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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zuknnfts -- Philosophie.

Brüdern, dein ontologischen und dem physiko-theologischen. Aber getrost, wir
verlassen dich darum nicht (dn weißt, wir sind dafür befahlt.) Jedoch, es ist
nicht andere, dn mußt Namen und Kleidung wechseln: dein? nennen wir dich
bei deinem Namen, so kunst uns alles davon. Inkognito aber fassen wir dich
untern Arm und bringen dich wieder nnter Leute, nur, wie gesagt, inkognito:
eS geht! Zunächst also: Dein Gegenstand führt von jetzt an den Namen "das
Absolntnm." Das Absolntnm, schreist dn und wir mit, das muß denn doch,
zum Teufel, sein; sonst wäre ja gar nichts! (Hierbei schlägst dn ans den Tisch.)
Woher das sei? Dumme Frage! Habe ich nicht gesagt, es wäre das Absolntnm?
Es geht, bei unsrer Treu, es geht! Die Deutschen siud gewohnt, Worte statt
der Begriffe hinzunehmen" n. s. f.

Wenn wir uns nnn klar machen, daß jene neue Vernunft, die unmittelbar
anschaut, ehe sie denkt, genan dasselbe ist, wie die von Bahnsen behauptete
intuitive Apperzeption, durch die nur uus, nach Schopenhauers Vorgang, über
den UrWillen klar werden sollen, so sind wir vollkommen berechtigt, anstatt des
Absolntnm in der obigen Schilderung auch den llrwillen Schopenhauers zu
setzen und allen Hohn und Spott, den er vielleicht nicht mit Unrecht über die
Erfinder des Absolntnm ausschüttet, anch ans ihn selber als den Urwillenerfinder
anzuwenden. Der Urwille muß doch etwas sein, sonst wäre ja gar nichts! Und
woher weißt du das? Durch unmittelbare Intuition, unmittelbares Bewußt-
werden n. s. w. Das sind in der That die Fundamente dieser Philosophie, die
ganz ebensoviel Wert haben wie diejenigen aller der Systeme, welche Kant
meinen überwunden zu haben.

Wie kommt es, daß seit hundert Jahren kein Philosoph mit Kant zufrieden
gewesen ist? Wir brnnchen wohl nicht in die Einzelheiten der Geschichte ein¬
zugehen, um die Wahrheit dieser Thatsache nachzuweisen. Die Wiederbelebung
des Kautstudiums in unsern Tagen ist zwar sehr lobenswert, aber mit großen
Schwierigkeiten verbunden, weil das Verständnis des echten Kant uns durch
seine sogenannten großen Nachfolger gefälscht und nicht ganz leicht wieder zu
erringen ist. Noch heute fürchten sich die einen vor seiner Widerlegung der
Beweise für das Dasein Gottes u. s. w., während die andern ihn für den Ur¬
heber aller aphoristischen Irrtümer im Konstruireu der uaturlvisseuschaftlicheu
Erfahrung halten. Noch heute beginnt jeder Philosoph, der sich eine Bedeu¬
tung in der Welt zu erringen hofft, damit, die Irrtümer Kants nachzuweisen,
die denn doch schließlich für den, der ernstlich und vorurteilsfrei in ihn einzu¬
dringen sucht, auf ein verschwindendes, kaum erwähnenswertes Minimum zu-
sammenschrniilpfen. Alle aber, die ihn zu verbessern, zu überwinden und zu
übertreffen glauben, berufen sich uns eine andre Art der Erkenntnis, als die uns
von Kant analysirten Kräfte der Vernunft, uns eine Erkenntnis dnrch Intuition,
Gefühl, Instinkt, eine Erkenntnis ohne Bewußtsein, und reden vom Willen, vom
Unbewußten, vom Streben und Entwickeln, von Trieben und Gefühlsleben, als


Zuknnfts -- Philosophie.

Brüdern, dein ontologischen und dem physiko-theologischen. Aber getrost, wir
verlassen dich darum nicht (dn weißt, wir sind dafür befahlt.) Jedoch, es ist
nicht andere, dn mußt Namen und Kleidung wechseln: dein? nennen wir dich
bei deinem Namen, so kunst uns alles davon. Inkognito aber fassen wir dich
untern Arm und bringen dich wieder nnter Leute, nur, wie gesagt, inkognito:
eS geht! Zunächst also: Dein Gegenstand führt von jetzt an den Namen »das
Absolntnm.« Das Absolntnm, schreist dn und wir mit, das muß denn doch,
zum Teufel, sein; sonst wäre ja gar nichts! (Hierbei schlägst dn ans den Tisch.)
Woher das sei? Dumme Frage! Habe ich nicht gesagt, es wäre das Absolntnm?
Es geht, bei unsrer Treu, es geht! Die Deutschen siud gewohnt, Worte statt
der Begriffe hinzunehmen" n. s. f.

Wenn wir uns nnn klar machen, daß jene neue Vernunft, die unmittelbar
anschaut, ehe sie denkt, genan dasselbe ist, wie die von Bahnsen behauptete
intuitive Apperzeption, durch die nur uus, nach Schopenhauers Vorgang, über
den UrWillen klar werden sollen, so sind wir vollkommen berechtigt, anstatt des
Absolntnm in der obigen Schilderung auch den llrwillen Schopenhauers zu
setzen und allen Hohn und Spott, den er vielleicht nicht mit Unrecht über die
Erfinder des Absolntnm ausschüttet, anch ans ihn selber als den Urwillenerfinder
anzuwenden. Der Urwille muß doch etwas sein, sonst wäre ja gar nichts! Und
woher weißt du das? Durch unmittelbare Intuition, unmittelbares Bewußt-
werden n. s. w. Das sind in der That die Fundamente dieser Philosophie, die
ganz ebensoviel Wert haben wie diejenigen aller der Systeme, welche Kant
meinen überwunden zu haben.

