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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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von fortschrittlichen Demagogen eingeredete und eingeschreckte Abfall von diesen:
Gedanken. Bildete doch von allen den damals geforderten und davongetragenen
revolutionären Errungenschaften der Glaube an das kommende neue Reich den
festen konservativen Kern, den unverletzten und unverletzbaren patriotisch-religiösen
Grundgedanken, und ließ über allem Blut und Dunst des Augenblicks dieses
mutig zu erstrebende hohe Ziel, diesen hingebungsvoll zu erstnrmeuden Siegcs-
gipfel immer leuchtend emporsteigen; während das sezessionistisch-fortschrittliche
Wahlprogramm -- dieses unmittelbar an dem Kreuzberg unsers zweiten großen
Freiheitskrieges aufgebaute Tivoli -- dem nun glücklich erreichten Ziele den Rücken
wendet und, unter dem Banner individualistischer Freiheit, d. i. selbstsüchtiger
Eitelkeit, Wohlfeilheit, Sparsamkeit und Bequemlichkeit, das deutsche Volk alle
die edeln Empfindungen seines langen tapfern Ringens und Erringens wieder
vergessen und die Männer verleugnen lehrt, durch die der Himmel seine Tapfer¬
keit gesegnet und mit Sieg gekrönt hat.

Es war zu erwarten, daß bei dem nnter dem Einflusse solcher Wahlagi¬
tationen neuentstandene, ans Kosten der reichstrenen Fraktionen dnrch Fort¬
schrittler und Sezessionisten beschickten Reichstage die vorgelegten Reformpläne,
trotz der kaiserlichen Botschaft und trotz der Reden des Reichskanzlers, doch
keine Annahme finden würden, namentlich nicht das Tabaksmonopol, das, als
ein so wesentliches Stärkungsmittel des Reiches, deu kirchlich-politischen Rück¬
sichten gerade derjenigen Fraktion widerstrebt, deren gesundem nationalökono¬
mischen Verstände die bisherigen wirtschaftlichen Reformen ihre Annahme
hauptsächlich zu verdanken gehabt haben. Mit dem unnatürlichen Abfall des reichs¬
freundlich gebornen Liberalismus, sowie mit dem hierdurch nenermntigten Eigennutz
der wirtschaftlichen Sondcrinteressen, verband sich die natürliche Reichsfeindlich¬
keit des Romanismus -- mit der dünkelhaften Gesetzlosigkeit der Juden-leis
(Z-si-ruf-na die strenge Botmäßigkeit der I^idortas Ronmna --, um der jungen
Germania diesen Weg der Lebensentwicklnng zu versperren und ihr, die jetzt
gleichsam auf fünfundzwanzig Schilden emporgehoben in der Luft schwebt, den
festen Boden eines selbständigen Daseins noch zeitweilig zu entziehen. Aber dieser
Parlamentarische Mißerfolg ist immer noch ein geringeres Übel, als jene damit
zusammenhängende rcichsfeindliche Mißstimmung im Herzen der Wähler, als
die dem Gewissen des deutschen Volkes, nach allen Bnßnngen und Sühnungen
der Jahre 1848 und 1870, dnrch Wahl- und Parlamentsreden neu eingeimpfte
antinationale Blutvergiftung in einem Augenblicke, wo das innere Werden unsers
halbfertigen Reichs und nationalen Lebens ans den: Spiele steht, als, nnter
vollkommen neuen Verhältnissen, einem reichstreuen Bnndesrat und großenteils
deutsch gewordenem Konservativismus gegenüber, diese dnrch Rede und Presse
millionenfach ausgestreute sunt des alten eitlen Oppositionskitzels nud pseudv-
idealen Gedmikenschwindels. Weder jene staatenbündlichcu Verfolgungen und
Verurteilungen, denen die Entartung des deutschen Liberalismus ihr regicruugs-


von fortschrittlichen Demagogen eingeredete und eingeschreckte Abfall von diesen:
Gedanken. Bildete doch von allen den damals geforderten und davongetragenen
revolutionären Errungenschaften der Glaube an das kommende neue Reich den
festen konservativen Kern, den unverletzten und unverletzbaren patriotisch-religiösen
Grundgedanken, und ließ über allem Blut und Dunst des Augenblicks dieses
mutig zu erstrebende hohe Ziel, diesen hingebungsvoll zu erstnrmeuden Siegcs-
gipfel immer leuchtend emporsteigen; während das sezessionistisch-fortschrittliche
Wahlprogramm — dieses unmittelbar an dem Kreuzberg unsers zweiten großen
Freiheitskrieges aufgebaute Tivoli — dem nun glücklich erreichten Ziele den Rücken
wendet und, unter dem Banner individualistischer Freiheit, d. i. selbstsüchtiger
Eitelkeit, Wohlfeilheit, Sparsamkeit und Bequemlichkeit, das deutsche Volk alle
die edeln Empfindungen seines langen tapfern Ringens und Erringens wieder
vergessen und die Männer verleugnen lehrt, durch die der Himmel seine Tapfer¬
keit gesegnet und mit Sieg gekrönt hat.

Es war zu erwarten, daß bei dem nnter dem Einflusse solcher Wahlagi¬
tationen neuentstandene, ans Kosten der reichstrenen Fraktionen dnrch Fort¬
schrittler und Sezessionisten beschickten Reichstage die vorgelegten Reformpläne,
trotz der kaiserlichen Botschaft und trotz der Reden des Reichskanzlers, doch
keine Annahme finden würden, namentlich nicht das Tabaksmonopol, das, als
ein so wesentliches Stärkungsmittel des Reiches, deu kirchlich-politischen Rück¬
sichten gerade derjenigen Fraktion widerstrebt, deren gesundem nationalökono¬
mischen Verstände die bisherigen wirtschaftlichen Reformen ihre Annahme
hauptsächlich zu verdanken gehabt haben. Mit dem unnatürlichen Abfall des reichs¬
freundlich gebornen Liberalismus, sowie mit dem hierdurch nenermntigten Eigennutz
der wirtschaftlichen Sondcrinteressen, verband sich die natürliche Reichsfeindlich¬
keit des Romanismus — mit der dünkelhaften Gesetzlosigkeit der Juden-leis
(Z-si-ruf-na die strenge Botmäßigkeit der I^idortas Ronmna —, um der jungen
Germania diesen Weg der Lebensentwicklnng zu versperren und ihr, die jetzt
gleichsam auf fünfundzwanzig Schilden emporgehoben in der Luft schwebt, den
festen Boden eines selbständigen Daseins noch zeitweilig zu entziehen. Aber dieser
Parlamentarische Mißerfolg ist immer noch ein geringeres Übel, als jene damit
zusammenhängende rcichsfeindliche Mißstimmung im Herzen der Wähler, als
die dem Gewissen des deutschen Volkes, nach allen Bnßnngen und Sühnungen
der Jahre 1848 und 1870, dnrch Wahl- und Parlamentsreden neu eingeimpfte
antinationale Blutvergiftung in einem Augenblicke, wo das innere Werden unsers
halbfertigen Reichs und nationalen Lebens ans den: Spiele steht, als, nnter
vollkommen neuen Verhältnissen, einem reichstreuen Bnndesrat und großenteils
deutsch gewordenem Konservativismus gegenüber, diese dnrch Rede und Presse
millionenfach ausgestreute sunt des alten eitlen Oppositionskitzels nud pseudv-
idealen Gedmikenschwindels. Weder jene staatenbündlichcu Verfolgungen und
Verurteilungen, denen die Entartung des deutschen Liberalismus ihr regicruugs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/461>, abgerufen am 25.08.2024.