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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Regen.

Himmels, alles wäre ohne Wusser nicht vorhanden. Ich kann nur nichts un¬
erfreulicheres denken als eine Mondlandschaft, schwarzer Himmel, pechschwarzer
Schatte", grell weißes, gelbes und braunes Gestein, keine Nähe und keine Ferne,
die ganze Landschaft ein Bild unvermittelter Flecken. Und das alles, weil der
Mond kein Wasser hat.

Wenn wir jedoch dein Wassergehalte der Erde soviel Schönheit verdauten,
so kann freilich anch das erfreuliche sehr unerfreulich werden, wenn die Wolken-
Partien anfangen ans die Erde zu kommen. Man braucht, um anzuzeigen, daß
etwas völlig mißlungen sei, den Ausdruck: es ist zu Wasser geworden. Und
wie unzählige erinnern sich aus diesem Jahre nicht solcher zu Wasser gewordenen
Ausflüge, bei denen die Kleider anfingen zu vergletschern, Waldbäche den Rücken
hinunter liefen und Seen sich in den Stiefeln bildeten. Dn gelangt mancher
an das Ende des Humors -- um des schönen Wassergehaltes der Luft willen.
Und noch schlimmer ist es, wenn ein Mensch nach einem berühmten Aussichts¬
punkte tagelang gewandert ist und "um bei zweifelhaftem Unterkommen festsitzt.
Die Aussicht sieht aus wie das Jnnere eines Sackes, und dabei ist nicht einmal
die Möglichkeit eines Rückzuges vorhanden. Es bleibt nichts übrig als ge¬
duldig auszuharren, während der Regen mit klingender Unermüdlichkeit von
alleu Dächern trieft, aus allen Spalten sprudelt, auf alleu Wegen rauscht, alle
Wiesen schwammvvll füllt, und während die Fcrientage unwiederbringlich da¬
hingehen.

Und das sind immerhin nur kleine Übel; die größeren, wenn vom Regen
Sein oder Nichtsein abhängt, ist es nicht nötig zu schildern. Wir brauchen in
gewissen wohlzugemessenen Quantitäten das Wasser der Luft so notwendig, wie
der Fisch die Luft des Wassers.

Dies Zumessen besorgen Wasser und Lust gegenseitig. Unsre Erde ist mit
einem doppelten Meere, wie mit einem doppelten Kleide umgeben, dem Luft-
und dem Wasfermecre. Die Oberflächen beider ruhen aufeinander und sind der
Schauplatz der lebhaftesten beiderseitigen Bewegungen. Beim Meere die Welle,
bei der Luft der Wind. Die Welle bewegt das Meer nicht tiefer als sie selbst
hoch ist: weiter unten herrscht anch während des Sturmes Stille, es müßte
denn sein, daß eine Meeresströmung die ganze Wassermnsse bewegte. Das Luft-
meer ist an seiner Unterseite, das heißt an der ans Land und Meer anfliegenden
Seite, am meisten bewegt. Die Strömungen, die wir Wind nennen, streichen
mit größter Gewalt nahe der Erdoberfläche hin, und anch gewaltige Wirbel¬
stürme reichen, wie man in Amerika auf isolirten hohen Bergen beobachtet hat,
selten über 6000 Fuß Höhe empor. Übrigens darf man als Gegenbeweis nicht
den Sturm anführen, welcher oft über die mehr als 10 000 Fuß hohen Berge
der Alpenkette hiubraust, denn hier ist die Lust durch die im Wege liegende
Bergwand gezwungen emporzusteigen. In höhern Regionen herrscht meist ein
ruhiger von Südwest nach Nordost fließender Strom.


Der Regen.

Himmels, alles wäre ohne Wusser nicht vorhanden. Ich kann nur nichts un¬
erfreulicheres denken als eine Mondlandschaft, schwarzer Himmel, pechschwarzer
Schatte», grell weißes, gelbes und braunes Gestein, keine Nähe und keine Ferne,
die ganze Landschaft ein Bild unvermittelter Flecken. Und das alles, weil der
Mond kein Wasser hat.

Wenn wir jedoch dein Wassergehalte der Erde soviel Schönheit verdauten,
so kann freilich anch das erfreuliche sehr unerfreulich werden, wenn die Wolken-
Partien anfangen ans die Erde zu kommen. Man braucht, um anzuzeigen, daß
etwas völlig mißlungen sei, den Ausdruck: es ist zu Wasser geworden. Und
wie unzählige erinnern sich aus diesem Jahre nicht solcher zu Wasser gewordenen
Ausflüge, bei denen die Kleider anfingen zu vergletschern, Waldbäche den Rücken
hinunter liefen und Seen sich in den Stiefeln bildeten. Dn gelangt mancher
an das Ende des Humors — um des schönen Wassergehaltes der Luft willen.
Und noch schlimmer ist es, wenn ein Mensch nach einem berühmten Aussichts¬
punkte tagelang gewandert ist und »um bei zweifelhaftem Unterkommen festsitzt.
Die Aussicht sieht aus wie das Jnnere eines Sackes, und dabei ist nicht einmal
die Möglichkeit eines Rückzuges vorhanden. Es bleibt nichts übrig als ge¬
duldig auszuharren, während der Regen mit klingender Unermüdlichkeit von
alleu Dächern trieft, aus allen Spalten sprudelt, auf alleu Wegen rauscht, alle
Wiesen schwammvvll füllt, und während die Fcrientage unwiederbringlich da¬
hingehen.

