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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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zum Kriege mit Nußland gelangt, so wird es sich ans die Dauer der Mit¬
wirkung zu denjenigen Plänen, welche die Westmächte in Betreff einer Wieder¬
herstellung Polens haben möchten, nicht mit Erfolg widersetzen können. Diese
Pläne sind bisher in London und Paris niemals ehrlich zurückgewiesen worden
und dürften als einziges Mittel zu eiuer nachhaltigen Verminderung der rus¬
sischen Macht früher oder später mit mehr Entschiedenheit in den Vordergrund
trete". Österreichs Interesse gegen die Herstellung Polens ist minder tiefgehend
als das von Preußen und Rußland, schwerlich so tief, als daß mau uach dem
Bruche mit Rußland sich mit den Westmächteu zu entzweien nötig haben würde.
Ich glaube sogar, daß Österreich die Donauländer wählen würde, wenn es
zwischen diesen und Galizien vptireu müßte. Jene sind deutscher Sprache und
Regierung zugänglicher als die polnische" Provinzen, die Bevölkerung iuvssensiv;
sie sind reicherer Entwicklung fähig und passen geographisch und kommerziell
besser zu Österreich als das außerhalb der Karpathen dem Kaiserstaate ange¬
klebte Galizie". Letzteres ist bei offenen Grenze" der russischen Macht und
etwaige" polnischen Insurrektionen leicht zugänglich. Die Gefahren, welche die
polnische Nachbarschaft für die Ruhe von Ungarn bieten würde, finde" ein
Gegengewicht i" der Vermehrung der den Magyaren feindlichem Elemente, der
Serben und Walachei". Außerdem bietet die Herstellung Polens an und sür
sich dem österreichischen Systeme Vorteile: 1. Preuße" wird geschwächt und in
Schach gehalten. 2. Die Gefahr des Panslavismus hört auf, wenn zwei mäch¬
tige Slavenstaaten verschiedner Religion und Nationalität Vorhemden sind.
3. Europa erhält einen wichtigen Staat von katholischer Konfession mehr.
4. Pole", unter Österreichs Hilfe hergestellt, wird vor der Hand Österreichs
sicherer Verbündeter. 5. Die Herstellung Polens bietet Österreich vielleicht die
eüizige dauernde Garantie gege" el"e Vergeltung von seiten Rußlands, sobald
die italienische Angelegenheit Streit zwischen Österreich und Frankreich herbei¬
führt oder ersteres sonstwie i" Verlegenheit kommt. Schlimmste" Falles würde
das Wiener Kabinet sich mit den: Vorschlage helfe", Pole" vo" "e"em zu teilen,
ohne die Do"a"la"der dann aufzugeben."

Non solche" Erwägungen wurde die preußische Politik auch i" der fol¬
gende" Zeit geleitet. Österreich aber neigte sich mehr und mehr den Westmächte"
zu, dachte ernstlich an Krieg mit Rußland und bemühte sich mit alle" Mitteln,
zu diesem Zwecke die Unterstützung Preußens und der übrigen deutscheu Staate"
zu gewinnen. Am 14, Juni schloß es mit der Pforte eine" Vertrag ab, der
de" österreichischen Truppe!, die Besetzung der Moldau und Walachei gestattete,
und nachdem die Russe" sich i" der zweite" Hälfte des Juli aus diesen Fürsten¬
tümern znrückgezoge" hatten, rückten die Österreicher in dieselben ein. Bevor
die Westmächte Nußland ans eigne," Boden angriffen, war die Diplomatie eifrig
bemüht, dem großen Streit Einhalt zu thun und ihn auf die Bahn des Frie¬
dens zu lenken. Nach vielen Beratungen und Vorschlägen, die zu keinem Er-


zum Kriege mit Nußland gelangt, so wird es sich ans die Dauer der Mit¬
wirkung zu denjenigen Plänen, welche die Westmächte in Betreff einer Wieder¬
herstellung Polens haben möchten, nicht mit Erfolg widersetzen können. Diese
Pläne sind bisher in London und Paris niemals ehrlich zurückgewiesen worden
und dürften als einziges Mittel zu eiuer nachhaltigen Verminderung der rus¬
sischen Macht früher oder später mit mehr Entschiedenheit in den Vordergrund
trete». Österreichs Interesse gegen die Herstellung Polens ist minder tiefgehend
als das von Preußen und Rußland, schwerlich so tief, als daß mau uach dem
Bruche mit Rußland sich mit den Westmächteu zu entzweien nötig haben würde.
Ich glaube sogar, daß Österreich die Donauländer wählen würde, wenn es
zwischen diesen und Galizien vptireu müßte. Jene sind deutscher Sprache und
Regierung zugänglicher als die polnische» Provinzen, die Bevölkerung iuvssensiv;
sie sind reicherer Entwicklung fähig und passen geographisch und kommerziell
besser zu Österreich als das außerhalb der Karpathen dem Kaiserstaate ange¬
klebte Galizie». Letzteres ist bei offenen Grenze» der russischen Macht und
etwaige» polnischen Insurrektionen leicht zugänglich. Die Gefahren, welche die
polnische Nachbarschaft für die Ruhe von Ungarn bieten würde, finde» ein
Gegengewicht i» der Vermehrung der den Magyaren feindlichem Elemente, der
Serben und Walachei«. Außerdem bietet die Herstellung Polens an und sür
sich dem österreichischen Systeme Vorteile: 1. Preuße» wird geschwächt und in
Schach gehalten. 2. Die Gefahr des Panslavismus hört auf, wenn zwei mäch¬
tige Slavenstaaten verschiedner Religion und Nationalität Vorhemden sind.
3. Europa erhält einen wichtigen Staat von katholischer Konfession mehr.
4. Pole», unter Österreichs Hilfe hergestellt, wird vor der Hand Österreichs
sicherer Verbündeter. 5. Die Herstellung Polens bietet Österreich vielleicht die
eüizige dauernde Garantie gege» el»e Vergeltung von seiten Rußlands, sobald
die italienische Angelegenheit Streit zwischen Österreich und Frankreich herbei¬
führt oder ersteres sonstwie i» Verlegenheit kommt. Schlimmste» Falles würde
das Wiener Kabinet sich mit den: Vorschlage helfe», Pole» vo» »e»em zu teilen,
ohne die Do»a»la»der dann aufzugeben."

