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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zukunfts - Philosophie.

in welchem eben die ganze Bedeutung der Kategorien liegt, ist heutzutage beinahe
unbekannt, nur von einigen in seiner Größe und Tiefe erfaßt, und anch von
Krause durchaus uicht verändert worden. Der Gedanke ist der, daß, soviel
Formen unsre Urteile haben können, ebensoviele Arten der Thätigkeit, der Fähig¬
keit zu denken oder ebensoviele Funktionen unser Verstand haben muß. Die
Kategorien sind zwar, so wie sie auf dem Papier stehen, Begriffe, aber sie
sollen nur die Verftandesfnnktionen bezeichnen, welche diese Begriffe bilden. Es ist
falsch zu sagen, sie seien angeborene Begriffe, denn alle Begriffe werden durch unsre
Verstnndcsthätigleit gebildet. Aber die Fähigkeit zu dieser Thätigkeit, diese muß
angeboren sein, oder richtiger allem Denken a priori vorausgehen. Bezeichnen
kann man sie natürlich nur wieder durch Begriffe, weil wir uns dadurch allein
verständigen können. Nun sind diese Funktionen des Verstandes oder, um den
allgemeinsten Ausdruck für alle aktive geistige Thätigkeit in uns zu gebrauchen,
diese Funktionen der Spontaneität, die Elemente in allen Erkenntnissen, die
Faktoren, die von der einen, der aktiven, Seite überall hinzutreten und wirken
müssen, um mit den Elementen, die uns in der Anschauung gegeben werden,
zusammen Währnelmmngen und Erkenntnisse zustande zu bringen. Das ist die
von vielen im Munde geführte, von wenigen wirklich gelaunte Theorie der Er¬
kenntnis: was uns gegeben wird durch Sinnesempfindung (Rezeptivität in den
Formen Zeit und Raum), das wird von den Funktionen erfaßt und durch die¬
selben Funktionen im Bewußtsein wieder erkannt. Vollständiges Erkennen ist
nichts, anderes als den Nachweis führen, welche Funktionen thätig gewesen sind
bei der Erfassung der sinnlichen Data, die dem, was erkannt werden soll, zu
Grunde liegen. Das Zurückführen der Erscheinung ans alle Prinzipien des
Verstandes erzeugt die Wahrheit.

So unendlich mannichfaltig der Gebrauch der kategorialen Funktionen ist,
so komplizirt ihre Verbindung unter einander sein mag, eins steht immer fest,
daß sie uur dann Bedeutung für unsre Erkenntnis haben, wenn sie anf gegebene
Sinneserscheinungen angewandt werde". Da sie aber Funktionell des frei thätigen
Denkvermögens sind, so können sie auch falsch angewandt werde", d. h. zur Er¬
zeugung von Vorstellungen, die nicht auf sinnlicher Erscheinung beruhen. Dann
haben sie aber keine Bedeutung für unsre Erkenntnis, sondern erzeugen Hirn-
gespinnste oder Täuschungen. Andrerseits ist die Mannichfaltigkeit aller möglichen
sinnlichen Erscheinungen unendlich groß und ans keine Weise näher zu bestimmen;
aber das eine steht wieder fest, daß nur die Erscheinung zu nnserm Bewußtsein
kommt und in ihrem Zusammenhange erkannt werden kann, die von den Funktionen
erfaßt und von denselben im Bewußtsein wieder erkannt wird. Alle Erkenntnis
wird durch die Funktionen ermöglicht und vermittelt. So haben wir alle Natur-
erscheinungen nach den vier Gesichtspunkten, nach denen sich die Tafel der Kategorien
ordnet, nach Quantität, Qualität, Relation (Verhältnis zu andern Dingen) und
Modalität (Verhältnis zu unserm Erkenntnisvermögen) zu betrachten und zu


"Ärcuzbvwil III. 18L2. 51
Zukunfts - Philosophie.

in welchem eben die ganze Bedeutung der Kategorien liegt, ist heutzutage beinahe
unbekannt, nur von einigen in seiner Größe und Tiefe erfaßt, und anch von
Krause durchaus uicht verändert worden. Der Gedanke ist der, daß, soviel
Formen unsre Urteile haben können, ebensoviele Arten der Thätigkeit, der Fähig¬
keit zu denken oder ebensoviele Funktionen unser Verstand haben muß. Die
Kategorien sind zwar, so wie sie auf dem Papier stehen, Begriffe, aber sie
sollen nur die Verftandesfnnktionen bezeichnen, welche diese Begriffe bilden. Es ist
falsch zu sagen, sie seien angeborene Begriffe, denn alle Begriffe werden durch unsre
Verstnndcsthätigleit gebildet. Aber die Fähigkeit zu dieser Thätigkeit, diese muß
angeboren sein, oder richtiger allem Denken a priori vorausgehen. Bezeichnen
kann man sie natürlich nur wieder durch Begriffe, weil wir uns dadurch allein
verständigen können. Nun sind diese Funktionen des Verstandes oder, um den
allgemeinsten Ausdruck für alle aktive geistige Thätigkeit in uns zu gebrauchen,
diese Funktionen der Spontaneität, die Elemente in allen Erkenntnissen, die
Faktoren, die von der einen, der aktiven, Seite überall hinzutreten und wirken
müssen, um mit den Elementen, die uns in der Anschauung gegeben werden,
zusammen Währnelmmngen und Erkenntnisse zustande zu bringen. Das ist die
von vielen im Munde geführte, von wenigen wirklich gelaunte Theorie der Er¬
kenntnis: was uns gegeben wird durch Sinnesempfindung (Rezeptivität in den
Formen Zeit und Raum), das wird von den Funktionen erfaßt und durch die¬
selben Funktionen im Bewußtsein wieder erkannt. Vollständiges Erkennen ist
nichts, anderes als den Nachweis führen, welche Funktionen thätig gewesen sind
bei der Erfassung der sinnlichen Data, die dem, was erkannt werden soll, zu
Grunde liegen. Das Zurückführen der Erscheinung ans alle Prinzipien des
Verstandes erzeugt die Wahrheit.

