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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Lili russischer Gesellschaftsroinau

liebten vor der Welt aufs neue verpflichtet und sein Leben abermals an das
ihre gebunden hat, obschon sie bereit war, ihn freizugeben, fühlt er sich gedrungen,
seine eigentliche und wahre Leidenschaft vor Olga Ssvbolin zu enthüllen. In¬
folge dessen wird die Situation der armen Olga prekärer und die Lage Lorius
stets unhaltbarer, bis es endlich durch die Intervention Baron Ringstahls zu
einer Trennung zwischen dein jungen Mann und Gräfin Jskritzky kommt. Lorm
kehrt nach Rußland zurück, wo inzwischen auch in seinen Verwandten- und Be¬
kanntenkreisen mancherlei Wandlungen vorgegangen sind. Er kann die einst ver¬
lassene glänzende Laufbahn nicht wieder antreten und muß sich -- da er es für
unvermeidlich erachtet -- entschließen, sich dem Zivildieust zu widmen. Mit
diesem Teil des Romans werden wir dann aus der russische" Hauptstadt und
nus jenen Punkten Italiens und Deutschlands, die vornehme Russen gern als
Umgebungen von Petersburg nuseheu, nach der Kreisstadt und der Provinz ge¬
führt, eine gnuze Reihe neuer Charaktere, die in den Gang der Geschichte ein¬
greifen, treten auf. Aber alle Episoden können das Schlnßresultat, dem "Loriu"
zutreibt, uicht anschalten: der Held findet sich in entscheidender Stunde mit Olga
Nikolajewua Ssoboliu wieder zusammen und erscheint endlich, nunmehr als der
glückliche Bräutigam des Mädchens ein zweitesmal in der Kasauscheu Kathedrale,
um Dankgebete und geweihte Kerzen für die unverhofft und beinahe, möchte man
sagen, unverdient glückliche Wendung seines Lebens darzubringen.

Doch, wie schon gesagt, uicht in der einfachen und ohne besondere Ver¬
wicklung oder Spannung verlaufenden Handlung liegt die Starke des Walujewscheu
Romans. Die einzelnen Szenen, zu denen der skizzirte Verlauf des "Loriu"
Anlaß giebt, sind mit Weltkenntnis, mit feinem Blick auch für die Äußerlichkeit
der Dinge, mit gutem Takt und Geschmack dargestellt. Ohne besonders ergreifende
oder glänzende Schilderungen versteht Walnjew Stimmung zu erwecken, deu
Vorgängen einen entsprechenden Hintergrund zu verleihen. Die Hauptsache bleibt
überall die Charakteristik. Eine reiche Galerie von Gestalten, von denen wir
die hauptsächlichsten schon genannt haben, fesselt die Aufmerksamkeit und großen¬
teils auch den persönlichen Anteil des Lesers. Da sind außer Lorm und Ringstahl,
den Ssobolins und der unglücklichen Gräfin Jskritzky, vor allem Fürst und Fürstin
Belsky, da ist Andrej Michailowitsch Roschtschin, der, nachdem er aus verzeih¬
lichein Ärger seinem Neffen seine väterliche Teilnahme entzogen, in bedenkliche
.Hände gerät, da sind Fürst und Fürstin Pronsky in Krcisnoserk. Fürst Sabeliu,
Muromsky, der Adelsmarschnll und Iwan Livowitsch Bassargin auf Bassinv,
lauter Figuren, die verschiedene Lebenskreise repräsentiren und, die optimistische
Auffassung und Beleuchtung des Verfassers einmal zugegeben, einen Fond von
menschlicher Tüchtigkeit und Vortrefflichkeit enthalten, mit dem man, wenn nicht
das Reich, so doch die russische Gesellschaft reformiren könnte. Der Nichtrusse
freilich wird auch in dieser optimistischen Schilderung gewisse Züge mir mit
skeptischen Blicke betrachten können. So erscheint z. B. der Bnron Ringstahl,