Non solche» Erwägungen wurde die preußische Politik auch i» der fol¬
gende» Zeit geleitet. Österreich aber neigte sich mehr und mehr den Westmächte»
zu, dachte ernstlich an Krieg mit Rußland und bemühte sich mit alle» Mitteln,
zu diesem Zwecke die Unterstützung Preußens und der übrigen deutscheu Staate»
zu gewinnen. Am 14, Juni schloß es mit der Pforte eine» Vertrag ab, der
de» österreichischen Truppe!, die Besetzung der Moldau und Walachei gestattete,
und nachdem die Russe» sich i» der zweite» Hälfte des Juli aus diesen Fürsten¬
tümern znrückgezoge» hatten, rückten die Österreicher in dieselben ein. Bevor
die Westmächte Nußland ans eigne,» Boden angriffen, war die Diplomatie eifrig
bemüht, dem großen Streit Einhalt zu thun und ihn auf die Bahn des Frie¬
dens zu lenken. Nach vielen Beratungen und Vorschlägen, die zu keinem Er-


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[0348] zum Kriege mit Nußland gelangt, so wird es sich ans die Dauer der Mit¬ wirkung zu denjenigen Plänen, welche die Westmächte in Betreff einer Wieder¬ herstellung Polens haben möchten, nicht mit Erfolg widersetzen können. Diese Pläne sind bisher in London und Paris niemals ehrlich zurückgewiesen worden und dürften als einziges Mittel zu eiuer nachhaltigen Verminderung der rus¬ sischen Macht früher oder später mit mehr Entschiedenheit in den Vordergrund trete». Österreichs Interesse gegen die Herstellung Polens ist minder tiefgehend als das von Preußen und Rußland, schwerlich so tief, als daß mau uach dem Bruche mit Rußland sich mit den Westmächteu zu entzweien nötig haben würde. Ich glaube sogar, daß Österreich die Donauländer wählen würde, wenn es zwischen diesen und Galizien vptireu müßte. Jene sind deutscher Sprache und Regierung zugänglicher als die polnische» Provinzen, die Bevölkerung iuvssensiv; sie sind reicherer Entwicklung fähig und passen geographisch und kommerziell besser zu Österreich als das außerhalb der Karpathen dem Kaiserstaate ange¬ klebte Galizie». Letzteres ist bei offenen Grenze» der russischen Macht und etwaige» polnischen Insurrektionen leicht zugänglich. Die Gefahren, welche die polnische Nachbarschaft für die Ruhe von Ungarn bieten würde, finde» ein Gegengewicht i» der Vermehrung der den Magyaren feindlichem Elemente, der Serben und Walachei«. Außerdem bietet die Herstellung Polens an und sür sich dem österreichischen Systeme Vorteile: 1. Preuße» wird geschwächt und in Schach gehalten. 2. Die Gefahr des Panslavismus hört auf, wenn zwei mäch¬ tige Slavenstaaten verschiedner Religion und Nationalität Vorhemden sind. 3. Europa erhält einen wichtigen Staat von katholischer Konfession mehr. 4. Pole», unter Österreichs Hilfe hergestellt, wird vor der Hand Österreichs sicherer Verbündeter. 5. Die Herstellung Polens bietet Österreich vielleicht die eüizige dauernde Garantie gege» el»e Vergeltung von seiten Rußlands, sobald die italienische Angelegenheit Streit zwischen Österreich und Frankreich herbei¬ führt oder ersteres sonstwie i» Verlegenheit kommt. Schlimmste» Falles würde das Wiener Kabinet sich mit den: Vorschlage helfe», Pole» vo» »e»em zu teilen, ohne die Do»a»la»der dann aufzugeben." Non solche» Erwägungen wurde die preußische Politik auch i» der fol¬ gende» Zeit geleitet. Österreich aber neigte sich mehr und mehr den Westmächte» zu, dachte ernstlich an Krieg mit Rußland und bemühte sich mit alle» Mitteln, zu diesem Zwecke die Unterstützung Preußens und der übrigen deutscheu Staate» zu gewinnen. Am 14, Juni schloß es mit der Pforte eine» Vertrag ab, der de» österreichischen Truppe!, die Besetzung der Moldau und Walachei gestattete, und nachdem die Russe» sich i» der zweite» Hälfte des Juli aus diesen Fürsten¬ tümern znrückgezoge» hatten, rückten die Österreicher in dieselben ein. Bevor die Westmächte Nußland ans eigne,» Boden angriffen, war die Diplomatie eifrig bemüht, dem großen Streit Einhalt zu thun und ihn auf die Bahn des Frie¬ dens zu lenken. Nach vielen Beratungen und Vorschlägen, die zu keinem Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/348>, abgerufen am 02.10.2024.