Wie kommt es, daß seit hundert Jahren kein Philosoph mit Kant zufrieden
gewesen ist? Wir brnnchen wohl nicht in die Einzelheiten der Geschichte ein¬
zugehen, um die Wahrheit dieser Thatsache nachzuweisen. Die Wiederbelebung
des Kautstudiums in unsern Tagen ist zwar sehr lobenswert, aber mit großen
Schwierigkeiten verbunden, weil das Verständnis des echten Kant uns durch
seine sogenannten großen Nachfolger gefälscht und nicht ganz leicht wieder zu
erringen ist. Noch heute fürchten sich die einen vor seiner Widerlegung der
Beweise für das Dasein Gottes u. s. w., während die andern ihn für den Ur¬
heber aller aphoristischen Irrtümer im Konstruireu der uaturlvisseuschaftlicheu
Erfahrung halten. Noch heute beginnt jeder Philosoph, der sich eine Bedeu¬
tung in der Welt zu erringen hofft, damit, die Irrtümer Kants nachzuweisen,
die denn doch schließlich für den, der ernstlich und vorurteilsfrei in ihn einzu¬
dringen sucht, auf ein verschwindendes, kaum erwähnenswertes Minimum zu-
sammenschrniilpfen. Alle aber, die ihn zu verbessern, zu überwinden und zu
übertreffen glauben, berufen sich uns eine andre Art der Erkenntnis, als die uns
von Kant analysirten Kräfte der Vernunft, uns eine Erkenntnis dnrch Intuition,
Gefühl, Instinkt, eine Erkenntnis ohne Bewußtsein, und reden vom Willen, vom
Unbewußten, vom Streben und Entwickeln, von Trieben und Gefühlsleben, als


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[0407] Zuknnfts -- Philosophie. Brüdern, dein ontologischen und dem physiko-theologischen. Aber getrost, wir verlassen dich darum nicht (dn weißt, wir sind dafür befahlt.) Jedoch, es ist nicht andere, dn mußt Namen und Kleidung wechseln: dein? nennen wir dich bei deinem Namen, so kunst uns alles davon. Inkognito aber fassen wir dich untern Arm und bringen dich wieder nnter Leute, nur, wie gesagt, inkognito: eS geht! Zunächst also: Dein Gegenstand führt von jetzt an den Namen »das Absolntnm.« Das Absolntnm, schreist dn und wir mit, das muß denn doch, zum Teufel, sein; sonst wäre ja gar nichts! (Hierbei schlägst dn ans den Tisch.) Woher das sei? Dumme Frage! Habe ich nicht gesagt, es wäre das Absolntnm? Es geht, bei unsrer Treu, es geht! Die Deutschen siud gewohnt, Worte statt der Begriffe hinzunehmen" n. s. f. Wenn wir uns nnn klar machen, daß jene neue Vernunft, die unmittelbar anschaut, ehe sie denkt, genan dasselbe ist, wie die von Bahnsen behauptete intuitive Apperzeption, durch die nur uus, nach Schopenhauers Vorgang, über den UrWillen klar werden sollen, so sind wir vollkommen berechtigt, anstatt des Absolntnm in der obigen Schilderung auch den llrwillen Schopenhauers zu setzen und allen Hohn und Spott, den er vielleicht nicht mit Unrecht über die Erfinder des Absolntnm ausschüttet, anch ans ihn selber als den Urwillenerfinder anzuwenden. Der Urwille muß doch etwas sein, sonst wäre ja gar nichts! Und woher weißt du das? Durch unmittelbare Intuition, unmittelbares Bewußt- werden n. s. w. Das sind in der That die Fundamente dieser Philosophie, die ganz ebensoviel Wert haben wie diejenigen aller der Systeme, welche Kant meinen überwunden zu haben. Wie kommt es, daß seit hundert Jahren kein Philosoph mit Kant zufrieden gewesen ist? Wir brnnchen wohl nicht in die Einzelheiten der Geschichte ein¬ zugehen, um die Wahrheit dieser Thatsache nachzuweisen. Die Wiederbelebung des Kautstudiums in unsern Tagen ist zwar sehr lobenswert, aber mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil das Verständnis des echten Kant uns durch seine sogenannten großen Nachfolger gefälscht und nicht ganz leicht wieder zu erringen ist. Noch heute fürchten sich die einen vor seiner Widerlegung der Beweise für das Dasein Gottes u. s. w., während die andern ihn für den Ur¬ heber aller aphoristischen Irrtümer im Konstruireu der uaturlvisseuschaftlicheu Erfahrung halten. Noch heute beginnt jeder Philosoph, der sich eine Bedeu¬ tung in der Welt zu erringen hofft, damit, die Irrtümer Kants nachzuweisen, die denn doch schließlich für den, der ernstlich und vorurteilsfrei in ihn einzu¬ dringen sucht, auf ein verschwindendes, kaum erwähnenswertes Minimum zu- sammenschrniilpfen. Alle aber, die ihn zu verbessern, zu überwinden und zu übertreffen glauben, berufen sich uns eine andre Art der Erkenntnis, als die uns von Kant analysirten Kräfte der Vernunft, uns eine Erkenntnis dnrch Intuition, Gefühl, Instinkt, eine Erkenntnis ohne Bewußtsein, und reden vom Willen, vom Unbewußten, vom Streben und Entwickeln, von Trieben und Gefühlsleben, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/407>, abgerufen am 25.08.2024.