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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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so näher kommen, je weiter das Gebiet ist, das seine Schöpfung umspannt, je
mehr es ihm gelingt, dies bunte Ganze unter einen Gesichtspunkt zu bringen,
von einem Gedanken beherrschen und durchgingen zu lassen, wenn er in richtiger
Erkenntnis die Angelpunkte der geistigen und seelischen Bewegungen der Zeit
zu finden, von ihnen aus das bunte Getriebe zu fassen, und es so in seiner Zu¬
sammensetzung und Gliederung darzustellen vermag.

Wenn auch nicht dnrch die umfassende Weite, so doch durch die eindringende
Tiefe des Vorwurfes ragt unter deu neueren Schöpfungen auf diesem Gebiete
Adolf Sterns neuester Roman, "Ohne Ideale," hervor.*)

Der Titel ist geeignet etwas irre zu führen; er ist nicht vom Helden und
dessen Gesinunugsverwcmdten, sondern, um einen dramaturgischen Ausdruck zu
gebrauchen, vom Gegenspiel entnommen. Es ist der Sieg des Idealismus über
den kraft- und mutlosen Unglauben an die Macht des Ideales einerseits, und
über die schnöde Selbstsucht, deu rohen Amerikanismus und das abgefeimte
Strebertum andrerseits, der hier verherrlicht wird. Freilich vermag nicht jeder
diesen Kampf siegreich zu bestehen; wer dazu uicht festen Willen und ein seine
Leidenschaften beherrschendes Herz mitbringt, dem geht mit dem Glaube" an sein
Ideal auch jeder innere Halt verloren, dem bleibt nichts übrig, als die Flucht
aus dem Leben. Das ist das Schicksal der edel ungelegten, aber schwärmerisch-
phantastischen Prinzessin Stephanie, welche die von dem hochbegabten, aber
niedrig gesinnten Künstler Arsakofs ihr zugefügte Täuschung nicht zu verwinden
vermag, während der Held des Romans, der Baumeister Erich Franken, der
seine Kraft auch in der Entsagung bewährt, über die Ränke des Nebenbuhlers
und matthcrzige Vorurteile anderer durch seine vom Glauben an seine künstle¬
rischen Ideale getragene Persönlichkeit den Sieg davonträgt.

Leider bringt das Ende des Romans diesen Sieg nicht so rein und
voll zum Ausdruck, wie die tief angelegte Komposition es verlangte. Erich
Franken erlangt vom alten Präsidenten Herther die Hand seiner Tochter nicht
dadurch, daß er, Herthers Vorausverkündigung zuwider, aus der Grundlage der
Kunst sich eine neue, feste Existenz schafft, nachdem er die alte freiwillig um der
Kunst willen ausgegeben, sondern seine treue Freundschaft im Augenblick des
Unglücks und der Not ist es, die den von dein ideallosen Streber Paul
Lohmer schmählich verlassenen alten Mann wieder in Erichs Arme treibt; der
Widerstreit der Weltanschauung, die sie früher getrennt, bleibt unausgeglichen.
Überhaupt zeigt die Durchführung des Planes Schwäche" und Lücken; manches
ist überflüssig, andere Partien lasfei: den Wunsch nach weiterer Aufklärung
zurück. Die weitere künstlerische Entwicklung des Helden in München, die
Entstehung seines Verhältnisses zur Schauspielerin Anna Hallwig, die Ver-



Ohne Ideale, Roman von Adolf Stern. Zwei Lande. Leipzig, Fr. Will),
Grnnow, 1882.

so näher kommen, je weiter das Gebiet ist, das seine Schöpfung umspannt, je
mehr es ihm gelingt, dies bunte Ganze unter einen Gesichtspunkt zu bringen,
von einem Gedanken beherrschen und durchgingen zu lassen, wenn er in richtiger
Erkenntnis die Angelpunkte der geistigen und seelischen Bewegungen der Zeit
zu finden, von ihnen aus das bunte Getriebe zu fassen, und es so in seiner Zu¬
sammensetzung und Gliederung darzustellen vermag.

Wenn auch nicht dnrch die umfassende Weite, so doch durch die eindringende
Tiefe des Vorwurfes ragt unter deu neueren Schöpfungen auf diesem Gebiete
Adolf Sterns neuester Roman, „Ohne Ideale," hervor.*)

Der Titel ist geeignet etwas irre zu führen; er ist nicht vom Helden und
dessen Gesinunugsverwcmdten, sondern, um einen dramaturgischen Ausdruck zu
gebrauchen, vom Gegenspiel entnommen. Es ist der Sieg des Idealismus über
den kraft- und mutlosen Unglauben an die Macht des Ideales einerseits, und
über die schnöde Selbstsucht, deu rohen Amerikanismus und das abgefeimte
Strebertum andrerseits, der hier verherrlicht wird. Freilich vermag nicht jeder
diesen Kampf siegreich zu bestehen; wer dazu uicht festen Willen und ein seine
Leidenschaften beherrschendes Herz mitbringt, dem geht mit dem Glaube» an sein
Ideal auch jeder innere Halt verloren, dem bleibt nichts übrig, als die Flucht
aus dem Leben. Das ist das Schicksal der edel ungelegten, aber schwärmerisch-
phantastischen Prinzessin Stephanie, welche die von dem hochbegabten, aber
niedrig gesinnten Künstler Arsakofs ihr zugefügte Täuschung nicht zu verwinden
vermag, während der Held des Romans, der Baumeister Erich Franken, der
seine Kraft auch in der Entsagung bewährt, über die Ränke des Nebenbuhlers
und matthcrzige Vorurteile anderer durch seine vom Glauben an seine künstle¬
rischen Ideale getragene Persönlichkeit den Sieg davonträgt.

Leider bringt das Ende des Romans diesen Sieg nicht so rein und
voll zum Ausdruck, wie die tief angelegte Komposition es verlangte. Erich
Franken erlangt vom alten Präsidenten Herther die Hand seiner Tochter nicht
dadurch, daß er, Herthers Vorausverkündigung zuwider, aus der Grundlage der
Kunst sich eine neue, feste Existenz schafft, nachdem er die alte freiwillig um der
Kunst willen ausgegeben, sondern seine treue Freundschaft im Augenblick des
Unglücks und der Not ist es, die den von dein ideallosen Streber Paul
Lohmer schmählich verlassenen alten Mann wieder in Erichs Arme treibt; der
Widerstreit der Weltanschauung, die sie früher getrennt, bleibt unausgeglichen.
Überhaupt zeigt die Durchführung des Planes Schwäche» und Lücken; manches
ist überflüssig, andere Partien lasfei: den Wunsch nach weiterer Aufklärung
zurück. Die weitere künstlerische Entwicklung des Helden in München, die
Entstehung seines Verhältnisses zur Schauspielerin Anna Hallwig, die Ver-



Ohne Ideale, Roman von Adolf Stern. Zwei Lande. Leipzig, Fr. Will),
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/34>, abgerufen am 01.07.2024.