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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Pfeife des armen Mannes" und "den Staatswucher ans Kosten hunderttausend brot¬
loser Arbeiter" ins Feld führendes neues drastisches Schlngwort. Und fast möchte
man in einer solchen oratorisch-gankelhaften Verwendung des Tabaks eine böse
Nachwirkung seines eignen mißbräuchlichen Gebrauchs erkennen und eine Recht¬
fertigung des französischen Spottwortes, als bestehe zwischen der deutschen Ta¬
bakspfeife und der I/it<zrt6 (Z^rinÄnians der Bierhäuser ein gewisser wnhlvcr-
wandtschaftlicher Zusammenhang.

Noch schlimmer reichsfeindlich aber als diese Agitation gegen das Tnbaks-
monopvl war die in den Wahlreden und Wahlbriefen gleichfalls eine Hauptrolle
spielende Agitation gegen den "Staatssozialismus" des Reichskanzlers, d. h. gegen
den von ihm, in Verbindung mit der Steuerreform, vorgelegten Plan eines
umfassenden Reichsarbeiteruuterstützungsgesetzes, offenbar zu dem doppelten Zweck,
daß dadurch in Deutschland sowohl die sozialistische Frage selbst ihrer einzig
möglichen Lösung entgegengeführt als auch dem Reiche eine neue mächtige Quelle
Moralisch-physischer Stärkung zugeführt und so durch die Lösung der einen Frage
zugleich die Lösung der andern, der deutschen, glücklich vollendet werde. Denn
wenn es, nach allgemeinem Urteil, für eine friedliche Lösung der sozialistischen,
d. i. der Arbeitcrnotstandsfrage, in der That kein passenderes Mittel giebt, als
die vom Reichskanzler vorgeschlagene Einrichtung obligatorischer Selbstuutcr-
stützungskassen mit landschaftlich-korporativer Gliederung und Selbstverwaltung,
so wird das für diese Einrichtung bei den Arbeitern erforderliche allgemeine
Zutrauen auch gewiß nur in eiuer, der Heereseinrichtung gleichartigen, obersten
kaiserlichen Führung und Obhut seinen genügenden Stützpunkt finden können,
"ur in jenem wohlbekannten obersten Blick und Befehl, der, wie er über das
Kriegshandwerk und die militärische Erziehung Deutschlands wacht, so uun auch
Ä'er dessen freidliche Arbeit und Arbeitserfolge zu wachen berufen ist. Das
^'evolutionäre Wahnbild einer großen komnuunstischen Völkerrepublik, mit dem der
Anarchismus und Nihilismus den deutschen Arbeiter zu verlocken sucht, erheischt
"is Gegengewicht den sicheren Hinblick ans eine einheitlich-mächtige Fürsorge im
eigenen Vaterlande, eine Fürsorge, die nicht minder den unmittelbaren Ertrag
^'r Arbeit gegen fremde Konkurrenz und Geldübermacht schützt, als den Betrag
^'r zum Schutz gegen Alter, Krankheit und Unfall eingezahlten Ersparnisse
verbürgt und sicherstellt, und denselben anch, wo nötig, aus eignen Mitteln --
^"s einer, besonders zu bildenden, Reichshilfskasse -- ergänzen wird. Und welche
'"ächtigere Stärkung und Sicherung kann dann auch seinerseits das Reich ge¬
nuinen, als die Herstellung eines solchen millionenfach persönlichen Vertrauens¬
verhältnisses, das ein Drittteil der deutschen Bevölkerung dauernd an Kaiser und
^eich fesselt und jeues schon vorhandene Band militärischer Zucht, Pflicht und
^hre mit einem neuen allgemeinen Bande bürgerlicher Zucht und Ehre, sans-
^her Tapferkeit im Dnrchtampfen des täglichen Lebenskampfes verknüpft und
Selbstgefühl des militärischen Zusammenhangs zu einem Gewissen der großen


Pfeife des armen Mannes" und „den Staatswucher ans Kosten hunderttausend brot¬
loser Arbeiter" ins Feld führendes neues drastisches Schlngwort. Und fast möchte
man in einer solchen oratorisch-gankelhaften Verwendung des Tabaks eine böse
Nachwirkung seines eignen mißbräuchlichen Gebrauchs erkennen und eine Recht¬
fertigung des französischen Spottwortes, als bestehe zwischen der deutschen Ta¬
bakspfeife und der I/it<zrt6 (Z^rinÄnians der Bierhäuser ein gewisser wnhlvcr-
wandtschaftlicher Zusammenhang.

Noch schlimmer reichsfeindlich aber als diese Agitation gegen das Tnbaks-
monopvl war die in den Wahlreden und Wahlbriefen gleichfalls eine Hauptrolle
spielende Agitation gegen den „Staatssozialismus" des Reichskanzlers, d. h. gegen
den von ihm, in Verbindung mit der Steuerreform, vorgelegten Plan eines
umfassenden Reichsarbeiteruuterstützungsgesetzes, offenbar zu dem doppelten Zweck,
daß dadurch in Deutschland sowohl die sozialistische Frage selbst ihrer einzig
möglichen Lösung entgegengeführt als auch dem Reiche eine neue mächtige Quelle
Moralisch-physischer Stärkung zugeführt und so durch die Lösung der einen Frage
zugleich die Lösung der andern, der deutschen, glücklich vollendet werde. Denn
wenn es, nach allgemeinem Urteil, für eine friedliche Lösung der sozialistischen,
d. i. der Arbeitcrnotstandsfrage, in der That kein passenderes Mittel giebt, als
die vom Reichskanzler vorgeschlagene Einrichtung obligatorischer Selbstuutcr-
stützungskassen mit landschaftlich-korporativer Gliederung und Selbstverwaltung,
so wird das für diese Einrichtung bei den Arbeitern erforderliche allgemeine
Zutrauen auch gewiß nur in eiuer, der Heereseinrichtung gleichartigen, obersten
kaiserlichen Führung und Obhut seinen genügenden Stützpunkt finden können,
»ur in jenem wohlbekannten obersten Blick und Befehl, der, wie er über das
Kriegshandwerk und die militärische Erziehung Deutschlands wacht, so uun auch
Ä'er dessen freidliche Arbeit und Arbeitserfolge zu wachen berufen ist. Das
^'evolutionäre Wahnbild einer großen komnuunstischen Völkerrepublik, mit dem der
Anarchismus und Nihilismus den deutschen Arbeiter zu verlocken sucht, erheischt
"is Gegengewicht den sicheren Hinblick ans eine einheitlich-mächtige Fürsorge im
eigenen Vaterlande, eine Fürsorge, die nicht minder den unmittelbaren Ertrag
^'r Arbeit gegen fremde Konkurrenz und Geldübermacht schützt, als den Betrag
^'r zum Schutz gegen Alter, Krankheit und Unfall eingezahlten Ersparnisse
verbürgt und sicherstellt, und denselben anch, wo nötig, aus eignen Mitteln —
^»s einer, besonders zu bildenden, Reichshilfskasse — ergänzen wird. Und welche
'»ächtigere Stärkung und Sicherung kann dann auch seinerseits das Reich ge¬
nuinen, als die Herstellung eines solchen millionenfach persönlichen Vertrauens¬
verhältnisses, das ein Drittteil der deutschen Bevölkerung dauernd an Kaiser und
^eich fesselt und jeues schon vorhandene Band militärischer Zucht, Pflicht und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/459>, abgerufen am 25.08.2024.