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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Reform der innern Verwaltung in Orenßen.

ermangelt das bisherige Verfahren, indem es statt dessen in allem wesentlichen
die Behandlung streitiger Verwaltungssachen dein Ermessen der entscheidenden
Behörde ebenso anheimgiebt, wie die Behandlung der administrativen Zweck¬
mäßigkeitsfragen. Dieselbe Behörde befindet zur Zeit über Angelegenheiten der
einen oder der andern Art. Begreiflich genug, wenn hiernach die Parteien die
über ihre Rechte und Pflichten getroffene Entscheidung nicht immer mit der
Überzeugung entgegennehmen, daß die Behörde nnter Fernhaltung von Zweck¬
mäßigkeitsrücksichten sich lediglich von Rechtsgründen hat leiten lassen. Begreiflich
umsomehr, wenn die entscheidenden Behörden nach außen hin einer selbständigen
richterlichen Stellung, so wie es der Fall ist, entbehren."

Ans Grund dieser Anschauung wurde dann im K 1 des Gesetzes vom
3. Juli 1875 bestimmt: "Die Gerichtsbarkeit in streitigen Verwaltnngssachen
wird dnrch Verwaltungsgerichte ausgeübt."

In allen Teilen der Verwaltung, wo immer es mich sei, ist aber das
rechtliche und administrative Gebiet unlöslich miteinander verknüpft, fließt das¬
selbe völlig ineinander. Gesichtspunkte der adnnnistrativen Zweckmäßigkeit müssen
überall mit ins Spiel kommen, sobald Verwaltnngsstreitsachen -- die ja als
Jnteresscntvllisionen mit dem öffentlichen Rechte definirt werden -- zur Ent¬
scheidung kommen. Das öffentliche Recht, die öffentlichen Interessen, das all¬
gemeine Wohl lassen sich nirgends gesetzlich fixiren; die Entscheidung darüber,
ob das öffentliche Wohl das maßgebende, die mit demselben in Widerstreit stehenden
subjektiven Interessen hintenan zu stehen haben, ist dehnbar, fortwährend flüssig
und wandelbar, kann hier so, dort anders ausfallen. Die Lage des einzelnen
konkreten Falles, stets sich verändernde Umstände, also Zweckmäßigkeitsriicksichten
in höchster Potenz, werden und müssen in jedem Verwaltnngsstrcitverfahren im
V ordergrnnde steh en.

Dies ist überall, sobald über diesen Gegenstand debattirt worden ist, anerkannt
Der Abgeordnete Laster, gewiß ein testi8 (zi^ssiczus im Sinne der hier erfolgten
Beleuchtung der Verwnltungsstreitsachen, hat sich gelegentlich der Beratung über
die Trennung der Verwaltungsstreitsachen von den Beschlnßsachen im Abgeordneten-
Hanse folgendermaßen geäußert: "Die Grenze zwischen beiden ist nicht überall
dnrch die Beschaffenheit der Gegenstände mit zwingender Gewißheit zu erkennen."
Gewiß nicht. Die Äußerung ist noch dahin zu ergänzen, daß diese Grenze
sich nirgends finden läßt. Der praktische Beleg hierfür ist das Znständigleits-
gesetz vom 26. Juli, in welchem der Versuch der Feststellung der Qunlifikativu
der Verwaltnugssacheu, ob streitige oder uicht streitige, gemacht wurde. Das
Gesetz erinnert mit seinen zahlreichen Detailbestimmungeu über die Rnbrizirnng
der Verwaltnngsgegenstände an die so viel bemängelte Kasuistik des Landrechtes,
Mag irgend ein Gegenstand, welcher im Zuständigkeitsgesetze dem Verwaltnngs-
streitverfahren zugewiesen ist, herausgerissen werden, administrative Zweckmäßig-
keitsgründe werden auch bei seiner Beurteilung maßgebend bleiben. Es mag


Zur Reform der innern Verwaltung in Orenßen.

ermangelt das bisherige Verfahren, indem es statt dessen in allem wesentlichen
die Behandlung streitiger Verwaltungssachen dein Ermessen der entscheidenden
Behörde ebenso anheimgiebt, wie die Behandlung der administrativen Zweck¬
mäßigkeitsfragen. Dieselbe Behörde befindet zur Zeit über Angelegenheiten der
einen oder der andern Art. Begreiflich genug, wenn hiernach die Parteien die
über ihre Rechte und Pflichten getroffene Entscheidung nicht immer mit der
Überzeugung entgegennehmen, daß die Behörde nnter Fernhaltung von Zweck¬
mäßigkeitsrücksichten sich lediglich von Rechtsgründen hat leiten lassen. Begreiflich
umsomehr, wenn die entscheidenden Behörden nach außen hin einer selbständigen
richterlichen Stellung, so wie es der Fall ist, entbehren."

Ans Grund dieser Anschauung wurde dann im K 1 des Gesetzes vom
3. Juli 1875 bestimmt: „Die Gerichtsbarkeit in streitigen Verwaltnngssachen
wird dnrch Verwaltungsgerichte ausgeübt."

In allen Teilen der Verwaltung, wo immer es mich sei, ist aber das
rechtliche und administrative Gebiet unlöslich miteinander verknüpft, fließt das¬
selbe völlig ineinander. Gesichtspunkte der adnnnistrativen Zweckmäßigkeit müssen
überall mit ins Spiel kommen, sobald Verwaltnngsstreitsachen — die ja als
Jnteresscntvllisionen mit dem öffentlichen Rechte definirt werden — zur Ent¬
scheidung kommen. Das öffentliche Recht, die öffentlichen Interessen, das all¬
gemeine Wohl lassen sich nirgends gesetzlich fixiren; die Entscheidung darüber,
ob das öffentliche Wohl das maßgebende, die mit demselben in Widerstreit stehenden
subjektiven Interessen hintenan zu stehen haben, ist dehnbar, fortwährend flüssig
und wandelbar, kann hier so, dort anders ausfallen. Die Lage des einzelnen
konkreten Falles, stets sich verändernde Umstände, also Zweckmäßigkeitsriicksichten
in höchster Potenz, werden und müssen in jedem Verwaltnngsstrcitverfahren im
V ordergrnnde steh en.