So unendlich mannichfaltig der Gebrauch der kategorialen Funktionen ist,
so komplizirt ihre Verbindung unter einander sein mag, eins steht immer fest,
daß sie uur dann Bedeutung für unsre Erkenntnis haben, wenn sie anf gegebene
Sinneserscheinungen angewandt werde«. Da sie aber Funktionell des frei thätigen
Denkvermögens sind, so können sie auch falsch angewandt werde», d. h. zur Er¬
zeugung von Vorstellungen, die nicht auf sinnlicher Erscheinung beruhen. Dann
haben sie aber keine Bedeutung für unsre Erkenntnis, sondern erzeugen Hirn-
gespinnste oder Täuschungen. Andrerseits ist die Mannichfaltigkeit aller möglichen
sinnlichen Erscheinungen unendlich groß und ans keine Weise näher zu bestimmen;
aber das eine steht wieder fest, daß nur die Erscheinung zu nnserm Bewußtsein
kommt und in ihrem Zusammenhange erkannt werden kann, die von den Funktionen
erfaßt und von denselben im Bewußtsein wieder erkannt wird. Alle Erkenntnis
wird durch die Funktionen ermöglicht und vermittelt. So haben wir alle Natur-
erscheinungen nach den vier Gesichtspunkten, nach denen sich die Tafel der Kategorien
ordnet, nach Quantität, Qualität, Relation (Verhältnis zu andern Dingen) und
Modalität (Verhältnis zu unserm Erkenntnisvermögen) zu betrachten und zu


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[0409] Zukunfts - Philosophie. in welchem eben die ganze Bedeutung der Kategorien liegt, ist heutzutage beinahe unbekannt, nur von einigen in seiner Größe und Tiefe erfaßt, und anch von Krause durchaus uicht verändert worden. Der Gedanke ist der, daß, soviel Formen unsre Urteile haben können, ebensoviele Arten der Thätigkeit, der Fähig¬ keit zu denken oder ebensoviele Funktionen unser Verstand haben muß. Die Kategorien sind zwar, so wie sie auf dem Papier stehen, Begriffe, aber sie sollen nur die Verftandesfnnktionen bezeichnen, welche diese Begriffe bilden. Es ist falsch zu sagen, sie seien angeborene Begriffe, denn alle Begriffe werden durch unsre Verstnndcsthätigleit gebildet. Aber die Fähigkeit zu dieser Thätigkeit, diese muß angeboren sein, oder richtiger allem Denken a priori vorausgehen. Bezeichnen kann man sie natürlich nur wieder durch Begriffe, weil wir uns dadurch allein verständigen können. Nun sind diese Funktionen des Verstandes oder, um den allgemeinsten Ausdruck für alle aktive geistige Thätigkeit in uns zu gebrauchen, diese Funktionen der Spontaneität, die Elemente in allen Erkenntnissen, die Faktoren, die von der einen, der aktiven, Seite überall hinzutreten und wirken müssen, um mit den Elementen, die uns in der Anschauung gegeben werden, zusammen Währnelmmngen und Erkenntnisse zustande zu bringen. Das ist die von vielen im Munde geführte, von wenigen wirklich gelaunte Theorie der Er¬ kenntnis: was uns gegeben wird durch Sinnesempfindung (Rezeptivität in den Formen Zeit und Raum), das wird von den Funktionen erfaßt und durch die¬ selben Funktionen im Bewußtsein wieder erkannt. Vollständiges Erkennen ist nichts, anderes als den Nachweis führen, welche Funktionen thätig gewesen sind bei der Erfassung der sinnlichen Data, die dem, was erkannt werden soll, zu Grunde liegen. Das Zurückführen der Erscheinung ans alle Prinzipien des Verstandes erzeugt die Wahrheit. So unendlich mannichfaltig der Gebrauch der kategorialen Funktionen ist, so komplizirt ihre Verbindung unter einander sein mag, eins steht immer fest, daß sie uur dann Bedeutung für unsre Erkenntnis haben, wenn sie anf gegebene Sinneserscheinungen angewandt werde«. Da sie aber Funktionell des frei thätigen Denkvermögens sind, so können sie auch falsch angewandt werde», d. h. zur Er¬ zeugung von Vorstellungen, die nicht auf sinnlicher Erscheinung beruhen. Dann haben sie aber keine Bedeutung für unsre Erkenntnis, sondern erzeugen Hirn- gespinnste oder Täuschungen. Andrerseits ist die Mannichfaltigkeit aller möglichen sinnlichen Erscheinungen unendlich groß und ans keine Weise näher zu bestimmen; aber das eine steht wieder fest, daß nur die Erscheinung zu nnserm Bewußtsein kommt und in ihrem Zusammenhange erkannt werden kann, die von den Funktionen erfaßt und von denselben im Bewußtsein wieder erkannt wird. Alle Erkenntnis wird durch die Funktionen ermöglicht und vermittelt. So haben wir alle Natur- erscheinungen nach den vier Gesichtspunkten, nach denen sich die Tafel der Kategorien ordnet, nach Quantität, Qualität, Relation (Verhältnis zu andern Dingen) und Modalität (Verhältnis zu unserm Erkenntnisvermögen) zu betrachten und zu «Ärcuzbvwil III. 18L2. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/409>, abgerufen am 25.08.2024.