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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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sie eigentlich eine so tiefe und starke Abneigung dagegen hatte, mit diesem Manne
tausend Schritt weit bis zum Schulhause zu gehen, Sie folgte eben nur jenem
starken Instinkt eines wahrhaftigen und reinen Gemütes, welcher der sicherste
Führer ist.

Julia, meine Tochter, sagte Samuel Anderson, du mußt mir als dem Haupte
des Hauses wirklich nachgeben und diesen Herrn höflich behandeln. Ich dachte
immer, du achtetest ihn und liebtest ihn, und er sagte mir, daß du eingewilligt
hättest, ihn zu heiraten, und daß du ihm gesagt, er solle mich um meine Ein¬
willigung zu ersuchen.

Indem er dies sagte, hob und beugte sich "das Haupt des Hauses" in
seinen knarrenden Stiefeln vorwärts und rückwärts und sprach in pomphafter
Weise und mit dem Versuch, eine dünne Weiberstimme zu einem Baßton an¬
zuschwellen, was ihm aber nicht ganz gelang. Julia setzte sich hin und weinte
vor Verdruß und Widerwillen. Herr Anderson sah das als Unterwerfung um,
drehte sich um und ging in das nächste Zimmer.

Herr Humphreys, meine Tochter wird sich freuen, Sie um Verzeihung zu
bitten. Sie ist über ihre kleine Verstimmung hinweg, Liebesleute leiden immer
an Verstimmungen. Selbst meine Frau und ich, wir waren seinerzeit bisweilen
verschiedener Meinung. Julia wird sich freuen, Sie im Wohnzimmer zu sehen.

Humphreys zog seine inwendigen Drähte und versetzte sein Gesicht in das
breiteste und parallelogrammartigste Lächeln, verbeugte sich vor Herrn Anderson
und schritt aus den Gang hinaus. Aber als er das Wohnzimmer erreichte,
wünschte er, er wäre weggeblieben. Julia hatte seinen Tritt gehört und stand
wieder mit vorgestrecktem Fuße da. Ihre Augen waren sehr schwarz und weit
geöffnet. Sie hatte etwas von dem Feuer, aber glücklicherweise nichts von der
Niedrigkeit der Gesinnuyg ihrer Mutter. Es ist schwer zu sagen, ob sie sprach
oder zischte.

Machen Sie, daß Sie fortkommen, Sie Spinne! Ich hasse Sie! Ich
sagte Ihnen, daß ich Sie haßte, und Sie sagten den Leuten, ich liebte Sie und
wäre mit Ihnen verlobt. Gehen Sie Ihrer Wege, Sie abscheuliche Spinne,
Sie. Ich will lieber hier auf der Stelle sterben, als mit Ihnen gehen.

Aber der kriechende Humphreys ging auf sie zu, sprach besänftigende Worte
und versicherte ihr, es walte ein Mißverständnis ob. Julia schoß an ihm vor¬
über in die gute Stube und ergriff den Arm ihres Vaters.

Vater beschütze mich vor diesem -- dieser Spinne! Ich hasse ihn!

Herr Anderson stand einen Augenblick unschlüssig dn, und sein Auge suchte
ratlos ein Verhaltungszeichen bei seiner Fran. Sie löste die Schwierigkeit selbst.
Im ganzen hatte sie beschlossen, nicht gleich am Herzschlag zu sterben, sondern
vorher Julien nach ihrem Geschmack verheiratet zu sehen, und da sie vor sich
einen Berg gefunden, durch den sie nicht hindurchgehen konnte, ging sie um ihn
herum. Indem sie Juliens Arm mit mehr Energie als Liebe ergriff, zog sie


sie eigentlich eine so tiefe und starke Abneigung dagegen hatte, mit diesem Manne
tausend Schritt weit bis zum Schulhause zu gehen, Sie folgte eben nur jenem
starken Instinkt eines wahrhaftigen und reinen Gemütes, welcher der sicherste
Führer ist.

Julia, meine Tochter, sagte Samuel Anderson, du mußt mir als dem Haupte
des Hauses wirklich nachgeben und diesen Herrn höflich behandeln. Ich dachte
immer, du achtetest ihn und liebtest ihn, und er sagte mir, daß du eingewilligt
hättest, ihn zu heiraten, und daß du ihm gesagt, er solle mich um meine Ein¬
willigung zu ersuchen.

Indem er dies sagte, hob und beugte sich „das Haupt des Hauses" in
seinen knarrenden Stiefeln vorwärts und rückwärts und sprach in pomphafter
Weise und mit dem Versuch, eine dünne Weiberstimme zu einem Baßton an¬
zuschwellen, was ihm aber nicht ganz gelang. Julia setzte sich hin und weinte
vor Verdruß und Widerwillen. Herr Anderson sah das als Unterwerfung um,
drehte sich um und ging in das nächste Zimmer.

Herr Humphreys, meine Tochter wird sich freuen, Sie um Verzeihung zu
bitten. Sie ist über ihre kleine Verstimmung hinweg, Liebesleute leiden immer
an Verstimmungen. Selbst meine Frau und ich, wir waren seinerzeit bisweilen
verschiedener Meinung. Julia wird sich freuen, Sie im Wohnzimmer zu sehen.

Humphreys zog seine inwendigen Drähte und versetzte sein Gesicht in das
breiteste und parallelogrammartigste Lächeln, verbeugte sich vor Herrn Anderson
und schritt aus den Gang hinaus. Aber als er das Wohnzimmer erreichte,
wünschte er, er wäre weggeblieben. Julia hatte seinen Tritt gehört und stand
wieder mit vorgestrecktem Fuße da. Ihre Augen waren sehr schwarz und weit
geöffnet. Sie hatte etwas von dem Feuer, aber glücklicherweise nichts von der
Niedrigkeit der Gesinnuyg ihrer Mutter. Es ist schwer zu sagen, ob sie sprach
oder zischte.

Machen Sie, daß Sie fortkommen, Sie Spinne! Ich hasse Sie! Ich
sagte Ihnen, daß ich Sie haßte, und Sie sagten den Leuten, ich liebte Sie und
wäre mit Ihnen verlobt. Gehen Sie Ihrer Wege, Sie abscheuliche Spinne,
Sie. Ich will lieber hier auf der Stelle sterben, als mit Ihnen gehen.

Aber der kriechende Humphreys ging auf sie zu, sprach besänftigende Worte
und versicherte ihr, es walte ein Mißverständnis ob. Julia schoß an ihm vor¬
über in die gute Stube und ergriff den Arm ihres Vaters.

Vater beschütze mich vor diesem — dieser Spinne! Ich hasse ihn!

Herr Anderson stand einen Augenblick unschlüssig dn, und sein Auge suchte
ratlos ein Verhaltungszeichen bei seiner Fran. Sie löste die Schwierigkeit selbst.
Im ganzen hatte sie beschlossen, nicht gleich am Herzschlag zu sterben, sondern
vorher Julien nach ihrem Geschmack verheiratet zu sehen, und da sie vor sich
einen Berg gefunden, durch den sie nicht hindurchgehen konnte, ging sie um ihn
herum. Indem sie Juliens Arm mit mehr Energie als Liebe ergriff, zog sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/486>, abgerufen am 01.07.2024.