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liebten vor der Welt aufs neue verpflichtet und sein Leben abermals an das
ihre gebunden hat, obschon sie bereit war, ihn freizugeben, fühlt er sich gedrungen,
seine eigentliche und wahre Leidenschaft vor Olga Ssvbolin zu enthüllen. In¬
folge dessen wird die Situation der armen Olga prekärer und die Lage Lorius
stets unhaltbarer, bis es endlich durch die Intervention Baron Ringstahls zu
einer Trennung zwischen dein jungen Mann und Gräfin Jskritzky kommt. Lorm
kehrt nach Rußland zurück, wo inzwischen auch in seinen Verwandten- und Be¬
kanntenkreisen mancherlei Wandlungen vorgegangen sind. Er kann die einst ver¬
lassene glänzende Laufbahn nicht wieder antreten und muß sich — da er es für
unvermeidlich erachtet — entschließen, sich dem Zivildieust zu widmen. Mit
diesem Teil des Romans werden wir dann aus der russische» Hauptstadt und
nus jenen Punkten Italiens und Deutschlands, die vornehme Russen gern als
Umgebungen von Petersburg nuseheu, nach der Kreisstadt und der Provinz ge¬
führt, eine gnuze Reihe neuer Charaktere, die in den Gang der Geschichte ein¬
greifen, treten auf. Aber alle Episoden können das Schlnßresultat, dem „Loriu"
zutreibt, uicht anschalten: der Held findet sich in entscheidender Stunde mit Olga
Nikolajewua Ssoboliu wieder zusammen und erscheint endlich, nunmehr als der
glückliche Bräutigam des Mädchens ein zweitesmal in der Kasauscheu Kathedrale,
um Dankgebete und geweihte Kerzen für die unverhofft und beinahe, möchte man
sagen, unverdient glückliche Wendung seines Lebens darzubringen.

Doch, wie schon gesagt, uicht in der einfachen und ohne besondere Ver¬
wicklung oder Spannung verlaufenden Handlung liegt die Starke des Walujewscheu
Romans. Die einzelnen Szenen, zu denen der skizzirte Verlauf des „Loriu"
Anlaß giebt, sind mit Weltkenntnis, mit feinem Blick auch für die Äußerlichkeit
der Dinge, mit gutem Takt und Geschmack dargestellt. Ohne besonders ergreifende
oder glänzende Schilderungen versteht Walnjew Stimmung zu erwecken, deu
Vorgängen einen entsprechenden Hintergrund zu verleihen. Die Hauptsache bleibt
überall die Charakteristik. Eine reiche Galerie von Gestalten, von denen wir
die hauptsächlichsten schon genannt haben, fesselt die Aufmerksamkeit und großen¬
teils auch den persönlichen Anteil des Lesers. Da sind außer Lorm und Ringstahl,
den Ssobolins und der unglücklichen Gräfin Jskritzky, vor allem Fürst und Fürstin
Belsky, da ist Andrej Michailowitsch Roschtschin, der, nachdem er aus verzeih¬
lichein Ärger seinem Neffen seine väterliche Teilnahme entzogen, in bedenkliche
.Hände gerät, da sind Fürst und Fürstin Pronsky in Krcisnoserk. Fürst Sabeliu,
Muromsky, der Adelsmarschnll und Iwan Livowitsch Bassargin auf Bassinv,
lauter Figuren, die verschiedene Lebenskreise repräsentiren und, die optimistische
Auffassung und Beleuchtung des Verfassers einmal zugegeben, einen Fond von
menschlicher Tüchtigkeit und Vortrefflichkeit enthalten, mit dem man, wenn nicht
das Reich, so doch die russische Gesellschaft reformiren könnte. Der Nichtrusse
freilich wird auch in dieser optimistischen Schilderung gewisse Züge mir mit
skeptischen Blicke betrachten können. So erscheint z. B. der Bnron Ringstahl,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/475>, abgerufen am 24.08.2024.