Dies ist überall, sobald über diesen Gegenstand debattirt worden ist, anerkannt
Der Abgeordnete Laster, gewiß ein testi8 (zi^ssiczus im Sinne der hier erfolgten
Beleuchtung der Verwnltungsstreitsachen, hat sich gelegentlich der Beratung über
die Trennung der Verwaltungsstreitsachen von den Beschlnßsachen im Abgeordneten-
Hanse folgendermaßen geäußert: „Die Grenze zwischen beiden ist nicht überall
dnrch die Beschaffenheit der Gegenstände mit zwingender Gewißheit zu erkennen."
Gewiß nicht. Die Äußerung ist noch dahin zu ergänzen, daß diese Grenze
sich nirgends finden läßt. Der praktische Beleg hierfür ist das Znständigleits-
gesetz vom 26. Juli, in welchem der Versuch der Feststellung der Qunlifikativu
der Verwaltnugssacheu, ob streitige oder uicht streitige, gemacht wurde. Das
Gesetz erinnert mit seinen zahlreichen Detailbestimmungeu über die Rnbrizirnng
der Verwaltnngsgegenstände an die so viel bemängelte Kasuistik des Landrechtes,
Mag irgend ein Gegenstand, welcher im Zuständigkeitsgesetze dem Verwaltnngs-
streitverfahren zugewiesen ist, herausgerissen werden, administrative Zweckmäßig-
keitsgründe werden auch bei seiner Beurteilung maßgebend bleiben. Es mag


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[0431] Zur Reform der innern Verwaltung in Orenßen. ermangelt das bisherige Verfahren, indem es statt dessen in allem wesentlichen die Behandlung streitiger Verwaltungssachen dein Ermessen der entscheidenden Behörde ebenso anheimgiebt, wie die Behandlung der administrativen Zweck¬ mäßigkeitsfragen. Dieselbe Behörde befindet zur Zeit über Angelegenheiten der einen oder der andern Art. Begreiflich genug, wenn hiernach die Parteien die über ihre Rechte und Pflichten getroffene Entscheidung nicht immer mit der Überzeugung entgegennehmen, daß die Behörde nnter Fernhaltung von Zweck¬ mäßigkeitsrücksichten sich lediglich von Rechtsgründen hat leiten lassen. Begreiflich umsomehr, wenn die entscheidenden Behörden nach außen hin einer selbständigen richterlichen Stellung, so wie es der Fall ist, entbehren." Ans Grund dieser Anschauung wurde dann im K 1 des Gesetzes vom 3. Juli 1875 bestimmt: „Die Gerichtsbarkeit in streitigen Verwaltnngssachen wird dnrch Verwaltungsgerichte ausgeübt." In allen Teilen der Verwaltung, wo immer es mich sei, ist aber das rechtliche und administrative Gebiet unlöslich miteinander verknüpft, fließt das¬ selbe völlig ineinander. Gesichtspunkte der adnnnistrativen Zweckmäßigkeit müssen überall mit ins Spiel kommen, sobald Verwaltnngsstreitsachen — die ja als Jnteresscntvllisionen mit dem öffentlichen Rechte definirt werden — zur Ent¬ scheidung kommen. Das öffentliche Recht, die öffentlichen Interessen, das all¬ gemeine Wohl lassen sich nirgends gesetzlich fixiren; die Entscheidung darüber, ob das öffentliche Wohl das maßgebende, die mit demselben in Widerstreit stehenden subjektiven Interessen hintenan zu stehen haben, ist dehnbar, fortwährend flüssig und wandelbar, kann hier so, dort anders ausfallen. Die Lage des einzelnen konkreten Falles, stets sich verändernde Umstände, also Zweckmäßigkeitsriicksichten in höchster Potenz, werden und müssen in jedem Verwaltnngsstrcitverfahren im V ordergrnnde steh en. Dies ist überall, sobald über diesen Gegenstand debattirt worden ist, anerkannt Der Abgeordnete Laster, gewiß ein testi8 (zi^ssiczus im Sinne der hier erfolgten Beleuchtung der Verwnltungsstreitsachen, hat sich gelegentlich der Beratung über die Trennung der Verwaltungsstreitsachen von den Beschlnßsachen im Abgeordneten- Hanse folgendermaßen geäußert: „Die Grenze zwischen beiden ist nicht überall dnrch die Beschaffenheit der Gegenstände mit zwingender Gewißheit zu erkennen." Gewiß nicht. Die Äußerung ist noch dahin zu ergänzen, daß diese Grenze sich nirgends finden läßt. Der praktische Beleg hierfür ist das Znständigleits- gesetz vom 26. Juli, in welchem der Versuch der Feststellung der Qunlifikativu der Verwaltnugssacheu, ob streitige oder uicht streitige, gemacht wurde. Das Gesetz erinnert mit seinen zahlreichen Detailbestimmungeu über die Rnbrizirnng der Verwaltnngsgegenstände an die so viel bemängelte Kasuistik des Landrechtes, Mag irgend ein Gegenstand, welcher im Zuständigkeitsgesetze dem Verwaltnngs- streitverfahren zugewiesen ist, herausgerissen werden, administrative Zweckmäßig- keitsgründe werden auch bei seiner Beurteilung maßgebend bleiben. Es mag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/431>, abgerufen am 03.07.2024.