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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Und wo ist deine Frau, lieber Meriadee? fragte der Graf.
Meine Frnn ist verreist, lieber Viktor, antwortete der Prinz.
Allein? fragten Graf und Gräfin verwundert.

Schwerlich, entgegnete der Prinz von Parolignae. Sie scheint mit 'ihrem
Retter, dem ehemaligen Lieutenant Stahlhardt, dessen Bekanntschaft sie hier
erneuerte, abgereist zu sein, und zwar zu Wasser.

Was sagst du? rief der Gras, während seine Frau in starrem Staunen
das ruhige Gesicht des Prinzen mit weit offnen blauen Angen betrachtete.

Ich sage, daß meine Frau vor drei Tagen eines Abends spät abgereist ist,
ohne so höflich zu sein, mich zu benachrichtigen, und daß ich stark vermute, sie
ist von ihrem Vetter, mit dem sie eine Liaison hatte, begleitet worden.

Und dabei bist du so ruhig?
Was könnte es mir denn nützen, ^ wenn ich unruhig wäre?

Du kannst sie doch verfolgen, du knuust alle Telegraphen in Bewegung
setzen, kannst sie wiederfinden, den frechen Verführer niederschießen lind die treu¬
lose Frau zu ihrer Pflicht zurückführen. Ich begreife dich nicht.

Mein lieber Viktor, sagte der Prinz, ich habe much daran gedacht, aber ich
habe mich eines Bessern besonnen. Man ist niemals objektiv genug, sagte ich
mir. Du darfst mich darin nicht falsch verstehen. Niemand kann strengere Be¬
griffe von der Heiligkeit der Ehe haben als ich. Die christliche Ehe ist das Fun¬
dament unserer sozialen Ordnung. Aber man soll doch stets die ruhige Ver¬
nunft zu Rate ziehen. Wenn meine Fran mich verläßt, so geht daraus doch
hervor, daß es ihr anderswo besser gefällt als bei mir, und wenn sie mit ihrem
Vetter reist, so ist das doch ein klarer Beweis, daß sie sich in seiner Gesellschaft
besser anüisirt als in der meinigen. Was soll ich also thun? Ich kann es be¬
klagen, daß sie keinen bessern Geschmack hat, kann es bedauern, daß sie nicht mich
für den liebenswürdigsten Mann auf Erden hält, aber ich kauu ihren Geschmack
schwerlich dadurch verbessern, daß ich sie gewaltsam festhalte. Ich erinnere mich
noch aus meiner Kindheit, daß ich keine Erdbeeren essen mochte, während Erd¬
beeren doch an und für sich gewiß ein gutes und wohlschmeckendes Essen sind. Meine
gute selige Mutter hielt sie für sehr gesund und wollte sie nur einige Male mit
Gewalt aufnötigen, und das hat mir einen solchen Widerwillen gegen die Frucht
eingeflößt, daß ich sie heutiges Tages uoch uicht einmal seyen kaun ohne ein
drückendes Gefühl im Magen. Mit der Liebe ist es gerade so. Sie läßt sich
uicht erzwingen. Ich halte mich selbst für einen Mann, nicht besser, aber mich
nicht schlechter, als der Durchschnitt der Männer ist. Wenn aber Cheva nun
einmal keinen Geschmack an mir findet, soll ich mich ihr durch Zwang völlig
widerwärtig macheu? Da ist ein Freund von mir i" Paris, ein liebenswürdiger,
charmanter Mann, der Chevalier Lestveq, dem auch die unangenehme Sache
passirte, daß seine Frau mit einem andern Herrn, einem jungen Engländer,
Attache bei der Botschaft in Paris, durchging. Er machte es so, wie du meinst,


Bakchen und Thyrsosträger.

Und wo ist deine Frau, lieber Meriadee? fragte der Graf.
Meine Frnn ist verreist, lieber Viktor, antwortete der Prinz.
Allein? fragten Graf und Gräfin verwundert.

Schwerlich, entgegnete der Prinz von Parolignae. Sie scheint mit 'ihrem
Retter, dem ehemaligen Lieutenant Stahlhardt, dessen Bekanntschaft sie hier
erneuerte, abgereist zu sein, und zwar zu Wasser.

Was sagst du? rief der Gras, während seine Frau in starrem Staunen
das ruhige Gesicht des Prinzen mit weit offnen blauen Angen betrachtete.

Ich sage, daß meine Frau vor drei Tagen eines Abends spät abgereist ist,
ohne so höflich zu sein, mich zu benachrichtigen, und daß ich stark vermute, sie
ist von ihrem Vetter, mit dem sie eine Liaison hatte, begleitet worden.

Und dabei bist du so ruhig?
Was könnte es mir denn nützen, ^ wenn ich unruhig wäre?

Du kannst sie doch verfolgen, du knuust alle Telegraphen in Bewegung
setzen, kannst sie wiederfinden, den frechen Verführer niederschießen lind die treu¬
lose Frau zu ihrer Pflicht zurückführen. Ich begreife dich nicht.

Mein lieber Viktor, sagte der Prinz, ich habe much daran gedacht, aber ich
habe mich eines Bessern besonnen. Man ist niemals objektiv genug, sagte ich
mir. Du darfst mich darin nicht falsch verstehen. Niemand kann strengere Be¬
griffe von der Heiligkeit der Ehe haben als ich. Die christliche Ehe ist das Fun¬
dament unserer sozialen Ordnung. Aber man soll doch stets die ruhige Ver¬
nunft zu Rate ziehen. Wenn meine Fran mich verläßt, so geht daraus doch
hervor, daß es ihr anderswo besser gefällt als bei mir, und wenn sie mit ihrem
Vetter reist, so ist das doch ein klarer Beweis, daß sie sich in seiner Gesellschaft
besser anüisirt als in der meinigen. Was soll ich also thun? Ich kann es be¬
klagen, daß sie keinen bessern Geschmack hat, kann es bedauern, daß sie nicht mich
für den liebenswürdigsten Mann auf Erden hält, aber ich kauu ihren Geschmack
schwerlich dadurch verbessern, daß ich sie gewaltsam festhalte. Ich erinnere mich
noch aus meiner Kindheit, daß ich keine Erdbeeren essen mochte, während Erd¬
beeren doch an und für sich gewiß ein gutes und wohlschmeckendes Essen sind. Meine
gute selige Mutter hielt sie für sehr gesund und wollte sie nur einige Male mit
Gewalt aufnötigen, und das hat mir einen solchen Widerwillen gegen die Frucht
eingeflößt, daß ich sie heutiges Tages uoch uicht einmal seyen kaun ohne ein
drückendes Gefühl im Magen. Mit der Liebe ist es gerade so. Sie läßt sich
uicht erzwingen. Ich halte mich selbst für einen Mann, nicht besser, aber mich
nicht schlechter, als der Durchschnitt der Männer ist. Wenn aber Cheva nun
einmal keinen Geschmack an mir findet, soll ich mich ihr durch Zwang völlig
widerwärtig macheu? Da ist ein Freund von mir i» Paris, ein liebenswürdiger,
charmanter Mann, der Chevalier Lestveq, dem auch die unangenehme Sache
passirte, daß seine Frau mit einem andern Herrn, einem jungen Engländer,
Attache bei der Botschaft in Paris, durchging. Er machte es so, wie du meinst,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/45>, abgerufen am 22.07.2024.