas sei zu schwankend, um Interesse erregen zu können; hente wolle er
den Gral enthüllen, morgen wieder nicht. Diese Unbeständigkeit des Charakters
soll und kann aber dazu dienen, den Zustand seiner Krankheit, die Größe seines
Leidens zu illustriren, und wenn man nicht bloß nach dem Textbuche kritisirt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/501>, abgerufen am 22.07.2024.