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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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tungen nus dem Zusammenhange gerissene Stellen mit, um zu zeigen, was die
konservative Partei wolle, nämlich: Erhaltung der christlichen Volksschule, Zurück¬
weisung des Einflusses des Judentums im Staatsleben (das Wort "über¬
wuchernden" war weggeblieben), Beilegung des Kulturkampfes und -- Besei¬
tigung des Hausirhaudels. Natürlich hat sich der liberale Spießbürger bei der
Lektüre bekreuzt. Da sieht man's, die leibhafte Reaktion, das pure Mittelalter!
Daß die aufgeführte" Pnnkte ungefähr nur ein Zehntel des Ganzen ausmachen,
daß aber vor allein nicht Beseitigung des Hansirhandels überhaupt, sondern nur
des gemeinschädlichem Hansireus "mit Vieh, Ellenwaaren, fertigen Handwcrks-
waaren, Schnaps und Wertpapieren" gefordert wird, erfährt der Leser nicht.
Eine solche Art des ZitirenS länft aber auf absichtliche Verleumdung der Ver¬
fasser des Programms und ans Verfälschung der dein Abonnenten zu liefernde,?
Waare hinaus. Und sollte ein Redakteur sich darauf ausreden Wollen, er habe
deu Unterschied zwischen dem Originaltext und seinem Zitat nicht erkannt, so
würde er damit beweisen, daß ihm die für seine Stellung erforderlichen Fähig¬
keiten abgehen. So oft es sich um Besteuerung oder um gesetzliche Beauf¬
sichtigung der Zeitungen handelt, werden die Interessen der Zeitnngsindnstrie
geltend gemacht, wird berechnet, wieviele Menschen dieselbe beschäftigt, wieviel
Papier sie verbraucht, wieviel sie der Post eintrügt; es wäre also billig, auch
bei andern Anlässen sie wie andre gewerbliche Unternehmungen zu behandeln.

Daß die Publizistik zu einer Industrie geworden ist, das hat ja offenbar
am meisten zu ihrem Verderb beigetragen. Auch hier zeigt sich die unbeschränkte
Konkurrenz im schönsten Lichte. Gediegenheit des Inhalts, Zuverlässigkeit der
Nachrichten, würdiger Ton, gebildeter Stil: das wäre ungefähr, was der Leser
von seinem Blatte verlangen sollte, welcher Partei beide angehören mögen. Nun
tritt aber der gewiegte Geschäftsmann ans. Er hat erkannt, daß mit einer Zei¬
tung, insofern sie Annoncen und Reklamen aufnimmt, ebensogut ein großes Ge¬
schäft zu machen sei wie mit Getreide oder Lotterielvvsen oder Haseufelleu, wenn
man es nnr richtig angreift, etwa nach dem System, nach welchem die großen
Kleidermagazine betrieben werden. Mail muß sehr viel für wenig Geld geben;
nimmt einer einen ganzen Anzug, erhält er noch einen aufgebügelten Hut obenein,
der Schnitt wird so eingerichtet, daß die Gegenstände jedermann "wie angegossen"
passen; solide Arbeit kann natürlich niemand verlangen, wenn sie nnr von heut
auf morgen zusammenheilt und den falschen Glanz nicht verliert. Der Mann
will ja sein Anlagekapital und die großen Spesen für tägliche Ankündigungen
in allen Weltgegenden wieder hereinbekommen, und zwar so schnell und oft als
möglich. Niemand wird die große Ähnlichkeit zwischen beiden Geschäften ver¬
kennen. Wie auf dem Trödelmarkt preisen sich die fortgeschrittensten Blätter
als die billigsten, reichhaltigsten, pikantesten nud -- gesinnungstüchtigsten an
und suchen den Vorübergehenden an den Rockschößen zu sich hereinznzerren. Und
der Ilnschnldige staunt wirklich über die Menge Waare, die ihm für wenige


tungen nus dem Zusammenhange gerissene Stellen mit, um zu zeigen, was die
konservative Partei wolle, nämlich: Erhaltung der christlichen Volksschule, Zurück¬
weisung des Einflusses des Judentums im Staatsleben (das Wort „über¬
wuchernden" war weggeblieben), Beilegung des Kulturkampfes und — Besei¬
tigung des Hausirhaudels. Natürlich hat sich der liberale Spießbürger bei der
Lektüre bekreuzt. Da sieht man's, die leibhafte Reaktion, das pure Mittelalter!
Daß die aufgeführte» Pnnkte ungefähr nur ein Zehntel des Ganzen ausmachen,
daß aber vor allein nicht Beseitigung des Hansirhandels überhaupt, sondern nur
des gemeinschädlichem Hansireus „mit Vieh, Ellenwaaren, fertigen Handwcrks-
waaren, Schnaps und Wertpapieren" gefordert wird, erfährt der Leser nicht.
Eine solche Art des ZitirenS länft aber auf absichtliche Verleumdung der Ver¬
fasser des Programms und ans Verfälschung der dein Abonnenten zu liefernde,?
Waare hinaus. Und sollte ein Redakteur sich darauf ausreden Wollen, er habe
deu Unterschied zwischen dem Originaltext und seinem Zitat nicht erkannt, so
würde er damit beweisen, daß ihm die für seine Stellung erforderlichen Fähig¬
keiten abgehen. So oft es sich um Besteuerung oder um gesetzliche Beauf¬
sichtigung der Zeitungen handelt, werden die Interessen der Zeitnngsindnstrie
geltend gemacht, wird berechnet, wieviele Menschen dieselbe beschäftigt, wieviel
Papier sie verbraucht, wieviel sie der Post eintrügt; es wäre also billig, auch
bei andern Anlässen sie wie andre gewerbliche Unternehmungen zu behandeln.