Und das sind immerhin nur kleine Übel; die größeren, wenn vom Regen
Sein oder Nichtsein abhängt, ist es nicht nötig zu schildern. Wir brauchen in
gewissen wohlzugemessenen Quantitäten das Wasser der Luft so notwendig, wie
der Fisch die Luft des Wassers.

Dies Zumessen besorgen Wasser und Lust gegenseitig. Unsre Erde ist mit
einem doppelten Meere, wie mit einem doppelten Kleide umgeben, dem Luft-
und dem Wasfermecre. Die Oberflächen beider ruhen aufeinander und sind der
Schauplatz der lebhaftesten beiderseitigen Bewegungen. Beim Meere die Welle,
bei der Luft der Wind. Die Welle bewegt das Meer nicht tiefer als sie selbst
hoch ist: weiter unten herrscht anch während des Sturmes Stille, es müßte
denn sein, daß eine Meeresströmung die ganze Wassermnsse bewegte. Das Luft-
meer ist an seiner Unterseite, das heißt an der ans Land und Meer anfliegenden
Seite, am meisten bewegt. Die Strömungen, die wir Wind nennen, streichen
mit größter Gewalt nahe der Erdoberfläche hin, und anch gewaltige Wirbel¬
stürme reichen, wie man in Amerika auf isolirten hohen Bergen beobachtet hat,
selten über 6000 Fuß Höhe empor. Übrigens darf man als Gegenbeweis nicht
den Sturm anführen, welcher oft über die mehr als 10 000 Fuß hohen Berge
der Alpenkette hiubraust, denn hier ist die Lust durch die im Wege liegende
Bergwand gezwungen emporzusteigen. In höhern Regionen herrscht meist ein
ruhiger von Südwest nach Nordost fließender Strom.


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[0463] Der Regen. Himmels, alles wäre ohne Wusser nicht vorhanden. Ich kann nur nichts un¬ erfreulicheres denken als eine Mondlandschaft, schwarzer Himmel, pechschwarzer Schatte», grell weißes, gelbes und braunes Gestein, keine Nähe und keine Ferne, die ganze Landschaft ein Bild unvermittelter Flecken. Und das alles, weil der Mond kein Wasser hat. Wenn wir jedoch dein Wassergehalte der Erde soviel Schönheit verdauten, so kann freilich anch das erfreuliche sehr unerfreulich werden, wenn die Wolken- Partien anfangen ans die Erde zu kommen. Man braucht, um anzuzeigen, daß etwas völlig mißlungen sei, den Ausdruck: es ist zu Wasser geworden. Und wie unzählige erinnern sich aus diesem Jahre nicht solcher zu Wasser gewordenen Ausflüge, bei denen die Kleider anfingen zu vergletschern, Waldbäche den Rücken hinunter liefen und Seen sich in den Stiefeln bildeten. Dn gelangt mancher an das Ende des Humors — um des schönen Wassergehaltes der Luft willen. Und noch schlimmer ist es, wenn ein Mensch nach einem berühmten Aussichts¬ punkte tagelang gewandert ist und »um bei zweifelhaftem Unterkommen festsitzt. Die Aussicht sieht aus wie das Jnnere eines Sackes, und dabei ist nicht einmal die Möglichkeit eines Rückzuges vorhanden. Es bleibt nichts übrig als ge¬ duldig auszuharren, während der Regen mit klingender Unermüdlichkeit von alleu Dächern trieft, aus allen Spalten sprudelt, auf alleu Wegen rauscht, alle Wiesen schwammvvll füllt, und während die Fcrientage unwiederbringlich da¬ hingehen. Und das sind immerhin nur kleine Übel; die größeren, wenn vom Regen Sein oder Nichtsein abhängt, ist es nicht nötig zu schildern. Wir brauchen in gewissen wohlzugemessenen Quantitäten das Wasser der Luft so notwendig, wie der Fisch die Luft des Wassers. Dies Zumessen besorgen Wasser und Lust gegenseitig. Unsre Erde ist mit einem doppelten Meere, wie mit einem doppelten Kleide umgeben, dem Luft- und dem Wasfermecre. Die Oberflächen beider ruhen aufeinander und sind der Schauplatz der lebhaftesten beiderseitigen Bewegungen. Beim Meere die Welle, bei der Luft der Wind. Die Welle bewegt das Meer nicht tiefer als sie selbst hoch ist: weiter unten herrscht anch während des Sturmes Stille, es müßte denn sein, daß eine Meeresströmung die ganze Wassermnsse bewegte. Das Luft- meer ist an seiner Unterseite, das heißt an der ans Land und Meer anfliegenden Seite, am meisten bewegt. Die Strömungen, die wir Wind nennen, streichen mit größter Gewalt nahe der Erdoberfläche hin, und anch gewaltige Wirbel¬ stürme reichen, wie man in Amerika auf isolirten hohen Bergen beobachtet hat, selten über 6000 Fuß Höhe empor. Übrigens darf man als Gegenbeweis nicht den Sturm anführen, welcher oft über die mehr als 10 000 Fuß hohen Berge der Alpenkette hiubraust, denn hier ist die Lust durch die im Wege liegende Bergwand gezwungen emporzusteigen. In höhern Regionen herrscht meist ein ruhiger von Südwest nach Nordost fließender Strom.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/463>, abgerufen am 24.08.2024.