Daß die Publizistik zu einer Industrie geworden ist, das hat ja offenbar
am meisten zu ihrem Verderb beigetragen. Auch hier zeigt sich die unbeschränkte
Konkurrenz im schönsten Lichte. Gediegenheit des Inhalts, Zuverlässigkeit der
Nachrichten, würdiger Ton, gebildeter Stil: das wäre ungefähr, was der Leser
von seinem Blatte verlangen sollte, welcher Partei beide angehören mögen. Nun
tritt aber der gewiegte Geschäftsmann ans. Er hat erkannt, daß mit einer Zei¬
tung, insofern sie Annoncen und Reklamen aufnimmt, ebensogut ein großes Ge¬
schäft zu machen sei wie mit Getreide oder Lotterielvvsen oder Haseufelleu, wenn
man es nnr richtig angreift, etwa nach dem System, nach welchem die großen
Kleidermagazine betrieben werden. Mail muß sehr viel für wenig Geld geben;
nimmt einer einen ganzen Anzug, erhält er noch einen aufgebügelten Hut obenein,
der Schnitt wird so eingerichtet, daß die Gegenstände jedermann „wie angegossen"
passen; solide Arbeit kann natürlich niemand verlangen, wenn sie nnr von heut
auf morgen zusammenheilt und den falschen Glanz nicht verliert. Der Mann
will ja sein Anlagekapital und die großen Spesen für tägliche Ankündigungen
in allen Weltgegenden wieder hereinbekommen, und zwar so schnell und oft als
möglich. Niemand wird die große Ähnlichkeit zwischen beiden Geschäften ver¬
kennen. Wie auf dem Trödelmarkt preisen sich die fortgeschrittensten Blätter
als die billigsten, reichhaltigsten, pikantesten nud — gesinnungstüchtigsten an
und suchen den Vorübergehenden an den Rockschößen zu sich hereinznzerren. Und
der Ilnschnldige staunt wirklich über die Menge Waare, die ihm für wenige


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[0446] tungen nus dem Zusammenhange gerissene Stellen mit, um zu zeigen, was die konservative Partei wolle, nämlich: Erhaltung der christlichen Volksschule, Zurück¬ weisung des Einflusses des Judentums im Staatsleben (das Wort „über¬ wuchernden" war weggeblieben), Beilegung des Kulturkampfes und — Besei¬ tigung des Hausirhaudels. Natürlich hat sich der liberale Spießbürger bei der Lektüre bekreuzt. Da sieht man's, die leibhafte Reaktion, das pure Mittelalter! Daß die aufgeführte» Pnnkte ungefähr nur ein Zehntel des Ganzen ausmachen, daß aber vor allein nicht Beseitigung des Hansirhandels überhaupt, sondern nur des gemeinschädlichem Hansireus „mit Vieh, Ellenwaaren, fertigen Handwcrks- waaren, Schnaps und Wertpapieren" gefordert wird, erfährt der Leser nicht. Eine solche Art des ZitirenS länft aber auf absichtliche Verleumdung der Ver¬ fasser des Programms und ans Verfälschung der dein Abonnenten zu liefernde,? Waare hinaus. Und sollte ein Redakteur sich darauf ausreden Wollen, er habe deu Unterschied zwischen dem Originaltext und seinem Zitat nicht erkannt, so würde er damit beweisen, daß ihm die für seine Stellung erforderlichen Fähig¬ keiten abgehen. So oft es sich um Besteuerung oder um gesetzliche Beauf¬ sichtigung der Zeitungen handelt, werden die Interessen der Zeitnngsindnstrie geltend gemacht, wird berechnet, wieviele Menschen dieselbe beschäftigt, wieviel Papier sie verbraucht, wieviel sie der Post eintrügt; es wäre also billig, auch bei andern Anlässen sie wie andre gewerbliche Unternehmungen zu behandeln. Daß die Publizistik zu einer Industrie geworden ist, das hat ja offenbar am meisten zu ihrem Verderb beigetragen. Auch hier zeigt sich die unbeschränkte Konkurrenz im schönsten Lichte. Gediegenheit des Inhalts, Zuverlässigkeit der Nachrichten, würdiger Ton, gebildeter Stil: das wäre ungefähr, was der Leser von seinem Blatte verlangen sollte, welcher Partei beide angehören mögen. Nun tritt aber der gewiegte Geschäftsmann ans. Er hat erkannt, daß mit einer Zei¬ tung, insofern sie Annoncen und Reklamen aufnimmt, ebensogut ein großes Ge¬ schäft zu machen sei wie mit Getreide oder Lotterielvvsen oder Haseufelleu, wenn man es nnr richtig angreift, etwa nach dem System, nach welchem die großen Kleidermagazine betrieben werden. Mail muß sehr viel für wenig Geld geben; nimmt einer einen ganzen Anzug, erhält er noch einen aufgebügelten Hut obenein, der Schnitt wird so eingerichtet, daß die Gegenstände jedermann „wie angegossen" passen; solide Arbeit kann natürlich niemand verlangen, wenn sie nnr von heut auf morgen zusammenheilt und den falschen Glanz nicht verliert. Der Mann will ja sein Anlagekapital und die großen Spesen für tägliche Ankündigungen in allen Weltgegenden wieder hereinbekommen, und zwar so schnell und oft als möglich. Niemand wird die große Ähnlichkeit zwischen beiden Geschäften ver¬ kennen. Wie auf dem Trödelmarkt preisen sich die fortgeschrittensten Blätter als die billigsten, reichhaltigsten, pikantesten nud — gesinnungstüchtigsten an und suchen den Vorübergehenden an den Rockschößen zu sich hereinznzerren. Und der Ilnschnldige staunt wirklich über die Menge Waare, die ihm für wenige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/446>, abgerufen am 24.08.2024.